Julia Mayer über den Marathon-Weltrekord: "Wie ist das möglich?"
Am Sonntag zertrümmerte Ruth Chepngetich die alte Bestmarke über die 42,195 Kilometer. Österreichs beste Langstreckenläuferin sucht nach Erklärungen.
Julia Mayer ist die schnellste Österreicherin auf der Marathon-Strecke. Am 3. Dezember 2023 drückte sie den alten Rekord um fast vier Minuten auf 2:26:43 Stunden, womit sie sich auch direkt für die Olympischen Spiele in Paris qualifizierte. 2:09:56 lief Ruth Chepngetich am Sonntag in Chicago. Den fantastischen Weltrekord der Kenianerin hat auch Mayer mitverfolgt. Zuerst im Livestream, dann im TV. Mit dem KURIER sprach die 31-Jährige über ...
- die Zutaten für einen Rekordlauf:
Man braucht vor allem eine schnelle Strecke. Chicago dürfte gut sein, weil es dort flach ist und es wenig Kurven gibt. Und die Besten wollen auf schnellen Strecken laufen, dadurch ist auch die Leistungsdichte sehr hoch. Ruth hat zu Beginn mit schnellen Männergruppen mitlaufen können und zwei Pacemaker gehabt, von denen einer bis zum Schluss dabei war. Aber natürlich gehört auch eine richtig gute Tagesverfassung dazu. - Trainingsentwicklung:
Für so einen Rekord gehört konsequentes, jahrelanges Training dazu, das auf den Marathon ausgelegt ist und nicht auf andere Distanzen. Das Training entwickelt sich immer weiter: Es gibt neue Studien, im Speziellen über das Training bei Frauen, über Ernährung und Regeneration. Und ihr Trainer dürfte auch nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen sein.
- Chepngetichs Leistung:
Es war der alte Rekord von 2:11 schon extrem gut. Trotzdem haben sich die Insider gedacht, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, dass es noch schneller wird. Ab einem gewissen Niveau ist es vor allem eine mentale Sache. Erst wenn es jemand schafft, sieht man, dass es möglich ist. Der beste Amerikaner ist ein paar Sekunden vor ihr in 2:09:53 ins Ziel gekommen ... da sieht man erst: Wow! Wie ist das möglich? - den idealen Marathon:
Der wird gleichmäßig gelaufen oder in der zweiten Hälfte sogar schneller. Bei ihr war es das Gegenteil. Sie ist extrem schnell gestartet und dann jeden Kilometer langsamer geworden, weil sie ständig Energie verloren hat. Die ersten fünf Kilometer ist sie in 15 Minuten gelaufen! Das muss man erst einmal wegstecken über die ganze Distanz.
- Grenzen:
Man darf sich selbst keine Grenzen setzen. Es gibt kein Gesetz, in dem nachzulesen ist, wie schnell man laufen kann. - offizielle Rekorde:
In Boston könnte man zum Beispiel keinen Rekord laufen, weil die Höhendifferenz vom Start zum Ziel zu groß ist. Teilweise sind die Regeln aber ein bisserl kompliziert. Man denkt, es ist nur Laufen, aber es ist ein ausgeklügeltes System dahinter. - das Material:
Diese neuen Schuhe mit der Carbon-Platte sind für mich ein kontroversielles Thema. Es soll sich um eine Mischung aus Energierückgewinnung und Federwirkung handeln. Man hat vermutlich weniger Druck auf Sehnen und Muskulatur und ermüdet etwas langsamer. Man sagt, dass man ab einer gewissen Geschwindigkeit einen Vorteil daraus zieht, aber ich glaube, das beginnt erst bei circa 3:15 Minuten pro Kilometer. Material spielt überall im Sport eine Rolle. Warum sollte der Laufsport hinterherhinken? Für mich gibt es aber kaum einen Unterschied. Andererseits laufe ich im Wettkampf den vermeintlich schnellsten Schuh, den mir Asics zur Verfügung stellt.
- Technik:
Im Training laufe ich meistens ohne Carbon. Ich laufe sogar oft Barfuß auf der Bahn, auf dem Laufband oder auf der Wiese. Da merke ich, wo ich auftrete und wie sich die Zehen wegdrücken. So kann ich mich technisch weiter entwickeln. Sobald man eine Carbonplatte drinnen hat, fühlt man das alles nicht mehr. Damit verlernt man das Laufen. Mein Trainer glaubt noch immer, dass Carbon ein Schaß ist. Er meint, es geht Energie verloren. Ich glaube, die Ruth wäre am Sonntag mit einem anderen Schuh auch nicht viel langsamer gewesen. Die kann einfach gut laufen und ist fit. - Vergleiche:
Mir gibt ihre Leistung Inspiration und Motivation. Sie kann ihre Halbmarathon-Bestzeit durchlaufen. Wenn ich mir ein Zeitlimit setze, dann liegt das im Marathon bei 2:19 bis 2:21. Ich habe 1:11 beim Halbmarathon stehen – und diese Zeit ist noch nicht ausgereizt. Ich laufe ja erst seit vier Jahren professionell. Warum sollte ich nicht einmal 1:10 mal zwei laufen können? - Pläne:
Ich plane sehr langfristig über die nächsten vier Jahre. Von meiner Bestzeit funktioniert eine Steigerung nicht mehr von heute auf morgen. Vor allem technisch möchte ich mich verbessern. 2028 möchte ich bei den Olympischen Spielen wieder starten. Bis dahin werde ich mich in Richtung 2:22, 2:23 steigern müssen. Aber ich bin mit meinen 2:26 schon extrem stolz und happy.
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