Migranten: Wie wichtig die Diaspora für Nationalteams bei der WM wurde
Als Achraf Hakimi den entscheidenden Elfmeter im Achtelfinale gegen Spanien verwandelte, schoss er seine eigene Heimat aus der WM – zugunsten der Heimat seiner Eltern. Hakimi ist als Sohn marokkanischer Einwanderer in Madrid geboren und hat dort Fußballspielen gelernt.
Ähnlich, aber doch etwas anders ist die Situation bei Breel Embolo, der mithilfe seines Tores für das Team des Landes, in dem er lebt (Schweiz), gegen jenes gewonnen hat, in dem er geboren ist (Kamerun). Wie Embolo und Hakimi waren bei dieser WM insgesamt 137 Spieler für das Team eines Landes in Katar, in dem sie nicht geboren wurden.
Das Phänomen ist nicht neu, doch allein der Fakt, dass bei dieser WM 16 Prozent aller Teilnehmer für ein anderes Land auflaufen als jenes, in dem sie geboren sind, zeigt, dass die Verbände immer mehr auch in ihrer Diaspora – oft in Europa – fündig werden, wenn sie gute Spieler suchen.
Im marokkanischen Verband, der am Samstag gegen Portugal um den historischen Halbfinaleinzug für Afrika spielt (16 Uhr MEZ/live ServusTV), förderte Präsident Fouzi Lekjaa seit Jahren die Einbindung der im Ausland lebenden Marokkaner ins Team.
In Linz beginnt’s
Die Auswirkung der Migration der vergangenen Jahrzehnte wird bei dieser WM deutlich sichtbar. Und so hat es auch die österreichische Flagge auf eine Infografik der WM geschafft: Bei Kroatien durften zwei Linzer nach Katar mitfahren. Neben Luka Sučić ist das mit Mateo Kovačić ein absoluter Schlüsselspieler.
Laut FIFA-Statuten darf ein Spieler, der mehrere Staatsbürgerschaften besitzt, dann für ein Land antreten, wenn entweder er, ein Elternteil oder Großeltern in jenem Land geboren sind oder er selbst dort längere Zeit gelebt hat. Dass Titelverteidiger Frankreich von dieser Entwicklung besonders stark profitiert, liegt an der Kolonialgeschichte des Landes und der damit zusammenhängenden Migration der jüngeren Vergangenheit. Dass mit der Herkunft und den Hautfarben der französischen Spieler jahrelang Polemik in allen Lagern der französischen Politik betrieben wurde, ist hinlänglich bekannt.
Umgekehrt kann aber bei dieser WM auch beobachtet werden, dass etliche Spieler, die in Frankreich geboren sind, für die Herkunfts- oder Heimatländer ihrer Eltern auflaufen. 59 Spieler bei dieser WM sind in Frankreich geboren, nur 22 davon stehen im Kader Frankreichs. Zehn liefen für Tunesien auf, neun für Senegal, acht für Kamerun, zwei sind für Marokko dabei und je ein im Ausland geborener Fußballprofi war mit Deutschland, Spanien, Portugal und Katar bei der Endrunde.
Apropos Katar: Zehn Spieler im Kader des Gastgebers sind im Ausland geboren – wie auch bei Senegal, Tunesien und Kamerun. Aber in Katar gelten migrantische Staatsbürger als Menschen zweiter Klasse. Ob sie überhaupt im Land bleiben können, war nach dem raschen Ausscheiden in der Gruppenphase vorerst unklar.
In anderen Ländern hingegen werden diese Fußballer oft zu den größten Helden des Landes – aus verschiedensten Gründen. In Afrika etwa, wo die Infrastrukturen der Verbände oft nicht so professionell sind wie in Europa, freut man sich über in Frankreich, Belgien oder Deutschland ausgebildete Profis als Lichtgestalten für das Nationalteam.
Umgekehrt sind Fußballer mit Migrationshintergrund etwa in Deutschland oder der Schweiz (und auch in Österreich) oft die Besten ihres Teams. Das habe mit der Sportsituation in diesen Ländern zu tun, glaubt der Schweizer Sportsoziologe Fabien Ohl: „Für Einwanderer ist der Zugang zu anderen Sportarten als Fußball oft nicht einfach“, manche seien einfach zu aufwendig oder zu teuer. Leichter finden sie zum Fußball. „Und weil Identifikationsfiguren häufig mit Einwanderung zu tun haben, zieht dieser Sport wiederum Migrantenkinder an“, sagt Ohl. Ein Kreislauf, in dem der Fußball rollt.
Weltweites Nationalteam
Das Team mit den meisten auswärts geborenen Spielern ist Marokko (14 der 26 Teamspieler). Bei Senegal und Tunesien sind es 38 Prozent, bei der Schweiz und Frankreich knapp über 10 Prozent
137 Spieler sind im Ausland geboren
16 Prozent aller WM-Teilnehmer liefen für Länder auf, in denen sie nicht geboren sind. Mit Abstand die meisten Spieler dieser WM sind in Frankreich geboren (59)
100 % Im Land geboren
Keine im Ausland geborenen Spieler gibt es bei den Teams aus Argentinien, Brasilien, Südkorea und Saudi-Arabien
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