Helmut Marko: "Das könnte den Fortbestand von Red Bull sichern“
Das Rennen in Spielberg markiert den 335. Grand-Prix-Start für Red Bull in der Formel 1. Kein Rennen verpasst hat Helmut Marko. Der bald 80-jährige Grazer ist seit jeher das Mastermind im Hintergrund.
KURIER: Mit 82 Siegen hat Red Bull nun ein legendäres Team wie Lotus überholt. Was bedeutet Ihnen das?
Helmut Marko: Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Red Bull war zehn Jahre Mehrheitseigentümer bei Sauber, hatte aber kein Stimmrecht. Plötzlich hatten wir die Möglichkeit, Jaguar zu kaufen. Der Ansatz war damals, einmal einen Grand Prix zu gewinnen. Das wirkte weit weg, wenn man den Jaguar-Rennstall kannte. Jetzt halten wir bei neun Weltmeistertiteln. Für einen Energydrink-Hersteller ist das schon eine außergewöhnliche Leistung in einem so komplexen Sport.
Wo reihen Sie den WM-Titel von 2021 ein, den Max Verstappen in der letzten Runde sichergestellt hat?
Sehr weit oben. Der Titel war eine Erlösung und Genugtuung für die aufreibende Saison. Irgendwann war klar, dass wir die WM 2021 in jedem Fall gewinnen wollten. Der Hunger, die Mercedes-Serie zu beenden, war enorm. Dennoch konnte ich den Schmerz des großen Rivalen im Moment der bitteren Niederlage gut nachvollziehen.
Hartnäckig halten sich die Gerüchte, dass Porsche ab 2026 Partner von Red Bull werden könnte ...
Alles rein hypothetisch.
Was spricht – hypothetisch – für eine Partnerschaft?
Es handelt sich dabei um zwei ganz große Namen. Die Kombination dieser beiden Marken würde werbetechnisch, aber auch technologisch völlig neue Dimensionen eröffnen. Und es könnte auch den Fortbestand von Red Bull Racing sichern. Das Alter von Dietrich Mateschitz (78, Anmerkung) spielt bei all diesen Überlegungen mittlerweile auch eine Rolle.
Dank des neuen Kostendeckels, der heuer bei 140 Millionen Dollar liegt, soll die Formel 1 ausgeglichener werden. Zeigt er Wirkung?
Die Formel 1 ist ein People-Sport. Gute Leute machen weiterhin den Unterschied. Du kannst einem Ingenieur nicht verbieten, zu denken.
Wie stark musste Red Bull einsparen, um die Anforderungen zu erfüllen?
Schon deutlich. Wir haben neue Projekte ins Leben gerufen, um die Leute halten zu können. Wir waren gezwungen, rund 100 Personen umzustrukturieren. Wir wollten die Leute ja nicht verlieren. Aber der Kostendeckel stellt die gesamte Branche mittelfristig vor gröbere Probleme bei der Rekrutierung von Top-Personal.
Was meinen Sie damit?
Der Job des Technikers in der Formel 1 ist schon noch immer begehrt, aber nicht mehr so sehr wie früher, als die besten Leute in jedem Fall in die Formel 1 wollten. Wenn ein Mechaniker mit junger Familie mittlerweile 25 Wochen im Jahr unterwegs ist, und man diesen Umstand nicht finanziell ausgleichen kann, wird man diese begabten Leute früher oder später verlieren.
Sieben der zwanzig Piloten gingen durch die Red-Bull-Nachwuchschule, fünf wurden zu Siegern (Verstappen, Sainz, Vettel, Ricciardo, Gasly). Worauf schauen Sie als Erstes?
Schnell sind sie alle. Wichtiger ist mir, wie jemand tickt. Man muss den unbedingten Willen zur Kompromisslosigkeit haben. Ich verpflichte niemanden, ohne mit demjenigen gesprochen zu haben. Er muss mir gegenübersitzen. Obwohl sich auch das stark verändert hat.
Was meinen Sie damit?
Wenn ein Junger ein bissl was gewinnt, sitzen mir heute oft die Eltern und drei Manager gegenüber.
Wie viele Anfragen gibt es?
30 pro Jahr sicher. Fünf schaue ich mir vielleicht an.
Helmut Marko bereitet nicht nur die Zukunft der Formel 1 vor, er steht auch für die alte Zeit. 1972 beendete ein vom vorausfahrenden Fahrzeug aufgewirbelter Stein, der sein Visier durchschlug, die vielversprechende Formel-1-Karriere samt Ferrari-Vorvertrag. Er verlor ein Auge. Kurz darauf begann der Jurist, Rennfahrer zu managen.
Wie kam es dazu?
Nach dem Unfall hab’ ich mir die Frage gestellt: Wie mache ich weiter? Mit Fahrern zu arbeiten, ist eine wesentlich emotionellere Verbundenheit. Ich wollte einfach dem nahe sein, was ich immer geliebt habe. Der Erfolg ist in diesem Fall einfach ein bisschen süßer. Objektivität muss man dennoch wahren können. Wenn der Verstappen einen Fehler macht, bekommt er das von mir auch als Weltmeister zu hören.
Viel Kritik mussten Sie zuletzt aber nicht äußern ...
Stimmt. Er ist sicher unsere größte Erfolgsgeschichte. Trotz Vettel mit vier Titeln. Max ist mit 24 ja noch immer sehr jung, aber dennoch schon außerordentlich erfahren. Am meisten beeindruckt mich seine Bodenständigkeit.
Wie zeigt sich die?
Er verdient nun wirklich unfassbar viel Geld, aber es hat ihn nicht verändert. Da kenne ich andere Beispiele. Aber seine Vertragsverlängerung haben wir bei Red Bull auch als Zeichen verstanden – an das eigene Team, aber auch an die Konkurrenz.
Wie schwer fallen Ihnen die Gespräche, in denen Sie mitteilen, dass es für Red Bull nicht reicht?
Schlechtes Gewissen hab’ ich keines. 90 Prozent, die es bei uns nicht schaffen, machen dennoch Karriere. Ein Fahrer wie Jean-Éric Vergne (58 Rennen für das Red-Bull-Zweitteam, Anm.) verdient in der Formel E vier Millionen pro Saison. Es mag hart klingen, aber: Das Abfallprodukt der Formel 1 ist eine gute Karriere in einer anderen Serie.
Von welchem Ihrer Fahrer hätten Sie mehr erwartet?
Aktuell? Von Daniel Ricciardo. Der hat bei uns Vettel dominiert und mit Verstappen mitgehalten, aber ein Team kann er offenbar nicht anführen. Und dann gab’s da noch Juan Pablo Montoya, der es durchaus mit Michael Schumacher aufnehmen hätte können. Vom Speed war er einer der Allerbesten, aber eine faule Sau, dazu noch undiplomatisch. Eine tödliche Kombination.
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