Hilft dieses Verhalten dem Spitzensport in der gesellschaftlichen Wahrnehmung?
Ich glaube schon. Es gibt berechtigte Kritik an den extrem hohen Gagen im Profifußball. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Gehaltsschere ein wenig schließen lässt. Die Krise und die Schicksale, die sie erzeugt, machen einen Großteil der Menschen sehr bescheiden. Für junge Leute ist Gesundheit nichts, wofür man groß dankbar sein muss, sie ist einfach gegeben. Das ändert sich gerade. Einigen könnte das nun erstmals richtig bewusst werden. Und sobald man das eigene Leben und seine Umwelt reflektierter betrachtet, verliert der Sport diese exorbitante und übertriebene Wichtigkeit, die er bekommen hat.
Wie wird sich das bemerkbar machen?
Attraktivität, also Äußerlichkeit, hat in der Gesellschaft bei der Bewertung von Menschen eine zentrale Rolle eingenommen. Andere Bereiche wurden stark in den Hintergrund gerückt. Nun sieht man, etwa am Beispiel des deutschen Virologen Christian Drosten, wie großartig es ist, dass es so intelligente Menschen in einem Land gibt, die sich noch dazu so ausdrücken können, dass es jeder versteht. Es werden intellektuelle Werte vermittelt, bei denen der Sport – und andere gesellschaftliche Bereiche ebenfalls – nicht mithalten können. Ich glaube, dass vieles davon auch nach der Krise in unserem Bewusstsein noch eine Rolle spielen wird.
Diese Meinung wird in der Sportwelt womöglich nicht überall gut ankommen …
Mag sein. In einer Fernsehdiskussion hat Dortmund-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke auch gleich gemeint, ich, der Philosoph, hätte ein Problem mit dem Fußball. Er kannte leider meine Biografie nicht. Zum anderen hatte er damals vor drei Wochen noch nicht verstanden, dass diese heraufziehende Krise seinen Fußball massiv bedroht und Teile zerstören kann. Im deutschen Fußball ist das Problem lange nicht erkannt worden. Die aktuelle Situationen hat ganz klar etwas aufgezeigt.
Was denn?
Dass an der Führungsspitze des Weltsports zu einem großen Teil amateurhafte Denker am Werk sind. Sport ist ein in sich geschlossener Kosmos. Der Austausch mit anderen Gesellschaftsbereichen ist kaum gegeben. Selbst das Wechselspiel mit der Ökonomie ist überschaubar. In England hilft man sich damit, indem sich Klubs von Oligarchen, Milliardären und autoritären Staaten durchfüttern lassen. Ein vernünftiges ökonomisches Konzept sieht freilich anders aus.
Der deutsche und der österreichische Fußball sind dadurch geprägt, dass die Mehrheit der Vereinsmitglieder das Sagen behält. Das muss Ihnen gefallen.
Was Fußball angeht, bin ich ein konservativer Mensch. Da nehme ich doch lieber in Kauf, dass Vereine strukturell nicht so gut geführt werden, aber ihre Identität erhalten. Nostalgie ist ein wesentlicher Bestandteil des Sports. Zudem ist Sport ein sehr regionales Phänomen und in manchen Gebieten mittlerweile das einzig verbliebene identitätsstiftende Element, etwa im Ruhrgebiet. Die Kunst ist es, dass man neben aller Nostalgie und Regionalität auch einen kräftigen Modernisierungsschub braucht. Ein Verein, der das zum Leidwesen einiger perfekt vormacht, ist der FC Bayern München.
Was bedeutet die Krise für die Nebensportarten mit ihren kleinen Klubs?
Der Ausfall von internationalen Meisterschaften bedeutet den Wegfall fast aller Einnahmen. Die kleinen Vereine in Deutschland und wohl auch in Österreich leben stark von regionalen Unterstützern. Oft ist das ja gar kein echtes Sponsoring, weil der Werbeeffekt so gering ist. Es ist vielfach Liebhaberei. Und gerade diese Unterstützer, sofern es sie dann überhaupt noch gibt, werden nach dem Ende der Krise noch genauer überlegen, wofür sie ihre Mittel ausgeben.
Springen wir in die Zukunft, wenn der Sport allmählich wieder erwacht. Besteht die Gefahr, dass sich dann alles noch stärker auf den Fußball konzentriert?
Es gibt da zwei Szenarien. Bei dem einen verlieren viele Sportarten die Möglichkeit, international erfolgreiche Athleten auszubilden. Viele sind Studenten, die womöglich lieber schnell ihr Studium beenden, als bei Olympia Sechster zu werden. Andere Nationen wie Russland oder China werden darunter weniger leiden, die werden das nötige Geld für den Sport immer aufstellen. Da sehe ich Deutschland und Österreich in einer schlechten Situation. Wenn der Staat das nicht ausgleichen kann oder will, werden viele Sportarten auf absolut niedrigstem Niveau weitergeführt werden. Das ist das pessimistische Szenario, das auch den Fußball erfassen und verändern könnte.
Inwieweit?
Die Klassenunterschiede würden noch stärker zu spüren sein, was den Meisterschaften schadet. Womöglich bleiben auch in der Spitze weniger Klubs übrig. Treibt man den Gedanken auf die Spitze, ist das der ideale Zeitpunkt, um die schon öfter angedachte europäische Superliga oder gar eine Weltliga zu gründen. Der natürliche Ausleseprozess wäre erfolgt.
Wie sieht Ihr optimistisches Szenario aus?
Eine neue Bescheidenheit hält Einzug und die Bereitschaft, für weniger Geld anzutreten. Vielleicht rückt sogar die soziale Aufgabe des Sports in den Vordergrund, was auch der Staat goutieren müsste.
Eine romantische Idee ...
Stimmt schon. Alle durchzufüttern, ist eine Auffassung, die der kapitalistischen Idee des modernen Sports widerspricht. Allerdings ist die rein kapitalistische Auffassung des Sports nicht erstrebenswert. Sie hat zwar dazu geführt, dass das Leistungsniveau extrem nach oben gegangen ist, sie hat aber gleichzeitig den Sport auch an den Rand der Gesellschaft getrieben. Das System hat Fußballer zu Individuen gemacht, die sich dem normalen Leben weitgehend entzogen haben.
Kommentare