Wiener Ukraine-"Friedensgipfel": Organisator fordert Waffenstillstand

Ukrainian service members ride a M113 armoured personnel carrier near the front line city of Bakhmut
Friedensaktivist Braun: Kein Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung seit April 2022.

Der "Gipfel für Frieden in der Ukraine" am Wochenende in Wien sei die größte internationale Friedenskonferenz zu Waffenstillstand und Verhandlungen seit Beginn des russischen Aggression, erklärte Co-Organisator Reiner Braun am Freitag im Gespräch mit der APA.

Der Veteran der westdeutschen Friedensbewegung verteidigte auch die umstrittene Einladungspolitik seines Events, forderte einen Waffenstillstand und sprach der Ukraine seit April 2022 das Selbstverteidigungsrecht ab.

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"Vielleicht war dieser Veranstaltungstitel die richtige Provokation: 'Friedensgipfel' heißt ja, dass wir eigentlich eine andere Agenda auf die Tagesordnung setzen und - um es in saloppem Friedenswissenschaftsdeutsch zu sagen - die Kriegslogik durch die Friedenslogik ersetzen wollen", sagte das Mastermind der von linken NGOs ausgerichteten Veranstaltung, die nach einer kurzfristigen Ausladung durch den ÖGB am Samstag und Sonntag in privaten Räumlichkeiten in Wien-Penzing stattfinden wird.

Mit deutlich mehr als 300 Anmeldungen von Interessierten aus 32 Staaten werde der Saal dabei "brechend voll" sein. Auch sei es nach der Entscheidung durch den ÖGB am Mittwoch, keine Räume zur Verfügung zu stellen, zu keinen Abmeldungen gekommen, versicherte der linke Aktivist, der in Wien das 1910 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete "Internationale Friedensbüro" (IPB) vertritt.

"Waffenstillstand heißt zunächst, dass das tägliche Töten und Morden aufhört und dadurch Wege für Verhandlungen eröffnet werden, die untragbare Zustände zu überwinden helfen", kommentierte Braun seine zentrale Forderung. Auf die Frage, ob eine derartige Maßnahme in der Ukraine nicht zur Festschreibung von militärischen Gebietsgewinnen durch Russland führen würde, meinte er, dass ein Waffenstillstand manchmal zum Einfrieren von Konflikten geführt habe. Es bedürfe eines politischen Willens, dass es nicht dazu komme.

"Trotzdem wäre ich froh, wenn wir in den überfluteten Gebieten heute einen eingefrorenen Konflikt hätten und dass sich die beiden Seiten sich darum kümmerten, die Menschen zu retten", erklärte er. Zur Frage, wer für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms Anfang der Woche die Verantwortung trägt, verweigerte er eine klare Antwort. Er wolle hier nicht spekulieren, betonte er.

Deutlich wurde der Gipfelorganisator indes zu außenpolitischen Fragen. "Ich bin strikt gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, weil ich alle Waffenlieferungen für Verlängerung des Krieges halte", erklärte der Aktivist, der im vergangenen Jahr den diesbezüglichen offenen Brief von Alice Schwarzer an den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz mitunterzeichnet, hatte. Braun betonte zudem, dass keine der beiden Seiten den Krieg militärisch gewinnen könne, wobei er Letzteres als "grundlegende Veränderung des militärstrategischen Kräfteverhältnisses" definierte.

Dem ukrainischen Staat gesteht er derzeit kein Recht auf Selbstverteidigung mehr zu. Dieses habe für ihn nur bis zum April 2022 und dem Scheitern von russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen in Istanbul bestanden, für das Braun die NATO und Großbritannien verantwortlich macht. "Da hat sich der Krieg für mich verändert: Durch das NATO-Engagement ist er mehr zu einem Stellvertreterkrieg geworden und war nicht mehr Verteidigungskrieg", begründete er.

Dass er in Bezug auf die Ukraine bestimmte Argumente der russischen Seite nicht für falsch halte, würde nicht bedeuten, dass er die Position Russlands teile, erläuterte er. Er habe etwa die Angliederung der Krim an Russland stets als illegal bezeichnet, der auch im Zusammenhang mit der russischen Invasion der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 von "russischer Aggression" spricht.

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Nicht will der Deutsche an eine etwaige propagandistische Instrumentalisierung des "Friedensgipfels" durch russische Geheimdienste glauben. "Das wäre ja fast eine Überschätzung", betonte er. Auch gebe es keine Indizien, dass Vertreter der russischen Botschaft kommen würden. "Ich erwarte mir von dieser Veranstaltung höchstens eine Beeinflussung der Öffentlichkeit im Sinne, dass man stärker Frieden und Diplomatie in den Mittelpunkt stellen sollte und muss", erläuterte er.

Diesbezüglich sei er in Deutschland auch ganz zufrieden. Nach allen Umfragen setzten sich nach wie vor mehr als 50 Prozent der Bevölkerung für Waffenstillstand und Verhandlungen ein, erzählte der bekennende Linke, der zu seiner Veranstaltung keine Vertreter der österreichischen FPÖ oder der deutschen AfD einladen würde. "Wir haben als Friedensbewegung das schwierige Problem, dass Teile der Rechtsradikalen eine Antikriegsposition haben", beklagte er.

Explizit verteidigte der Aktivist indes die Einladung zuletzt umstrittener Gipfelteilnehmer wie etwa Jeffrey Sachs. Dieser sei einer der renommiertesten Wirtschaftswissenschafter der USA, der seit 15 Jahren Berater jedes UN-Generalsekretärs war und auch zur Ukraine im UN-Sicherheitsrat gesprochen habe. Der Aktivist hatte auch keine Schwierigkeiten mit aktuellen Auftritten von Sachs beim russischen Chefpropagandisten und Kriegshetzer Wladimir Solowjow. "Wenn man Sachs für ein Interview anfragt, gibt er das Interview. Er hat in Interviews keinen Moment den russischen Krieg gerechtfertigt und das Gleiche gesagt, das er überall sagt", kommentierte Braun.

Der Amerikaner selbst werde bei Wiener "Gipfel" dabei nur per Videoschaltung aus Rom teilnehmen können, erzählte er. Nachdem der Ökonom im Juni 2022 an einer Vatikan-Gesprächsrunde zur Ukraine auf persönliche Einladung des Papstes teilgenommen habe, sei Sachs erneut im Vatikan, wo er am Samstag an einem Treffen mit 25 Friedensnobelpreisträgern teilnehme.

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