Bilanz: Die Tops und Flops der WM-Gruppenphase
Nach der Gruppenphase ist vor der K.o.-Phase - und während bei der Fußball-WM am Freitag der erste spielfreie Tag seit dem Eröffnungsspiel zwischen Russland und Saudi-Arabien am 14. Juni ansteht, ist es an der Zeit, eine erste Bilanz über diese Gruppenphase zu ziehen - darüber, wer überraschen konnte, und darüber, wer enttäuscht hat.
Top: Der Gastgeber
Die Gruppe mag eine der schwächeren sein, nominell - zumindest nach den Platzierungen in der Weltrangliste - sogar die schwächste, aber Russlands Auftritt vor heimischem Publikum war durchaus ansehnlich. Nach den enttäuschenden Testspielen vor dem Ankick in Moskau gegen Saudi-Arabien hatten wenige der Mannschaft von Stanislaw Tschertschessow zugetraut, den Sprung ins Achtelfinale zu schaffen.
Letztlich gelang das aber - und das sogar sehr überzeugend. Mit einem 5:0-Schützenfest gegen Saudi-Arabien und einem 3:1-Sieg gegen Ägypten stand schon früh fest, dass die Russen in der K.o.-Phase mit dabei sein würden. Die klare 0:3-Niederlage gegen Uruguay am letzten Gruppenspieltag ist zwar schmerzlich - und holte die auf einer Welle der Euphorie reitenden Russen wieder auf den Boden - ändert aber nichts daran, dass der Sbornaja zumindest noch ein Topspiel bleibt: das Achtelfinale gegen Spanien am Sonntag.
Flop: Mo Salah und Ägypten
Im Vorfeld hatten viele die ägyptische Nationalmannschaft rund um ihren Superstar Mohamed Salah zu einem Geheimfavoriten in Gruppe A erklärt. Die Verletzung des Liverpool-Angreifers im Champions-League-Finale war eine nationale Tragödie, bis zuletzt wurde gezittert, ob "Mo" bis zur WM fit würde. Die gute Nachricht: Er wurde fit. Die schlechte Nachricht: Es half nichts.
0:1 gegen Uruguay, 1:3 gegen Russland, 1:2 gegen Saudi-Arabien - Ägypten wurde mit Pauken und Trompeten Gruppenletzter. Und damit nicht genug, sorgte die Anbiederung des ägyptischen Verbandes an den tschetschenischen Diktator Ramsan Kadyrow für mächtig Unruhe in der Mannschaft - inklusive Gerüchten, Salah könne noch vor dem letzten Gruppenspiel abreisen und aus der Nationalmannschaft zurücktreten.
Für Ägypten war die WM-Teilnahme sportlich und imagetechnisch ein Debakel. Anstatt sich vereint zu präsentieren - und das Ausscheiden als Mannschaft hinzunehmen - folgten Schuldzuweisungen, Streitereien in den Medien... Ägyptens Verband steht nach der WM vor einem Scherbenhaufen.
Top: Cristiano Ronaldo
Viele hatten im Vorfeld geunkt, Real Madrids Superstar Cristiano Ronaldo sei nach einer langen Saison müde; seine Auftritte im Nationalteam vor der Weltmeisterschaft waren zugegeben auch eher mäßig. Kein Wunder also, dass im Eröffnungsspiel alle Augen auf CR7 ruhten. Und der enttäuschte nicht, sondern bot eines seiner besten Spiele.
Beim spektakulären 3:3-Remis gegen Spanien erzielte Ronaldo alle drei Treffer seiner Mannschaft: Erst holte er einen Elfmeter heraus und verwandelte ihn zur Führung nach vier Minuten, dann traf er nach Diego Costas Ausgleich vor der Pause erneut zur Führung (unter kräftiger Mithilfe durch Tormann David de Gea. Nach dem erneuten Ausgleich und der spanischen Führung erzielte Ronaldo dann in der 88. Minute aus einem perfekten Freistoß den Ausgleich. Auch gegen Marokko traf er - den 1:0-Siegtreffer nach vier Minuten erzielte er per Kopf.
Gegen den Iran tauchte er etwas unter und fiel bestenfalls durch einen Fast-Platzverweis auf - nach vier Toren in zwei Spielen sei es ihm verziehen.
Flop: Lionel Messi
Der zweite Superstar dieser WM erlebte - anders als ein großer Rivale Ronaldo - einen Auftakt zum Vergessen. Lionel musste sich mit Argentinien gegen das kleine Island mit einem 1:1-Unentschieden begnügen, Messi selbst verschoss dabei einen Elfmeter. Und es kam noch schlimmer.
Gegen Kroatien ging Argentinien mit 0:3 unter. Messi fand praktisch nicht statt. Kein Wunder also, dass vor dem Entscheidungsspiel gegen Nigeria geunkt wurde, Messi würde eine frühe Heimreise antreten - aber als sein Land ihn wirklich dringend brauchte, war er da. Die frühe Führung gegen Nigeria durch sein wunderschönes Tor hielt zwar nicht lange an, weil Victor Moses per Elfmeter ausglich, aber dank des Siegestreffers von Marcos Rojo in der 86. Minute bleibt Messi den WM-Fans noch ein wenig erhalten.
Top: Kroatien
Des Einen Freud, des Andern Leid: In Gruppe D zog Kroatien eine fast schon weltmeisterliche Show ab. Ein relativ müheloser Auftaktsieg über Nigeria, dann eine Fußball-Lehrstunde gegen den Topfavoriten Argentinien (siehe Flop: Lionel Messi) und schließlich ein - mit einer B-Mannschaft errungener - Sieg gegen Island. Kroatien ist ohne Punktverlust Gruppensieger, im Achtelfinale wartet Dänemark.
Und danach? Ex-Weltmeister Spanien oder (was eine Überraschung wäre) Russland. Wer Argentinien mit 3:0 überrollt, kann auch Spanien schlagen, von Russland ganz zu schweigen. Der Weg ins Finale ist für Luka Modric, Ivan Rakitic und Konsorten natürlich noch ein langer - aber die bisherigen Auftritte haben die im Vorfeld eher übersehenen Kroaten schnurstracks in die Rolle des Geheimfavoriten bugsiert.
Flop: Xhaka und Shaqiri
Eigentlich könnten diese zwei Namen problemlos in der Kategorie "Top" erscheinen. Aber Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri, die beiden eidgenössischen Torschützen im Duell gegen Serbien, haben es sich selbst zu verdanken, dass sie sich auf der Flop-Liste wiederfinden - weil sie ihre beiden schönen Tore beim 2:1-Sieg gegen die Serben politisieren mussten.
Dass es ein hitziges Duell wird, stand schon im Vorfeld fest - schließlich haben zahlreiche Spieler in der Schweizer "Nati" kosovo-albanische Wurzeln, was bei den Serben naturgemäß ein rotes Tuch ist. Schon Shaqiris Schuhe waren ein kleiner Affront - auf dem einen war die Schweizer Flagge zu sehen, auf dem anderen die kosovarische.
Dass aber beide nach ihren Treffern den albanischen Doppeladler zeigten - ein nationalistisches Symbol, das im Fußball schon per se keinen Platz haben sollte, aber schon gar nicht in einem so geladenen Spiel - war auch der FIFA ein wenig zu viel. Die beiden Torschützen zahlten ebenso eine Strafe wie Kapitän Stephan Lichtsteiner, der den Jubel - obwohl gänzlich unkosovarisch in seiner Herkunft - einfach mitmachte.
Top: Belgien (und England)
Wer Kroatien erwähnt, muss auch Belgien erwähnen - denn die Roten Teufel haben die Gruppe mit England, Tunesien und WM-Neuling Panama nach Belieben dominiert. Ein Torverhältnis von 9:2 spricht Bände. Gegen Panama siegte man mit 3:0, Tunesien wurde gar mit 5:2 abgeschossen. Der Sieg gegen England zum Abschluss der Gruppenphase bescherte den Belgiern den ersten Platz in ihrem Pool, im Achtelfinale wartet Japan.
Stichwort Gruppe G: Auch wenn sich England mit dem zweiten Gruppenplatz begnügen muss - das Mutterland des Fußballs darf sich durchaus Hoffnungen auf ein gutes WM-Abschneiden machen. Das liegt vor allem an Harry Kane, der mit seinen fünf Treffern noch vor Belgiens Romelu Lukaku und Superstar Cristiano Ronaldo liegt. Die 0:1-Niederlage gegen Belgien muss kein schlechtes Omen sein: Womöglich steckt sogar Kalkül dahinter, entgeht man doch als Gruppenzweiter einem möglichen Viertelfinalduell gegen Brasilien. Stattdessen wartet Kolumbien und, im Aufstiegsfall, der Sieger aus Schweden - Schweiz.
Flop: Polen
Wer einen Robert Lewandowski als seine Sturmspitze aufbieten kann, muss gewisse Ansprüche an sich stellen können. Dazu würde auch gehören, in einer Gruppe gegen Kolumbien, den Senegal und Japan zumindest bis zum Schluss um den Aufstieg spielen zu können. Aber spielerische Einfallslosigkeit, eine Prise Pech im Abschluss und womöglich auch der in den polnischen Medien kritisierte fehlende Einsatzwille standen im Weg.
Statt eines Achtelfinaleinzugs stand Polen schon vor dem letzten Spieltag als Gruppenletzter fest, daran änderte auch der 1:0-Sieg gegen Japan am Donnerstag nichts mehr. Nicht zuletzt, weil der Superstar im Sturm ohne Treffer blieb, ist Polen eine der Enttäuschungen dieser WM - und neben Serbien (in der Brasilien-Gruppe) und Island (hinter Kroatien und Argentinien) eines von nur drei europäischen Teams, die die Gruppenphase nicht überstanden haben.
Top: Michy Batshuayi
Noch einmal zurück zu Belgien - in aller Kürze: Für den Lacher der WM bisher sorgte nämlich Belgiens Offensivspieler Michy Batshuayi im Spiel gegen England. Da hatte sein Teamkollege Adnan Januzaj gerade sehenswert das Tor zur 1:0-Führung erzielt - und dann übertrieb es Batshuayi beim Jubeln ein wenig.
Warum er dann auf der Top-Liste aufscheint? Weil er die peinliche - und wohl auch ein wenig schmerzhafte - Szene nach dem Spiel nicht nur selbst im Internet weiterverbreitete, sondern auch mit einer gehörigen Prise Humor nahm. Gut also, dass Belgien noch dabei ist - so sorgt Batshuayi vielleicht noch für den einen oder anderen Lacher.
Flop: Neymar
Der 222-Millionen-Mann von Paris Saint-Germain hat die hohen Erwartungen bisher nicht erfüllen können. Seine Auftritte bei der WM lassen ihn bisher eher wie einen Fremdkörper in Brasiliens Team wirken, nicht wie eine Stütze oder gar den Star der Mannschaft. Genau daran scheint er sich zu stören.
Dass Neymar nach seiner Fußverletzung und der langen Zwangspause noch nicht ganz den Anschluss an die Selecao gefunden hat, wird offensichtlich, wenn er an den Ball kommt: Seine Dribblings verlaufen allzu oft im Sande oder enden in einem gegnerischen Tackling. Und das nimmt Neymar dann ganz gerne zum Anlass für eine theatralische Einlage, bei der der Zuschauer ernsthaft besorgt um die Gesundheit und die weitere Karriere des Schwerverwundeten sein muss.
Insgesamt hat Neymar nicht gerade viel Beliebtheit gesammelt, seit er in Russland am Leder ist. Von der Sympathie, die viele in der Fußball-Welt für den tragischen Helden von Brasiliens WM-Aus vor heimischem Publikum im Jahr 2014 empfunden haben, ist angesichts seines Egoismus, seiner Schauspielerei und seines ständigen Gejammers über die zu harte Spielweise seiner Gegner nicht mehr viel übrig.
Megaflop, die Erste: Afrika
Ägypten hat schon Erwähnung gefunden, aber am Ende dieser Liste muss der ganze afrikanische Kontinent noch einmal genannt werden: Dass alle fünf afrikanischen Vertreter schon in der Vorrunde die Segel streichen müssen, ist ein historischer Tiefpunkt in der Fußballgeschichte. Neben Ägypten blieben auch Marokko, Tunesien, Nigeria und der Senegal auf der Strecke - für Afrika das schlechteste WM-Ergebnis seit 1982.
Sicher, für Teams wie Nigeria oder Senegal war es denkbar knapp. Dennoch ist es eine Enttäuschung - nicht nur aufgrund der zahlreichen afrikanischen Topspieler in den europäischen Ligen, sondern auch, weil man schon mal deutlich näher an der Weltspitze war. Das Abschneiden in Russland ist Symptom eines deutlichen Rückschritts.
Megaflop, die Zweite: Deutschland
Keine WM-Flopliste ohne den Weltmeister, der als Gruppenletzter schon nach der Vorrunde die Heimreise antreten muss. Und ehrlicherweise: Ohne Toni Kroos und seinen Superfreistoß gegen Schweden wäre schon nach zwei Spieltagen Feierabend gewesen für die DFB-Elf. So rettete man sich in ein Entscheidungsspiel gegen Südkorea - mit einer einfachen Prämisse. Gewinnen und man ist im Achtelfinale.
Was folgte, war ein Offenbarungseid der deutschen Nationalmannschaft: Gegen Südkorea fand man über weite Strecken keinen Weg, vor dem Tor Gefahr zu erzeugen. Zugleich blieb man in der Defensive fehleranfällig. Spätestens nach dem ersten Gegentreffer war klar - Deutschland würde die Gruppenphase nicht überstehen.
Woran hat's gelegen? Zu viele einzelne Gründe, als sie hier Platz hätten. Der verpasste Generationenwechsel spielt sicher mit - den Übergang zwischen den Weltmeistern von 2014 und den Confed-Cup-Siegern von 2017 hat Löw nicht richtig hinbekommen. Und die öffentliche Geißelung von Özil und Gündogan für ihren Erdogan-Auftritt - der an sich schon eine Dummheit war - hat viel Unruhe ins Team gebracht.
So fährt der Weltmeister als Gruppenletzter zurück nach Deutschland. Der Umbruch steht bevor - womöglich ohne Joachim Löw, dessen Zukunft nach der Blamage in Zweifel gezogen werden muss. Auch der eine oder andere Rücktritt aus der Nationalmannschaft kündigt sich an - da fallen Namen wie Boateng, Khedira oder Özil. Positiv: Kapitän Neuer bleibt sicher, ist mit seinen 32 Jahren im besten Tormannalter. Und mit Namen wie Werner, Draxler, Goretzka, Brandt, Sané und wie sie alle heißen fehlt es im DFB-Team sicher nicht an hungrigem Nachwuchs.
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