Judo-Star Graf: "Darf wieder Leute durch die Gegend schmeißen"
Wurfpuppe, Zugbänder, Solotraining: Wie Olympia-Teilnehmerin Bernadette Graf die Corona-Zeit überstand.
16.07.20, 05:00
Bernadette Graf ertappt sich manchmal dabei, wie sie in Tagträumen versinkt. Dann malt sie sich diesen Sommer aus, wie er ohne Corona aussehen würde. „Wir wären wahrscheinlich schon in Tokio und würden uns dort akklimatisieren“, sinniert die Innsbrucker Judo-Kämpferin. „Deshalb ist Olympia bei mir gerade sehr präsent.“
Die Corona-Krise hat viele Sportler aus der Bahn geworfen und in ein tiefes Motivationsloch gestoßen. Für Athleten, die sich ganz dem Kontaktsport verschrieben haben, waren die vergangenen Monate aber besonders hart.
Als sich die heimischen Fußballer schon längst wieder erbitterte Zweikämpfe und enge Kopfballduelle lieferten, durften Judoka wie Bernadette Graf ihren Gegnerinnen noch mehrere Wochen lang nicht zu nahe kommen und mussten einen Sicherheitsabstand einhalten.
Den Ärger und Frust der 28-Jährigen bekam anfänglich „Speedy“ zu spüren, wie Graf die 25 Kilogramm schwere Wurfpuppe liebevoll nennt, die sie im Solo-Training reihenweise aufs Kreuz gelegt hat. Zudem versuchte sie, mit Zugbändern gewisse Bewegungen und Griffe zu simulieren. „In der Übergangszeit war das gut, damit man’s nicht verlernt. Mit dem richtigen Judo hatte das aber nicht viel zu tun“, sagt die zweifache EM-Medaillengewinnerin.
Motivationsloch
Die Verschiebung der Sommerspiele in Tokio um ein Jahr auf 2021 und die Ungewissheit, wann sie überhaupt wieder in einem Wettkampf auf der Matte stehen darf, machten die vergangenen Monate für sie nicht einfacher. „Die ersten fünf, sechs Wochen nach dem Lockdown habe ich voll trainiert. Dann hat die Motivation nachgelassen. Es ist schwierig, das Level zu halten, wenn man kein Ziel vor Augen hat“, gesteht Graf.
Dass ihre langjährige Trainingskollegin Kathrin Unterwurzacher ihre Karriere nach vier Kreuzbandrissen vorzeitig beenden musste, hat Bernadette Graf zudem getroffen. „Sie wird mir im Training und bei den Wettkämpfen fehlen. Es ist nicht einfach, den Schritt nach Tokio jetzt alleine zu gehen. Tokio war unser gemeinsamer Traum.“
Die Olympia-Fünfte von Rio 2016 hat in der Klasse bis 78 Kilogramm das Ticket für Tokio 2021 schon in der Tasche. Dass sie nun ein Jahr länger Zeit hat, um sich auf die Spiele vorzubereiten, hat nicht nur gute Seiten. „Ich war in Form, mir wäre heuer lieber gewesen. So kann ich halt länger trainieren.“
Zumindest muss sie mittlerweile nicht mehr auf „Speedy“, die Wurfpuppe, zurückgreifen, sondern darf ihre Judogriffe wieder an echten Menschen ausprobieren. In Mittersill absolviert Graf mit dem Nationalteam den zweiten Trainingskurs seit Corona. Fazit: „Endlich darf ich wieder Leute durch die Gegend schmeißen.“
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