Ausschluss Russlands aus dem Weltsport "hat völlig neue Qualität"
Politische Isolation, Wirtschaftssanktionen und der Ausschluss aus dem Weltsport. Moskau wird wegen seiner Aggression in der Ukraine zunehmend isoliert. Welchen Druck kann der Sport durch seine überraschend geschlossene Reaktion auf die Invasion auf die russische Regierung erzeugen? Der KURIER sprach mit der Historikerin Jutta Braun vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, die sich seit Jahren mit Sportboykotten und deren Wirkung beschäftigt.
Inwiefern tut der Ausschluss aus dem Weltsport Wladimir Putin "weh"? Einerseits politisch, andererseits persönlich, weil er sich ja gerne als Sportfreund positioniert…
Man muss einfach sehen, dass die frühere Sowjetunion schon immer eine ganz große Sportmacht war. Olympische Nation Nummer eins. Russland hat diesen Ehrgeiz "geerbt". Putin ist ja auch privat mit einer ehemaligen Sportlerin zusammen. Auch, wenn das nicht unbedingt den Ausschlag geben muss. Aber alleine schon die massiven Doping-Verstrickungen, die ans Tageslicht kamen, zeigen ja, mit welcher Vehemenz gerade Russland hier auch versucht, immer an der Spitze zu bleiben. Und im Unterschied etwa zur DDR, wo die Dopingvergehen des kommunistischen Staatssports aufgearbeitet wurden, ist das ja in Russland nie passiert. Ich vermute, dass es einfach eine sehr, sehr große Kontinuität – nicht nur von Eliten, sondern auch von Mentalitäten – gegeben hat.
Wie äußert sich das in der Gegenwart?
Das bedeutet, dass man gerne eine starke Weltmacht im Sport sein möchte und eben auch einen großen Teil seines Selbstbewusstseins daraus generiert. Alleine die – auch erfolgreichen – Bewerbungen der Russen, etwa um die Fußball-WM 2018, zeigen das. Das war eine große Angelegenheit für das eigene Image, wenn man selber Ausrichter sein kann. Allerdings war man schon 1980, bei den Olympischen Spielen von Moskau, einmal Ziel eines Boykotts geworden. Und auch damals war der Grund, dass von der Sowjetunion eine Aggression ausging, als sie in Afghanistan einmarschiert war. Schon ganz interessant, wie sich hier bestimmte Muster wiederholen.
Das war aber letztlich punktuell und das, was wir jetzt erleben, hat eine völlig neue Qualität, weil ja fast alle Sportverbände die Russen ausschließen. Das ist anders als die isolierte Sanktionierung einer einzelnen Veranstaltung. Es handelt sich hier um einen richtigen Sportbann, der über eine ganze Sportnation gelegt wird.
Glauben Sie, dass Russland so eine Reaktion erwartet hat?
Bei aller Bedeutung, die der Sport hier hat – ich glaube, dass die Kalkulation hinsichtlich eines Einmarsches und der eigenen militärischen Möglichkeiten nicht aufging, und Russland vor allem nicht mit den massiven Wirtschaftssanktionen rechnete. Als Gegenbeispiel kann man sich den Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980 ansehen: Da wurde kritisiert, dass hier nur ein weichgespülter symbolischer Kampf geführt wurde.
Inwiefern?
Die Sportler mussten zu Hause bleiben, während die Wirtschaftsbeziehungen munter weiterliefen. Der Sport ist oft Opfer einer Symbolpolitik geworden, die man in anderen Bereichen nicht umsetzen wollte, weil es dann eben auch denjenigen wehtun würde, die den Boykott aussprechen. Das ist ja jetzt auch diese ganz neue Qualität, dass man sich nicht nur in Symbolpolitik verliert, sondern dass man wirklich auch Sanktionen in allen möglichen Bereichen veranstaltet, die eben auch wehtun. Die Ebene der Symbolpolitik wurde verlassen, das ist neu.
Also das Ensemble all dieser Sanktionen – politisch, wirtschaftlich, sportlich – führt dann zum nötigen Druck auf Russland?
Ja. Wobei: Natürlich führt der Sport-Boykott zu einer gewissen Isolation oder zu einem Gesichtsverlust. Aber vor allem die Wirtschaftssanktionen führen zu ganz massiven Schwierigkeiten, die das gesamte Regime natürlich auch destabilisieren können.
Sport kann jemanden glänzen lassen, wenn man ohnehin ein akzeptiertes Mitglied der Völkergemeinschaft ist. Wenn alle übrigen Beziehungen gekappt werden, nutzen auch Sportbeziehungen wenig, um das eigene Image zu retten.
Gibt es in der Vergangenheit vergleichbare Aktionen des Weltsports wie jetzt gegen Russland?
Südafrika war so ziemlich das einzige Land, wo sich der internationale Sport relativ breitflächig entschlossen hatte, das Land konsequent auszusperren, sowohl von der olympischen Ebene, später auch im Fußball. Die sind also sukzessive vom Weltsport weitgehend ausgesperrt worden – aufgrund ihrer Apartheid-Politik. Man kann sagen, sie wurden richtig geächtet. Und das wiederholt sich jetzt durchaus im Fall Russlands.
Allerdings kommt es durch Boykotte im Sport allein nicht zum politischen Wandel. Bei all dem Geld, das da hineinfließt und bei all der Show und auch bei all der politischen Bedeutung, die dem Sport immer zugestanden wird – es ist ja am Ende doch eine primär symbolische Ebene. Also es ist ja doch ein Unterschied, ob ich statt Erster Zweiter werde oder ob mir der Gashahn zugedreht bzw. wie jetzt im Fall Russlands wesentliche Handelskontakte wegbrechen.
Wladimir Putin und Russland waren lange gern gesehen im Weltsport. Ausrichter von Großveranstaltungen, russische Sponsoren, russische Athleten waren im Zentrum der Aufmerksamkeit. Gibt es ein Zurück? Können Sie sich vorstellen, dass es wieder so wird?
Das ist schwer zu sagen. Man hat in der Geschichte gelernt, dass Situationen schnell kippen können. Insofern ist es immer schwierig, so etwas zu prognostizieren. Ich muss aber sagen, ich war erstaunt, wie schnell sich fast alle zivilen Beziehungen, die man zu Russland hat – auch etwa im Bereich der Kultur und Wissenschaft – aufgelöst haben. Ich hätte immer gedacht, dass da die zivilgesellschaftlichen Bindungen mittlerweile auch an Russland so stark sind, dass das nicht so gravierende Störungen erfahren kann. Das bestürzt mich, und es verwundert mich mehr als die Vereisung der Beziehungen im Weltsport, weil der Sport eben immer ein Bereich war, wo demonstrative Aktionen vollzogen wurden. Eine Umkehr, ein Zurückkommen, ist wirklich schwer vorherzusagen.
Sie sagen, Sie waren erstaunt, wie schnell es gehen kann. Waren die umfassenden Entscheidungen, Russland aus dem Weltsport auszuschließen, "historisch"?
Es ist eine große Zäsur. Und man muss ja mal eines sagen: Der Sport hat sich jetzt dadurch endlich mal ehrlich gemacht. Früher wurde ja immer behauptet, Sport und Politik hätten nichts miteinander zu tun. Noch vor wenigen Wochen, in Bezug auf China und die Olympischen Spiele, wurde das behauptet. Immer, wenn es zu politischer Kritik kommt, will man damit die Spiele retten. Und von dieser Fiktion hat man sich jetzt endgültig verabschiedet. In dem Moment, wo man so konsequent Russland ächtet, ist ja völlig klar, dass offenkundig doch Sport und Politik etwas miteinander zu tun haben.
IOC (Internationales Olympisches Komitee)
Wenige Tage nach dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine am 24. Februar empfahl das IOC unter internationalem Druck eine ungewöhnlich harte Haltung: Russische und belarussische Sportler und Funktionäre sollen von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen werden. Wo dies nicht möglich ist, sollen Athleten als neutrale Sportler antreten. Für Jutta Braun eine "beispiellose" Vorgabe und eine "sporthistorische Zäsur", weil nun kaum noch jemand behaupten könne, Sport sei unpolitisch.
Fußball
Ungewöhnlich scharf und überraschend schnell reagierte auch der internationale Fußball. FIFA und UEFA haben russische Mannschaften aus allen Bewerben ausgeschlossen. Im selben Zug verlegte der europäische Fußballverband das für 28. Mai in St. Petersburg geplante Champions-League-Finale nach Paris. Wie etliche (aber nicht alle) europäische Klubs beendete die UEFA Sponsorenverträge mit russischen Partnern. Russische Fußballspieler dürfen weiter bei ihren Vereinen spielen.
Skisport
Die FIS hat zunächst alle übrigen Weltcup-Veranstaltungen in Russland abgesagt und dann in allen Sparten russische Teams und Athleten aus den internationalen Bewerben ausgeschlossen. Auch etwa im Biathlon-Weltcup wurden russische und belarussische Sportler vom IBU ausgeschlossen.
Tennis
Weltverband ITF, Spielervereinigungen ATP und WTA sowie die vier Grand-Slam-Turniere haben sich darauf geeinigt, russische und belarussische Spieler unter neutraler Flagge weiter antreten zu lassen. Nur Wimbledon scherte aus, lässt keine russischen und belarussischen Spieler starten. Das sorgte für Diskussionen. „Natürlich fühlen wir uns nach diesem Alleingang hintergangen“, sagt der Steirer Herwig Straka, seit Jahren in der Spitze der ATP tätig.
Eishockey
Der Weltverband IIHF hat die russischen und belarussischen Teams zunächst für alle Bewerbe gesperrt. Da die A-WM in Finnland ohne Russland stattfindet, konnte Österreich nachrücken. Die für heuer geplante U20-WM in Russland wird verlegt. Die in St. Petersburg geplante WM 2023 ebenso: Es soll eine Abstimmung zwischen Lettland/Finnland und Ungarn/Slowenien geben.
Motorsport
Die Formel 1 wird bis auf Weiteres nicht mehr in Russland fahren. Zunächst wurde der Grand Prix von Sotschi aus dem diesjährigen Programm gestrichen, daraufhin der Vertrag mit dem Veranstalter zur Gänze gekündigt. Fahrer aus Russland sind in der Königsklasse theoretisch erlaubt (ohne Flagge), der einzige russische Pilot (Nikita Masepin) wurde aber dennoch von seinem Rennstall (Haas) entlassen.
Handball
Teams, Offizielle, Schiedsrichter und sogar Experten aus Russland und Belarus sind von allen Veranstaltungen und Aktivitäten der IHF und EHF ausgeschlossen.
Leichtathletik
Der Weltverband (World Athletics) hat bis auf Weiteres Athleten, Betreuer und Offizielle aus Russland und Belarus von allen Veranstaltungen der Weltserie ausgeschlossen.
Schwimmen
Der Weltverband FINA hat den zweifachen Olympiasieger Jewgeni Rylow für neun Monate gesperrt. Der Russe hatte sich für die Invasion der Armee in der Ukraine ausgesprochen. Einen pauschalen Ausschluss von russischen oder belarussischen Sportlerinnen hatte es im Schwimmsport lange nicht gegeben. Nach wochenlangem Zögern hat der Weltverband Ende März alle russischen und belarussischen Schwimmer und Schwimmerinnen gesperrt. Im Juli findet die WM in Ungarn statt, mittlerweile sind dafür keine Teams aus den beiden Ländern zugelassen.
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