Caroline Bredlinger trotz Schuss zur WM: "Aufgeben war nie Thema"

LEICHTATHLETIK: ÖLV-MEDIENTERMIN VOR WM: BREDLINGER (800 M)
Dass Caroline Bredlinger am Donnerstag im 800-Meter-Lauf in Tokio startet, grenzt an ein Wunder. Als sie 13 war, schoss ihr jemand ins Bein.

Caroline Bredlinger ist in der Form ihres Lebens. Die 24-jährige Burgenländerin ist die schnellste Österreicherin über 800 Meter, lief diese Distanz heuer bereits dreimal unter zwei Minuten und hat bereits im Juni das Ticket für die Leichtathletik-WM in Tokio gelöst, wo sie morgen am Start steht. 

Ihre Karriere – oder vielleicht sogar ihr Leben – hätte 2014 vorbei sein können. Als 13-Jährige wurde Bredlinger angeschossen. Aufgeben war für sie aber nie eine Option, wie sie selbst erzählt:

KURIER: Sie sind gut in Form. Worauf führen Sie das zurück?

Bredlinger: Dass es diese Saison so aufgegangen ist, habe ich anfangs selber nicht geglaubt. Das erste Mal, als ich unter zwei Minuten gelaufen bin, das war so unfassbar! Und als ich kurz danach das WM-Limit abgehakt habe, ist mir eine irrsinnige Last vom Herzen gefallen. Darauf haben wir jahrelang hingearbeitet. Zum einen liegt das am Trainingsaufbau. Wir haben so gut wie möglich, aber auch so schonend wie möglich trainiert. Ich habe heuer keine Verletzungen gehabt. Wir haben am Training herumgeschraubt – und was mehr mental sicher eine Freiheit gegeben hat, ist meine neue Anstellung bei der Justizwache. Ich muss nicht mehr darüber nachdenken, ob ich mir dieses Trainingslager leisten kann oder ob ich dieses Supplement kaufen sollte.

Was bedeutet es für Sie, bei der WM dabei zu sein?

Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung. Ich wollte das immer und jetzt hat es wirklich funktioniert.

Das alles ist nicht selbstverständlich. Als Sie 13 waren, wurden Sie zu Halloween aus heiterem Himmel angeschossen. Was ist passiert?

Ich war mit Freunden spazieren, es war Halloween, wir sind durchs Dorf gegangen und dann haben wir immer mal wieder Knaller gehört. Aber das kannst du nicht zuordnen, du rechnest nicht damit, dass im Ort irgendwer einfach wahllos herumschießt. Wir sind weitergegangen, haben uns nichts gedacht und irgendwann bin ich umgeflogen mit einem Schmerz im Hintern, den ich so nie gespürt habe. Das ganze Bein tat weh, weil es einen Nerv gestriffen hat. Ich bin am Boden gelegen, habe geweint und wir haben nicht gewusst, was passiert ist.

Das Projektil ist in Ihrem Körper stecken geblieben und ist bis heute – also mehr als zehn Jahre später – dort.

Das Projektil ist überhaupt an meinem Beckenknochen in 24 Teile zersplittert. Die Ärzte meinten, die Gefahr wäre größer, beim Versuch, das rauszuoperieren etwas kaputtzumachen, was jetzt noch heil ist. Deshalb entschieden sie, es drinnen zu lassen und zu hoffen, dass nichts passiert. Das ist eingetreten.

Sport Talk mit Caroline Bredlinger

Spüren Sie die Teile?

Ja. Wenn ich länger sitze, merke ich, dass auf der linken Seite etwas anders ist als auf der rechten. Einerseits habe ich oft Schmerzen, zum Beispiel bei längeren Busfahrten zu einem Wettkampf oder beim Fliegen. Andererseits ist mein linkes Bein noch immer schwächer als mein rechtes. Ich arbeite mit Physiotherapeuten dran, das auszugleichen. Denn ich habe am Becken immer wieder Probleme gehabt und am Oberschenkel. Ich merke auch Wetterumschwünge zum Beispiel.

Beim langen Sitzen spüren Sie die Projektil-Teile – wie etwa am Weg nach Tokio. Wie meistert man das?

Viel aufstehen, die richtige Position suchen. Zum Glück hat uns der Verband einen Economy Plus Sitz mit ein bisschen mehr Bewegungsfreiheit gebucht.

Wann haben Sie damals gewusst, dass Sie weiter laufen werden?

Von Anfang an. Also selbst mit 13, wie ich da am Boden gelegen bin, war mein erster oder zweiter Gedanke: „Kann ich noch laufen?“ Es war für mich nie eine Option, aufzuhören. Es hat natürlich extrem schwere Phasen gegeben, so gleich danach wieder anfangen zu laufen. Die ersten Wettkämpfe waren sehr schwierig. Es hätte sehr viele Punkte gegeben, an denen ich aufgeben hätte können, aber es war einfach nie Thema.

Der Körper ist die eine Sache, aber wie haben Sie das aus dem Kopf bekommen?

Anfangs war ich gar nicht in psychologischer Betreuung. Weil es den Eindruck gemacht hat, dass ich das nicht brauche. Ich bin normalerweise hart im Nehmen. Aber auf Dauer war es schwierig. Vor allem in der Pubertät, in einer Zeit, in der man sowieso als Frau teils weniger leistungsfähig ist. Da habe ich entschieden, mich sportpsychologisch betreuen zu lassen. Das hat geholfen. Und mit der Leistung kommt auch das Selbstvertrauen zurück. Mit einem Knopf im Kopf laufen, funktioniert nicht so gut.

Wie geht es Ihnen damit, dass dieses Erlebnis immer wieder Thema ist?

Es gehört zu mir, es ist, wie es ist. Es stört mich nicht, darauf angesprochen zu werden.

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