Als Bernadette Graf bei den Olympischen Spielen in Tokio in ihrem zweiten Kampf von der Gegnerin mit einer Ippon-Wertung aufs Kreuz gelegt wurde, war es, als hätte man ihr den Stecker gezogen. Fünf Jahre hatte die Tirolerin auf diesen Tag hingearbeitet und alles in ihrem Leben dem großen Traum von einer Olympiamedaille untergeordnet. Und dann endet alles rücklings auf der Matte.
Sie verspüre eine große Leere und wisse nicht, wie es weitergeht, hatte Bernadette Graf nach der frühen Niederlage gemeint. „Ich brauche jetzt einige Wochen oder Monate, um eine Entscheidung zu treffen.“
Es hörte sich wie ein Abschied vom Judosport an.
Neun Monate später steht Bernadette Graf wieder auf der Matte und ist ganz in ihrem Element. In ihrem ersten Wettkampf seit den Olympischen Spielen wurde die 29-Jährige in Antalya auf Anhieb Weltcup-Zweite und ist entsprechend aufgekratzt. „Ich bin selbst von mir überrascht“, gesteht die Tirolerin. „Es war richtig, dass ich zurückgekommen bin.“
Graf hat sich diese Entscheidung nicht einfach gemacht. In den ersten drei Monaten nach Olympia blieb ihr Kampfanzug im Kasten, sie wollte nichts vom Judo wissen und vor allem Abstand gewinnen. „Olympia hat extrem an meinen Kräften gezehrt. Die Vorbereitung über die ganzen Jahre war vor allem mental sehr anstrengend. Das hat bei mir dann auf die Motivation geschlagen.“
Klassen-Kampf
Während ihrer Auszeit stellte die Spitzenathletin fest, dass das Feuer für den Leistungssport noch brennt. Vor allem aber kam die 29-Jährige zur Überzeugung, dass sie nicht mit einem Negativerlebnis von der Matte abtreten möchte. „So wollte ich einfach nicht aufhören. Ich bin noch nicht fertig“, erklärt Graf.
Einen Schlussstrich zog die Tirolerin dann aber doch: Sie wechselte die Gewichtsklasse und kämpft nun wieder in der Kategorie bis 70 Kilogramm, in der sie ihre ersten internationalen Erfolge gefeiert hatte und 2016 in Rio de Janeiro Olympia-Fünfte geworden war.
Elf Kilogramm nahm Graf deshalb in den vergangenen Monaten ab, es scheint, als wäre auch viel Ballast von ihr abgefallen. Zwar gewann die 29-Jährige in der Klasse bis 78 Kilogramm im vergangenen Jahr EM-Bronze, „aber richtig heimisch bin ich nie geworden. Ich habe diesen neuen Anreiz gebraucht.“
Der zweite Platz beim Weltcup in der Türkei gibt ihr recht. In der leichteren Gewichtsklasse tut sich Graf augenscheinlich leichter. „Die Gegnerinnen sind kleiner, das liegt mir“, weiß die Polizeisportlerin. In drei Wochen steigt Bernadette Graf wieder auf die Matte und kämpft in Sofia um eine EM-Medaille, im Herbst wartet dann die Weltmeisterschaft.
Viel weiter in die Zukunft will sie im Moment nicht schauen: „Ich möchte mir keinen Druck mehr machen.“
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