Marc Janko über das ÖFB-Team: "Ein Tanz auf der Rasierklinge"

KURIER-Kolumnist Marc Janko.
Darf Österreich bei der EM den Anspruch haben, die Vorrunde zu überstehen? "Ich denke schon", sagt der Ex-Teamspieler.

Zuletzt hat ein Interview von mir zum Nationalteam und zu Teamchef Franco Foda für Aufsehen gesorgt. Dabei möchte ich festhalten, dass Foda nicht unerfolgreich spielen lässt, sondern dass er vielmehr einen Zugang zum Fußball hat, der eher auf Kontrolle basiert als auf Pressing. Und gleichzeitig ist es ein Fakt, dass viele Teamspieler bei ihren Vereinen einen anderen Fußball spielen und verinnerlicht haben, nämlich Pressing und Umschaltspiel. Das ist eine Tatsache und keine Wertung. Generell wird das allgemeine Geplänkel vor einem Turnier zur Nebensache, wenn das erste Spiel in der Gruppe absolviert wird.

Welche Bedeutung dem ersten Spiel zufällt, das haben wir leidvoll 2016 gegen Ungarn erfahren. Mit einem Sieg hätten wir uns vielleicht in einen Rausch gespielt, wie das bei diesem Turnier Island gelungen ist, das auch nicht unbedingt mit einem Offensiv-Spektakel erfolgreich unterwegs war und bis ins Viertelfinale kam.

Extremsituation

Mit dem ersten Spiel kann somit auch die Stimmung innerhalb des Teams ins Positive oder Negative kippen. Unbestritten ist eine gute Atmosphäre in einer Gemeinschaft, die über Wochen zusammenpickt, extrem wichtig. Diesmal ist es noch schwieriger aufgrund der Extremsituation, weil man ja seine Corona-Blase nicht verlassen darf. Wir durften uns 2016 an einem freien Tag immerhin unter Menschen mischen, den Kopf auslüften und uns in ein Kaffeehaus setzen. Das ist jetzt alles nicht möglich, weil man aufgrund von Corona mit niemandem in Berührung kommen soll. Immerhin wird man die Familien unter Auflagen treffen dürfen.

Das Trainerteam muss in dieser Phase der Vorbereitung natürlich die richtige Balance finden zwischen intensiver Arbeit auf dem Platz und den nötigen Freiheiten für die Spieler abseits des Feldes. Empathie und Fingerspitzengefühl sind hier gefragte Tugenden, wobei es für den Teamchef auch ein Tanz auf der Rasierklinge werden kann, wenn er den Spielern vielleicht zuviel Gehör schenkt. Das Um und Auf ist meiner Meinung nach, dass ein Trainer der Nummer 1 bis zur Nummer 26 das Gefühl vermittelt, wichtig für die Mannschaft zu sein. Wenn man es schafft, dass sich ein Spieler gebraucht fühlt, dann wird er viel eher akzeptieren, dass er eventuell nicht spielt und auf der Bank Platz nehmen muss.

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Nur im Kollektiv

Darf Österreich den Anspruch haben, die Vorrunde zu überstehen? Ich denke schon, weil wir eine gute Mannschaft besitzen, vielleicht nicht ein internationales Top-Team, aber einen Kader, der in der Breite so gut wie nie zuvor ist. Natürlich kommt Österreich nur über das Kollektiv zum Erfolg, das ist auch allen klar. Auch wenn wir individuell gute Spieler in sehr guten Ligen bei namhaften Vereinen haben.

Ein Wort noch zu Kapitän Julian Baumgartlinger. Ich hoffe, dass er sich im Training am Samstag nicht ernsthaft verletzt hat und wünsche ihm alles Gute. Denn sollte der Kapitän ausfallen, dann wäre das nicht nur für ihn persönlich, der sich zurückgekämpft hat, schlimm, sondern auch für das ganze Team. Sein Wort hat nicht nur auf dem Platz Gewicht, sondern auch außerhalb, nicht umsonst ist er seit einigen Jahren Kapitän dieser Mannschaft.

Marc Janko ist Fußball-Experte bei Sky – der 36-Jährige spielte 70-mal für das Nationalteam und erzielte 28 Tore.

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