Weniger Mitglieder, viel Konkurrenz: Der Vereinssport kämpft ums Überleben
Die Pandemie hat dem organisierten Sport arg zugesetzt. Mitglieder gingen verloren, Sparten wurden eingestellt. Der Sportbonus vom Staat half kurzfristig, doch bald läuft das Programm aus.
Schon bald wird Claudia Karollus wieder 90.000 Euro an Miete für zehn Monate überweisen. Aber ob sie den Raum wirklich voll nutzen wird dürfen, ist noch völlig unklar. Die Corona-Pandemie könnte all ihre Planungen über den Haufen werfen, die sie über Wochen feinsäuberlich in Dutzenden Listen und Anträgen katalogisiert hat.
Karollus ist die sportliche Leiterin bei Union Westwien, einem der größten Freizeit- und Leistungssportvereine des Landes. 14 Sparten hat man im Programm, von Judo über Fechten bis zu – sogar – Skisport. Dazu kommen noch zig Kurse im Gesundheitssport. Rund 400 Trainer arbeiten für den Verein, Dutzende Sportstätten in der gesamten Bundeshauptstadt sind nötig. Die eingangs erwähnten 90.000 Euro sind die Miete für lediglich eine Sportanlage, die genutzt wird.
Wenn im Herbst oder Winter wieder Corona-Maßnahmen wie in den vergangenen Jahren ausgerufen werden, könnte es eng werden für den Verein.
"Wir brauchen dringend wieder ein volles Sportjahr, um uns zu erholen", sagt Claudia Karollus. "Die vergangenen Jahre haben uns schon gebeutelt, aber so ein großes Konstrukt fällt zum Glück auch nicht von einem auf den anderen Tag zusammen."
Ein Sportverein wie Westwien mit einem Jahresumsatz von gut einer Million Euro verfügt über eine solide Grundausstattung, doch auch hier beginnt das Fundament allmählich zu bröckeln. Seit Beginn der Pandemie hat man 1.954 Mitglieder verloren, die allermeisten davon im Freizeitsport, und dort vor allem Kinder unter 10 Jahren oder Pensionisten.
Dieser Umstand verschärft die Situation umso mehr, wie die sportliche Leiterin erklärt: "Das System bei uns funktioniert so, dass der Breiten- oder Freizeitsport den Leistungssport finanziert. Eine Bauch-Bein-Po-Einheit ermöglicht den Kauf neuer Sportgeräte." Den fast 2.000 Austritten stehen nur 451 neue Mitgliedschaften gegenüber, die Sparte Sportaerobic musste bereits eingestellt werden.
Hilfe des Staates
So geht es im dritten Jahr der Pandemie vielen Sportvereinen im Land. "Ein paar neue Mitglieder haben wir schon bekommen. Aber es sind nicht sehr aktive Mitglieder", sagt etwa auch Andreas Ponic vom Tennisclub in Mattersburg.
Die Mehrheit der neuen Mitglieder kam über das Sportbonus-Programm, das das Ministerium im ersten Jahr der Pandemie ins Leben gerufen hat. Neue Jahresmitgliedschaften wurden bis zu einem Maximalbetrag in der Höhe von 90 Euro vom Staat refundiert. Insgesamt 145.224 Mitgliedschaften wurden über den Sportbonus registriert, heißt es aus dem Ministerium. Der für den Sport zuständige Vizekanzler Werner Kogler spricht davon, dass "alle Erwartungen damit übertroffen wurden".
Lange Tradition: Seit dem 19. Jahrhundert sind Vereine die zentralen Träger des Sports. Die Organisationsform ermöglichte dem Bürgertum erstmals Selbstbestimmung auf vielen Ebenen.
Wandel: Lange Zeit wettkampforientiert und männerdominiert, kam es in den 1970er-Jahren zum Bruch. Freizeit- und Gesundheitssport hielt Einzug, der auch viele Frauen ansprach.
9 Millionen Euro wurden vom Bund budgetiert, um den Mitgliederschwund während der Corona-Pandemie abzufedern. Dieser Sportbonus läuft mit 15. September aus. Bisher wurden mehr als 145.000 neue Mitglieder über das Hilfsprogramm registriert. Derzeit wird von den zuständigen Stellen rund um Sportminister und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) diskutiert, ob und wie das Programm verlängert wird.
Neun Millionen Euro wird das Projekt bis 15. September gekostet haben, dann nämlich läuft der Sportbonus aus. Eine begrenzte Ausweitung, um das Sportjahr 2022/2023 abzusichern, wird gegenwärtig noch diskutiert. "Wichtig wäre jetzt eine Art Sportbonus, um Mitglieder halten zu können. Vielleicht auch sozial gestaffelt", sagt Andreas Ponic vom Tennisclub in Mattersburg.
Gegen die Idee einer vom Bund gestützten Mitglieder-Akquirierung ist kaum jemand im rot-weiß-roten Sportbetrieb, Kritik gibt es an der bürokratischen Abwicklung sowie an fehlenden Informationen. "Wir haben bei unseren Mitgliedern ja immer nachgefragt", sagt Claudia Karollus von Westwien, "von der Möglichkeit, sich den Beitrag über das Programm zurückzuholen, wussten die wenigsten."
Also übernahm das der Verein, der groß genug ist, um drei Büro-Angestellte in der Zentrale zu beschäftigen. Karollus: "Wie das Vereine bewerkstelligt haben, die nur über das Ehrenamt organisiert sind, weiß ich beim besten Willen nicht."
Mächtige Konkurrenz
Unter Druck gekommen ist der Vereinssport nicht erst seit Corona, wie Rudolf Müllner erklärt. "Vereine haben in der heutigen Zeit mächtige Konkurrenz aus der Privatwirtschaft", sagt der Sporthistoriker der Universität Wien, "jeder Yogalehrer, jedes Fitnessstudio buhlt um das bisschen Freizeit des Individuums. Wenn man früher Sport treiben wollte, musste man in einen Verein."
Diese Organisationsform mit ihren gewachsenen, starren Strukturen ist dafür heute nicht mehr notwendig, oft sogar ein Hindernis. "Die Menschen wollen sich immer weniger binden, weder mit einem langfristigen Fernsehabo, geschweige denn mit einer einjährigen Mitgliedschaft bei einem Verein, der vielleicht nur eine Sportart im Angebot hat", erklärt Rudolf Müllner. Doch genau nach diesem Modell ist der Vereinssport aufgebaut.
Eine wichtige Funktion haben Vereine in unserer Gesellschaft noch immer, ist der Sporthistoriker überzeugt, vor allem im ländlichen Raum: "Dort gibt’s oft nur die Feuerwehr mit ihrem jährlichen Fest und den Fußballklub."
Doch auch hier gebe es zunehmend Konkurrenz, vor allem im digitalen Raum. "Die Ästhetisierung des Körpers, wie wir sie in den sozialen Medien sehen, ist eine mächtige Kraft", betont Müllner, "ich bin unsicher, ob Vereine im klassischen Sinn da je mithalten werden können."
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