Fanforscher: „Der Fußball ist entzaubert“
Seit zwei Wochen rollt in der Deutschen Bundesliga wieder der Ball. In Österreich wurde am Freitag mit dem Cup-Finale der Spielbetrieb wieder aufgenommen. Der Fußball von heute ist aber ein anderer als noch vor wenigen Monaten. Harald Lange, Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg, erforscht seit vielen Jahren alles rund um den Fußballkult und dessen Fans. „In den vergangenen Wochen haben wir schon eine leidenschaftliche Diskussion der verschiedensten Interessensgruppen des Fußballs erleben können“, sagt Lange im KURIER. „Die zentrale Frage ist: ,Was für einen Fußball wollen wir denn eigentlich?’ Oder negativ formuliert: ,Was wollen wir nicht, oder nicht mehr haben?’’
KURIER: Herr Lange, wollen die Fans denn Geisterspiele?
Harald Lange: Da muss man trennen zwischen dem Fußballkonsumenten und der aktiven Fanszene. Aus den Fanszenen, die sich sonst das ganze Jahr über mit Fußball beschäftigen, kommt deutliche Kritik. Das geht sogar soweit, wie ich aus Gesprächen mit Vertretern erfahren habe, dass viele gar nicht wissen, gegen wen ihr Verein am Wochenende eigentlich spielt.
Sie wenden sich also gerade vom Fußball ab?
Die sind ausgestiegen, die interessiert das jetzt einmal nicht mehr. Die wenden sich entnervt ab, weil sie enttäuscht sind von den Entwicklungen im Fußball, in dem es nahezu ausschließlich um Kommerz geht. Das ist jetzt gerade wieder sichtbar geworden.
Harald Lange, geboren 1968, ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg und Inhaber des dortigen Lehrstuhls für Sportwissenschaft. Dazu ist er Gründer des Instituts für Fankultur e.V. und Dozent für Sportpädagogik an der Trainerakademie des DOSB in Köln. Von 2008 bis 2009 war er auch Gastprofessor an der Universität Wien.
Der Deutsche verfolgt den Fußball nicht nur als Wissenschafter, sondern auch als Fan. „Ich habe natürlich persönliche Vorlieben und Interessen, die durchaus auch einmal wechseln können“, verrät er.
Ohne Geisterspiele würden viele Klubs diese Krise aber wahrscheinlich finanziell nicht überleben.
Es ist völlig nachvollziehbar, warum jetzt gespielt wird. Aber wenn etwas einfach nur pragmatisch und logisch und monetär geleitet ist, dann ist die ganze Faszination, die den Fußball vorher mit Bedeutung aufgepumpt hat, dahin. Das ist genau das, was wir im Moment erleben. Der Fußball ist entmystifiziert, er ist entzaubert. Er ist jetzt einfach banal, ein Wirtschaftszweig wie viele andere. Es geht um Tausende Arbeitsplätze, es geht um die Interessen derer, die dort Geld verdienen. Das ist legitim, keine Frage. Aber das entzaubert den Fußball nun einmal massiv.
Apropos entzaubern. Was halten Sie davon, dass TV-Zuseher neuerdings Fangesänge zuschalten können, damit die Geisterspiele stimmungsvoller wirken?
Ich sehe solche Sachen sehr ambivalent. Die dahinter stehende Idee mag ja durchaus redlich sein, aber letztlich führt das dazu, dass man den Fußball als gesellschaftliches Ereignis beinahe lächerlich macht.
Der Fußball galt stets als krisensicher. Globale Probleme schienen am Fußball immer abzuprallen. Hätten Sie gedacht, dass es den Fußball so hart treffen könnte?
Dass es so schnell passiert, das hat niemand vorhersehen können. Was man aber schon gemerkt hat: Die gesellschaftliche Akzeptanz bröckelt seit drei, vier Jahren. Die Unzufriedenheit, die von den deutschen Fanszenen auch durch originelle Zeichen des Protestes immer wieder in die Stadien und damit auch in die Medien getragen wurden, wären eigentlich schon so ein Alarmsignal gewesen. Da hätten die Chefetagen des Profifußballs sich schon die Frage stellen müssen. ,Was machen wir da eigentlich?‘ Der Handlungsdruck war offenbar noch nicht groß genug. Jetzt ist er umso massiver, weil die Krise praktisch über Nacht kam. Corona ist ein richtiger Hammer für den Profifußball.
Glauben Sie, dass die Corona-Krise den Fußball nachhaltig verändern wird?
Der Fußball wird sich dadurch definitiv verändern. Wobei ja Veränderung sowieso immer stattfindet, der Fußball von heute ist ein anderer als der Fußball zur Jahrtausendwende. Die entscheidende Frage ist für mich nur: Wer steuert diesen Kurs? Wer hat darauf Einfluss? Geht es nur um Kommerzdenken oder besteht die Möglichkeit, Formen von Ökonomie und Wirtschaft zu finden, die es schaffen, Faninteressen, Spielerinteressen, Medieninteressen gewissermaßen zu berücksichtigen und mitzunehmen.
Wäre das aus Ihrer Sicht notwendig?
Es wäre deshalb wichtig, um diesen gesellschaftlichen Rückhalt, den dieser Sport seit Beginn an nahezu kompromisslos hatte, wieder herzustellen und weiter zu pflegen. Denn eines sollte jedem klar sein.
Was denn?
Ohne gesellschaftlichen Rückenwind ist der Fußball auch aus ökonomischer Sicht schlicht nichts wert. Und dieses Nichts meine ich tatsächlich so. Man kann nur deshalb im Fußball so viel Geld verdienen, weil es vollgepumpt ist mit Bedeutung. Weil Menschen aus der Gesellschaft den Fußball für wichtig erachten.
Ich bin zuversichtlich, dass der Fußball in fünf Jahren besser dasteht, als er jemals dastand."
Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft wagen: Wie wird die Fußball-Landschaft in fünf Jahren aussehen?
Die Corona-Krise hat den Fußball ganz hart getroffen. Und zwar an einer Stelle, die dann auch die Chefetagen merken. Nämlich in der Finanzkraft des Ganzen. Man merkt jetzt sehr schmerzhaft, es ist nicht einfach so gegeben, dass die Geldflüsse immer weiter steigen. Sondern puff – und auf einmal wird das Ganze gekappt. Idealerweise führt das jetzt zum Diskurs aller Beteiligten. Ich bin zuversichtlich, dass der Fußball in fünf Jahren besser dasteht, als er jemals dastand.
Was macht Sie so sicher?
Aber nicht etwa hinsichtlich der Gelder, die da gezahlt werden oder in Form von Umsatzzahlen. Daran darf man den Fußball nicht bemessen. Sondern es wird eine völlig neue Währung in der Beurteilung des Fußballs Einzug halten. Die wirkliche Wertigkeit heißt Bedeutungsanstieg in der Gesellschaft. Das wäre die zentrale Währung.
Kommentare