Historische Wende in Hütteldorf: Rapid ändert die Fan-Politik
Der 21. Juni 2020 war für Rapid ein Desaster. Die 0:1-Niederlage gegen Hartberg hat dabei noch den geringsten Schaden hinterlassen. Das sexistische Fan-Transparent im Block West, die zögerliche Reaktion des Vereins mit der Abnahme des Banners erst knapp vor Spielbeginn, das relativierende Sky-Interview von Geschäftsführer Peschek danach – eine Selbstbeschädigung von ungeahntem Ausmaß.
Während einige Großsponsoren rasch mit Konsequenzen bis hin zur Vertragskündigung drohten, gab es von der organisierten Fanszene keine Äußerungen. Im Hintergrund ist umso mehr passiert, wie Stefan Singer im KURIER-Gespräch einen Monat nach dem grün-weißen Eigentor erklärt.
„Die Reaktionen in der Öffentlichkeit waren für die Fanszene ein echtes Schockerlebnis“, erzählt Singer, der im Präsidium für Vereins- und Fan-Angelegenheiten zuständig ist. Das Transparent wäre laut Block West – unglaublich aber wahr – „nicht böse gemeint gewesen“, dem Kampf gegen Geisterspiele sollte mit einem deftigen Reim Ausdruck verliehen werden.
„Der Schaden ist angerichtet. Jetzt geht es darum, für den Verein und seine Fans daraus etwas Positives entstehen zu lassen“, sagt Singer. Aber wie soll das gehen?
Nach rund 20 Jahren wird die seit der Ära Edlinger übliche Fan-Politik verändert. Bislang galt der Grundsatz: Alles, was nicht per Gesetz verboten ist, wird erlaubt. Künftig dient das eigene, 2015 in den Satzungsrang gehobene Leitbild als Leitplanke.
Sätze wie „Der SK Rapid ist offen. Menschliche Vielfalt war und ist der Motor unseres Erfolgs“, oder „Unsere Gegner behandeln wir hart, aber fair und mit Respekt“ werden die neue Grenze, für die übliche „Herabwürdigung des Gegners", die seit Jahrzehnten ein „Stilmittel“ der europäischen Fanszenen bildet, darstellen.
Singer: „Die Meinungsfreiheit bleibt garantiert, aber es gibt ethische Grundsätze, die künftig verstärkt beachtet werden müssen. Ich verspreche, dass Diskriminierung und Gerechtigkeit verstärkt thematisiert werden.“
34 entscheidende Sätze
Das Leitbild wurde in einem einjährigen Prozess entwickelt. Dafür wurden in allen Bereichen des Vereins (Mitarbeiter, Spieler, Legenden, Fans) insgesamt 800 Interviews geführt. Am Ende wurde um jedes Wort der 34 Sätze gerungen. „Das Ergebnis spiegelt die Meinung der Rapidler wider, dafür ist das Sample groß genug“, ist Singer überzeugt.
Der Fußballplatz ist ein Biotop, um Druck abzulassen, und das soll er – zumindest in Hütteldorf – bleiben: Rapid soll kein Hochglanzprodukt werden“
Der Unternehmer aus Floridsdorf weiß nach jahrzehntelanger Verbindung zur Fanszene aber auch: „Irgendwann wird es wieder Vorfälle geben.“
Warum es keine härteren Sanktionen gibt? „Nur mit Verboten und Diktaten wird es nicht gehen. Man muss Akzeptanz schaffen. So wie damals im Kampf gegen Rechtsextreme, die den Block unterwandern wollten, und die Fanszene sich dann selbst gereinigt hat.“
Kein Hochglanz
Der Fußballplatz war für Singer „immer auch ein Biotop, um Druck abzulassen, und das soll er – zumindest in Hütteldorf – bleiben: Rapid soll kein Hochglanzprodukt werden.“
Die Gefahr, dadurch Geld zu verlieren, ist aber größer als jemals zuvor.
Bereits vor dem Transparent-Eklat gab es von Sponsoren den Wunsch, die Zahlungen während der Corona-Krise zu reduzieren. Jetzt haben die Geldgeber auch ein starkes Argument zur Verfügung.
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