Ursachen für Österreichs bittere 0:6-Pleite gegen Deutschland

Verena Hanshaw wirkte nach dem enttäuschenden 0:6 gegen Deutschland nicht so, als würde sie am Tag danach nochmal mit ihren Teamkolleginnen das Spiel analysieren wollen. "Schauen wir mal", antwortete sie auf die entsprechende Frage.
Teamchef Schriebl hatte eine andere Idee. Er wollte jedenfalls nicht am Abend der Niederlage zu viel analysieren: "Sondern dann erst, wenn wir es uns genau angeschaut haben. Dann werden wir uns in einem anderen Rahmen treffen und daraus unsere Schlüsse ziehen."
Wie konnte die höchste Niederlage in der Geschichte des österreichischen Frauen-Nationalteams passieren?
- Schlechter Start
Wer nach 13 Sekunden das erste Tor kassiert, muss sich vorwerfen, den Ankick verschlafen zu haben. Zunächst sah es so aus, als hätte sich das Team von dem frühen Rückschlag nicht einschüchtern lassen und hat postwendend zwei Chancen herausgespielt. Doch beide wurden nicht verwertet.
- Chancenauswertung
Damit gelangt man zu einem Thema, das bereits beim 1:0 in Glasgow gegen Schottland auffällig war. "Das ist ein großer Punkt. Wir haben uns vorgenommen, die wenigen Chancen, die wir gegen einen Gegner wie Deutschland kriegen, zu nutzen. Auch das ist uns nicht gelungen", so Hanshaw. Die mangelnde Chancenverwertung wollte das Team vor der Partie gegen Deutschland nicht zu schwer wiegen lassen. "Es gibt eben Spiele, wo nur einer reingeht", hatte Julia Hickelsberger-Füller in Schottland gesagt, die zwar das eine Tor geschossen hat, die sich aber mangelnde Abschlusssicherheit nachsagen lassen muss.
- Zweikampfschwäche
Hanshaw war bereits in der Pause sprachlos. "Wir hatten ein Ziel, einen Plan. Der ist von der ersten Sekunde in die Hose gegangen. Warum kann ich nicht sagen", sagte sie über die bitterste Niederlage in ihrer bereits langen ÖFB-Teamkarriere. "Sowas habe ich noch nicht erlebt." Man sei stets einen Schritt zu spät gewesen, nicht in die Zweikämpfe gekommen, wenn man in den Zweikampf gekommen ist, habe man den "nicht durchgezogen". Sowohl mental, als auch physisch wird hier noch zu arbeiten sein.
- Teamleistung
Verena Hanshaw sprach von einem "Gesamtenversagen als Team" in der ersten Halbzeit, man könne niemandem einzeln den Schwarzen Peter zuschieben. Die Gegentore waren viel zu einfach. Tatsächlich schien oft die Abstimmung nicht zu passen. "Teilweise haben wir uns hinten zurückgezogen während vorne die Stürmerinnen ihre Gegnerinnen angegangen sind", gab Schriebl zu. Riesige Lücken taten sich auf, die die Deutschen effizient zu nutzen wussten. "Wir haben es diesmal nicht geschafft, stabil und kompakt zu bleiben", sagte der Teamchef, der nach vorne blickt: "Individuell und taktisch können wir aus diesem Spiel sehr viel lernen."
- Taktische Umstellungen
In der Pause versuchten sich die Österreicherinnen wieder zu sammeln. "Es war wichtig, den Reset-Button zu drücken und zu sagen, dass wir diese Halbzeit jetzt ordentlich zu Ende spielen wollen", sagt Schriebl. "Wir haben versucht, kein Tor mehr zu bekommen. Da geht es auch ein bisschen um die Ehre", so Hanshaw. Das Team stellte von der Raute im Mittelfeld auf eine Fünferkette um, bei der sich Mittelfeldspielerin Sarah Zadrazil zurückfallen ließ. Das hätte "dynamisch" schon in Hälfte eins passieren sollen. "Dabei taten wir uns schwer, dass das alle so machen, wie wir es uns vorgenommen haben", kritisiert Schriebl. Nachdem man in der Pause besprochen hatte, "wer wann wie die Anläufe macht", sei man in der Defensive stabiler geworden.
- Präzision
Die Kreativität im Spiel mit dem Ball ist beim Team von Alexander Schriebl durchaus vorhanden. Doch neben der Chancenauswertung kann der Teamchef mit seinen Spielerinnen auch an der Präzision noch einiges verbessern.
- Leadership
Kapitänin Sarah Puntigam saß gegen Deutschland auf der Bank ebenso wie Torfrau Manuela Zinsberger. Zwei langjährige Leaderinnen im Team. Auch Spielerinnen wie Sarah Zadrazil und Verena Hanshaw haben Erfahrung und Führungsqualitäten, doch gegen die Deutschen hatten sie defensiv vielleicht zu viel um die Ohren. Es spricht allerdings für Moral und Leadership, dass sich das Team in Hälfte zwei noch einmal aufraffte und kein Gegentor erhielt. Etwas, auf dem man jetzt aufbauen kann.
- Abstand zu den großen Nationen
Im Heimspiel gegen Deutschland, aber auch bereits im Hinspiel, wurde deutlich, wie groß die Lücke zu den starken Frauenfußball-Nationen wirklich ist. Kleine Fehler, Unachtsamkeiten und Abstimmungsprobleme werden von Gegnerinnen wie den Deutschen mit deren Präzision und Schnelligkeit eiskalt ausgenützt. Die Lücke war bei den erfolgreichen EM-Auftritten der Österreicherinnen 2017 und 2022 bei Weitem nicht so groß. Doch während der Frauenfußball in anderen Ländern boomt und in die Breite wächst, kämpft man in Österreich mit einer langsamen Entwicklung. Wenn man diesen Anschluss versäumt, wird es künftig noch schwerer - und Nationen wie England, Deutschland oder Spanien, aber auch vergleichbarere Gegner wie die Schweiz oder Portugal könnten das österreichische Team weiter abhängen.
Auslosung zum Play-off
"Wir müssen das Spiel analysieren - oder vielleicht auch einfach nur abhaken", resümierte Hanshaw, merkbar enttäuscht. "Ende der Saison kommen einige Parameter zusammen", so die England-Legionärin. "Die eine Niederlage soll dennoch nicht alles, was wir uns erarbeitet haben, in den Schatten stellen."
Das Minimalziel Play-off haben die ÖFB-Frauen ja bereits erreicht. Im Herbst geht es um den Verbleib in Liga A mit attraktiven, aber schweren Gegnerinnen. Die Gegnerinnen werden am Freitag (13 Uhr) in Nyon in Anwesenheit von Teamchef Schriebl ausgelost. Laut Weltrangliste wäre Nordirland (44.) der leichteste Gegner, weitere mögliche Konkurrenten sind Finnland (25.), Irland (26.) und Tschechien (30.).
Die ÖFB-Spielerinnen werden zu dem Zeitpunkt schon im Urlaub sein. "Es war eine lange Saison, gut, dass der Urlaub jetzt kommt", sagte Zadrazil.
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