WKStA-Chefin: "Ich trete nicht in die politische Arena"
Ihr jährliches Mediengespräch nutzt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) immer gerne, um die Öffentlichkeit auf Arbeit aufmerksam zu machen, die ohne großes Aufsehen tagtäglich in der Behörde anfällt - ohne Promi-Beschuldigte, ohne politische Zurufe, ohne Kritik und Verteidigung gegen ebenjene.
Diese Fälle mögen zwar weniger spannend sein als die Ibiza-, die Casinos-, die Umfrage-, die Commerzialbank- oder sonstige politische Affären, als Steuerzahler sollte man aber spätestens bei den Zahlen aufhorchen:
230 Ermittlungsverfahren führt die WKStA aktuell, ein knappes Drittel davon sind so genannte Großverfahren - jeweils mit einem Schaden im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich und tausenden bis zigtausenden Geschädigten. Da geht es um Geldwäsche, um organisierte Schwarzarbeit, um Bilanzfälschungen, um Baukartelle und um (Cyber-)Betrug.
Der Satz: "Korruption ist Gift für die Demokratie", sei allgemein bekannt, sagt Behördenleiterin Ilse Vrabl-Sanda beim Mediengespräch. Korruption kostet aber auch Geld, das der Bevölkerung dann im Steuertopf fehlt. Den jährlichen Schaden durch Korruption schätzt die EU-Kommission in Summe in allen EU-Länder auf 179 Milliarden Euro.
54 Schuld- und 60 Freisprüche
Die WKStA ist als Spezialbehörde zu 70 Prozent mit Wirtschaftsstrafsachen und zu 12 Prozent mit reinen Korruptionsdelikten und zu 18 Prozent mit einer Kombination aus beiden befasst.
Im Vorjahr wurden 52 Anklagen gegen 152 Beschuldigte bei Gericht eingebracht. In 54 Fällen erfolgten Schuldsprüche, in 60 gab es Freisprüche - teils nur zu einzelnen Fakten.
In Summe wurden 770 Verfahren abgeschlossen, 1.000 neue sind angefallen. Von einem "Rückstau" will Vrabl-Sanda aber nicht sprechen, weil das bedeuten würde, dass man die Fälle nicht mehr bearbeiten könne. Die Zahlen seien generell nur begrenzt aussagekräftig. Viele Fälle ziehen sich über ein Jahr hinaus oder länger.
Die viel kritisierte zu lange Verfahrensdauer, die Vrabl-Sanda in den vergangenen Jahren immer mit den aufwändigen Berichtspflichten und der Komplexität der Verfahren rechtfertigte, war diesmal kein Thema.
Die WKStA verfügt über 45 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die von zehn Wirtschaftsfachleuten unterstützt werden. Dazu kommt ein Team von 15 IT-Expertinnen und -Experten in der Justiz, die man sich mit anderen Staatsanwaltschaften teilt. Diese Zahl soll demnächst aufgestockt werden.
"Nicht nur Leichtgläubige"
Komplexer werden die Fälle aber tatsächlich: Ein wachsender Tätigkeitsbereich sei etwa Cybercrime, wie Matthias Purkart, Leiter der Cybercrime-Kompetenzstelle, erklärt. Die WKStA übernimmt, sobald ein Verfahren eine bestimmte Schadenshöhe erreicht hat oder eine kriminelle Organisation dahintersteckt, von anderen Staatsanwaltschaften.
Laut Purkart gibt es grob gesprochen drei Gruppen: Den Anlagebetrug etwa mit Pyramidenspielen oder scheinbar verlockenden Investments. Den Notlagebetrug etwa durch falsche Polizisten oder den so genannten Neffentrick. Und den so genannten CEO-Fraud, bei dem Betrüger in großen Unternehmen Datenkommunikation ausspähen und dann Mitarbeiter dazu bringen, etwa nach einem vermeintlichen Auftrag vom Chef Geld zu überweisen.
Gemein sei den Fällen, dass die Herausforderungen komplexer seien als bei "normalen" Verfahren, so Purkart. Die Kommunikation laufe digital, Zahlungsströme über Kryptowährungen, Daten würden oft nicht in Österreich liegen.
Man stehe hier "hochprofessionellen Strukturen gegenüber", die unternehmensähnlich aufgebaut sind und vom kleinen Mitarbeiter im Callcenter über ein mittleres Management bis zum Mastermind dahinter reiche.
Rechtlich stoße man oft auf Grenzen, weil die Strafprozessordnung nach wie vor Offline-Delikte vor dem Auge habe, sagt Purkart. Das betreffe etwa die nationalen Zuständigkeiten, aber auch die internationale Komponente. Täter würden oft in osteuropäischen Staaten sitzen, wo die Rechtshilfe-Möglichkeiten eingeschränkt sind. Gleiches gelte für Geld auf ausländischen Konten.
Der Oberstaatsanwalt geht von einem jährlichen Schaden von 300 Millionen Euro aus - das sei aber "nur die Spitze des Eisbergs". Viele Opfer würden sich schämen und nicht zur Polizei gehen, die Dunkelziffer sei daher hoch. Sein Appell: "Es ist keine Schande, zur Polizei zu gehen. Das kann der Unterschied sein, ob Sie Ihre Lebensersparnisse noch haben oder nicht."
Und er betont: "Es trifft nicht nur Leichtgläubige." Die Zeiten, in denen ein vermeintlicher nigerianischer Prinz einem eine Erbschaft in Aussicht stellt, seien vorbei - die Betrüger würden immer raffinierter. Mittlerweile sei es dank Künstlicher Intelligenz sogar schon möglich, die Stimme der Tochter oder des Sohnes zu fälschen und Eltern anzurufen, um Geld zu verlangen.
Heimlichkeit durchbrechen
Ein zweiter großer Tätigkeitsbereich der WKStA ist das anonyme Whistleblower-System, das heuer sein 10. Jubiläum feiert (zu finden hier).
Seit Bestehen des so genannten BKMS gab es laut Oberstaatsanwältin Elisabeth Täubl 16.000 Meldungen, die zu rund 1.000 neuen Ermittlungsverfahren geführt haben. In 165 Fällen brachten anonyme Hinweise weitere Ermittlungsansätze zu bereits anhängigen Verfahren.
Das Whistleblower-System brachte letztlich mehr als 146 Anklagen. 93 Verurteilungen, 36 (Teil-)Freisprüche und 35 Diversionen gab es.
Gerade bei Korruptionsdelikten oder bei Betrugsfällen in Unternehmen herrsche eine große Heimlichkeit, sagt Täubl. Es gebe meistens wechselseitige Abhängigkeiten - und keine der beiden Seiten hätte ein Interesse daran, aufzufliegen. Auch die Opfer wüssten häufig nicht, dass sie Opfer sind.
Dieses abgeschlossene System könne man nur durchbrechen, wenn es Insider gibt, die aussagewillig sind, erklärt sie. "Und diese brauchen Schutz vor Repressalien" - deshalb sei das Hinweisgebersystem auch anonym. Von den 16.000 Meldungen gab es 9.500, bei denen der Hinweisgeber ein (im System verfügbares) Postfach eingerichtet hat, um für Rückfragen erreichbar zu sein.
"Druck hat uns gefestigt"
Über aktuell laufende Verfahren wollte WKStA-Chefin Vrabl-Sanda eigentlich nicht sprechen - am Ende wurde sie aber doch noch auf die aktuell prominenteste Causa angesprochen: den Falschaussage-Prozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Dieser hatte die (nicht rechtskräftigen) Schuldsprüche als "sehr ungerecht" bezeichnet und der WKStA vorgeworfen, sie würde "das Spiel der politischen Opposition" spielen.
Gefragt, ob solche Aussagen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die WKStA beschädigen würden, sagt Vrabl-Sanda, dass dieses Vertrauen ganz wesentlich sei - und wohl am ehesten gefördert werde, indem sich die WKStA eben nicht auf solche Debatten einlässt.
In Richtung des Ex-Kanzlers sagt sie: "Ich trete nicht in die politische Arena. Schon gar nicht mit einem Beschuldigten."
Von sich aus spricht Vrabl-Sanda den "Druck" an, der die Behörde gerade in den vergangenen Jahren angesichts der vielen hochpolitischen Causen ausgesetzt war. "Wir haben gezeigt, dass wir auch unter Druck unsere Aufgaben erfüllen. Das hat uns gefestigt."
Und sie betont: "Niemand steht über dem Gesetz. Egal, wie viel Geld und Einfluss derjenige hat."
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