Beide Frauen sind sich einig, dass es der richtige Zeitpunkt ist, um über dieses Thema zu sprechen. Vor allem, da niemand von ihnen je darüber nachgedacht hat, auf internationaler Bühne etwas anderes als die kurzen Turnanzüge zu tragen. "Das liegt vor allem daran, dass ich damit aufgewachsen bin und wir es als Arbeitsbekleidung immer anzuziehen hatten", sagt Jasmin Mader.
Mader ist 18-fache Staatsmeisterin und erzählt, dass bei Weltmeisterschaften einige Sportlerinnen aufgrund ihrer Religion den langen Turnanzug trugen. "Ich finde, das ist nicht nur ein starkes Zeichen, sondern sieht sogar cool aus. Vielleicht ist das gerade auch einfach Mode, weil ich gehe selbst gerne mit einem Jumpsuit aus dem Haus", sagt die 28-jährige Tirolerin.
Bei der Kleidung sehen die Wertungsvorschriften vor, dass über den Turnanzug eine lange Hose in derselben Farbe getragen werden darf, Shorts sind nicht zugelassen.
Sarah Voss ist nicht die Erste, die bei einem internationalen Wettkampf im langen Anzug antritt. Bei den Olympischen Spielen 1996 gab es mit Birgit Meißl-Schielin eine Österreicherin, die in der Rhythmischen Gymnastik den langen Turnanzug trug.
Männersdorfer erklärt das Problem mit der Kleidung: "Ich glaube, der kurze Turnanzug ist aus ästhetische Gründen entstanden, weil er längere Beine macht. Wenn man sich im eigenen Körper aber nicht wohlfühlt, dann kann das ein Problem werden, denn der Turnanzug der schenkt einem nix."
Gefühlsfrage
Sowohl Männersdorfer als auch Mader können es sich für sie selbst aber noch nicht ganz vorstellen, bei Wettkämpfen im langen Turnanzug teilzunehmen. „Es gibt Bereiche im Training, da möchte ich keine lange Hose anziehen. Im Schwimmen gibt es den Begriff ,Wassergefühl‘ und mit einer langen Hose fehlt mir dieses Gefühl beim Turnen einfach“, argumentiert Mader.
So geht es auch Männersdorfer, für die ein Turnen am Balken oder am Boden in langer Hose zwar nicht vorstellbar, aber am Stufenbarren eine Überlegung wert wäre. Mader erzählt, dass unter Kolleginnen hin und wieder Scherze gemacht werden, weil vielleicht das Sportgewand an intimen Bereichen reißen könnte. Doch beim Wettkampf selbst setzt sie vollstes Vertrauen in das knappe Stoffmaterial und hat auch keine Zeit darüber nachzudenken.
Auch für den ÖFT (Österreichischer Fachverband für Turnen) ist das ein wichtiges Thema. Auf Nachfragen wurde gesagt, dass dem ÖFT das Thema sehr wichtig ist, da sie das Ziel der mündigen selbstbestimmten Sportlerinnen und Sportler nachhaltig verfolgen.
"Wir vertrauen darauf, dass ein offener Austausch auf Augenhöhe mit unseren Athlet*innen besser zum Ziel führt, als ein autokratisches System. Missbrauchsszenarien gibt es erfahrungsgemäß hauptsächlich dort, wo es zu hierarchisch und autoritär zugeht", sagt Generalsekretär Robert Labner. Im vergangenen Jahr gab es darüber hinaus auch die Aufsehen erregende Netflix Dokumentation "Athlete A". Die den Kampf der Sportlerinnen gegen die Missbrauchsfälle des Arztes Larry Nassar dokumentierten.
Sarah Voss hat mit ihrem Auftritt ein Thema ins Rollen gebracht, über das in Zukunft erst reflektiert und diskutiert werden muss.
Turnen ist nicht die einzige Sportart, in der Frauenbekleidung hinterfragt werden sollte. "Sex sells, das ist leider so und das Thema gibt es ja auch in anderen Sportarten, wie dem Beachvolleyball oder dem Schwimmen. Turnen ist ein sehr ästhetischer Sport und da gehört das irgendwie dazu", meint Jasmin Mader.
Der Grat zwischen Ästhetik und Sexualisierung ist schmal und der Diskussionsbedarf groß. Es bleibt die Frage, ob und wie sich dieses Thema ändern wird.
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