Silberberger: "Ihr könnt mich als Austria ja gar nicht holen"
Thomas Silberberger feierte dieser Tage sein zehnjähriges Jubiläum als Coach von WSG Tirol. Seit seinem Amtsantritt am 1.Juli 2013 führte der 50-Jährige den Verein aus der Regionalliga in die Bundesliga. „Ich bin inzwischen unbefristet unterwegs und habe nicht einmal einen Vertrag.“
KURIER: Wie oft wären Sie in den zehn Jahren bei einem anderen Verein bereits vor die Tür gesetzt worden?
Thomas Silberberger: Woanders hätte mich der sportliche Abstieg 2020 sicher den Job gekostet. Da hat uns nur die Pleite von Mattersburg gerettet. Wahrscheinlich wäre es eh nicht so weit gekommen, weil ich schon vorher entlassen worden wäre. Wir waren viele Runden lang Letzter, da ziehen die Vereine normalerweise die Reißleine.
- Der Fußballer
Thomas Silberberger (*3. Juni 1973) gelang der Durchbruch beim FC Tirol. Es folgten Stationen beim GAK, in Salzburg und bei Wörgl. Dort zog sich der Mittelfeldmann einmal beim Torjubel einen Kreuzbandriss zu.
- Der Trainer
Silberberger startete seine Trainerlaufbahn bei Westligist Kufstein und war von 2007 bis 2013 im Amt. Mit 1.Juli 2013 trat er den Trainerjob beim damaligen Regionalligisten WSG Tirol an. Der 50-Jährige führte den Verein in die Bundesliga und saß bis heute 345 Partien für die WSG auf der Trainerbank.
Und warum ist das bei der WSG Tirol anders?
Präsidentin Diana Langes-Swarovski, Sportdirektor Stefan Köck und ich als Trainer – wir haben 2013 praktisch zugleich angefangen. Seit damals sind wir drei das Gesicht des Vereins. Wir haben den Klub extrem gestalten können und auch müssen. Ich behaupte: Mittlerweile taugt es auch dem Verein, dass wir dieses Alleinstellungsmerkmal haben mit mir als Langzeittrainer. Man muss sich ja nur vorstellen: Stefan Köck ist seit zehn Jahren Sportdirektor, der hat noch nie einen Trainer entlassen müssen. Ich sage auch immer: Er ist der beste Sportdirektor, den ich je hatte. Er war halt auch der Einzige.
Haben Sie sich über die Jahre als Trainer verändert?
Was die Fachkompetenz betrifft, habe ich mich sicher enorm weiterentwickelt. Sozialkompetenz und Leadership hatte ich immer schon. Das sind Eigenschaften, die man auch nicht lernen kann. Und ich würde sagen, ich achte heute mehr auf mich.
Inwiefern?
Mein Motorradunfall vor drei Jahren war ein Punkt, an dem ich gesagt habe: So geht es nicht weiter.
Aktuelle Cheftrainer in 1. Fußball-Ligen
Stephen Baxter (Crusaders/NIR)seit 1.7.2005
Frank Schmidt (Heidenheim) 17.9.2007
Qurban Qurbanov (Qarabag FK/AZB) 1.7.2008
Peter Vermes (Kansas FC)10.11.2009
Gary Hamilton (Glenavon, NIR) 15.12. 2011
Diego Simeone (Atlético Madrid) 23.12.2011
Christian Streich (Freiburg)29.12.2011
Ruzikul Berdiev (Nasaf Qarshi/USB) 9.1. 2012
Thomas Silberberger (WSG Tirol) 1.7.2013
Sie hätten damals beinahe den Unterschenkel verloren.
Dieser Unfall hat mich extrem geerdet. Damals im Sommer 2020 war auch der Druck enorm: Covid, wir sind sportlich abgestiegen. Da habe ich gemerkt: Du musst jetzt was tun, sonst fährst du gegen die Wand und hast ein ordentliches Burn-out picken.
Was haben Sie in dieser Situation gemacht?
Ich habe mir professionelle Hilfe geholt und mich mental coachen lassen. Heute bin ich als Trainer sicher viel gelassener und sehe die Dinge nüchterner. Die Routine hilft dabei, im Grunde wiederholt sich ja alles. Ich habe schon so viele Situationen erlebt, deshalb werfe ich auch nicht schnell die Nerven weg.
Wie groß sind denn die Abnützungserscheinungen?
Die letzten zehn Jahre waren sehr facettenreich. Drei Jahre Regionalliga, drei Jahre zweite Liga, jetzt gehen wir in die fünfte Saison in der Bundesliga – wir haben uns permanent adaptieren und verändern müssen und auch die Mannschaft jedes Jahr umgebaut. Das hat sicher dazu beigetragen, dass ich mich als Trainer nicht abnutze.
Und als Mensch, Sie hatten in den letzten zehn Jahren ja kaum Zeit für Urlaub?
Deshalb ist es umso wichtiger, sich immer wieder Auszeiten zu nehmen. Früher war ich 24 Stunden am Tag erreichbar. Das mache ich jetzt nicht mehr. Heute bin ich auch für meinen Sportdirektor manchmal nicht erreichbar. Es ist wichtig, dass du aus diesem Hamsterradl rauskommst.
Apropos rauskommen: Trauen Sich andere Vereine überhaupt, Ihnen ein Angebot zu machen, oder ist das sowieso vergebene Liebesmüh?
Mein Problem ist: Ich bin ja gar nie am Markt. Wenn ein Verein Mitte Oktober die Reißleine zieht und auf Trainersuche geht, dann bin ich nicht verfügbar und deshalb auch kein Kandidat.
Könnten Sie denn ein Feuerwehrmann sein?
Nach der Entlassung von Manfred Schmid als Austria-Trainer habe ich zu Jürgen Werner gesagt: ,Ihr könnt mich als Wiener Austria ja gar nicht holen, weil dann hättet ihr fünf Jahre eine Ruhe.’ Das könnt ihr nicht wollen.
Wie groß ist denn der Reiz, einmal einen anderen Verein zu trainieren?
Ich habe nie einen Karriereplan verfolgt und weiß, was ich an der WSG habe. Ich bin hier glücklich und gut aufgehoben. Wo hat man als Trainer sonst so eine Gestaltungsmöglichkeit? Wirklich interessant wäre sowieso nur ein größerer Verein. Nichts gegen Klubs wie den WAC, aber dafür muss ich Wattens nicht verlassen. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich in zehn Jahren immer noch hier bin.
Viele ihrer Trainerkollegen sind mitunter nur wenige Monate im Amt: Ist der Job undankbar?
Undankbar würde ich nicht sagen. Es ist ein geiler und zugleich auch extrem fordernder Job. Vor allem, wenn du einen Verein trainierst, der unten drinnen ist. Da steigt der Druck ins Unermessliche. Dann verlierst du das Spiel und das Wochenende ist im Arsch. Das färbt ja auch auf die Familie und das Privatleben ab. Ich glaube, es gibt keinen Trainer, der nach einer Niederlage daheim so tut, als wäre nichts passiert. Die sozialen Medien haben es nicht einfacher gemacht, denen bist du hilflos ausgeliefert. Deshalb bin ich da auch nicht dabei.
Klingt nicht nach Traumjob.
Ich glaube, dass sich viele Trainer schwer tun, in diesem Hochdruckkessel zu bestehen und viele auch nahe am Burn-out stehen. Bei mir war es ja nicht anders: Früher konnte ich nach Niederlagen zwei Nächte nicht schlafen. Auf Dauer macht dich das fertig.
Haben Sie das Gefühl, dass die Klubverantwortlichen weniger Geduld haben?
Hundertprozentig. Heute üben ja teilweise auch schon Großsponsoren Druck auf die Klubführungen aus. Die Halbwertzeit eines Trainers liegt jetzt bei neun Monaten. Das wäre in der Privatwirtschaft undenkbar. Keine Firma würde alle neun Monate den CEO austauschen. Im Fußball kommt ein Neuer mit neuen Ideen und bis er sich eingearbeitet hat, ist er schon wieder weg. Eigentlich ist das ein Wahnsinn.
Insofern sind Sie auf einer Insel der Seligen.
Das habe ich mir gemeinsam mit Stefan Köck aber auch erarbeitet. Man kann sich vorstellen, wie viele Leute versuchen, bei Diana Langes-Swarovski Einfluss auszuüben. Unsere Präsidentin ist eine globale Netzwerkerin, bei der melden sich immer wieder Leute, die sich für einen Job bei der WSG empfehlen wollen.
Tatsächlich?
Ich weiß aus hundertprozentiger Quelle, dass sich Pipo Gorosito bei uns als Trainer beworben hat. Dem war das scheißegal, dass ich hier Trainer bin. Der hat wirklich geglaubt, der kann das machen, weil er als Spieler seinerzeit in Tirol Erfolge gehabt hat. Irre.
Die wenigsten wissen, dass Sie in Wörgl eine Landwirtschaft besitzen. Macht es das leichter in diesem Trainer-Getriebe?
Ich habe zumindest keine Existenzängste. Sollte ich einmal keinen Verein haben, wäre der Druck nicht da, sofort wieder einen Trainerjob zu finden. Erstens habe ich ein gewisses finanzielles Fundament durch die Riesenlandwirtschaft. Und zweitens bin ich keiner, der auf großem Fuß lebt. Ich bin ein ganz einfach gestrickter Mensch. Ich habe keine Uhr, ich besitze keine zwei Hemden, am liebsten fahre ich mit meinem Lieferwagen durch die Gegend. Ich möchte einmal selbst entscheiden: Dann lass’ ich es als Trainer, kaufe mir ein Paar Viecher, fahre daheim mit dem Traktor herum. So kann ich mir meine Zukunft vorstellen.
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