Werner Kogler: "CO₂ wird einen Preis bekommen“
KURIER: Herr Vizekanzler, die Grünen haben jetzt bald ihr erstes Regierungsjahr hinter sich. Ein Jahr, von dem es nichts Positives zu berichten gibt...
Werner Kogler: Es war zwar ein schweres Jahr, aber es gibt trotzdem Positives. Die Konjunkturpakete zur Bekämpfung der Krisenfolgen bewirken, dass wir mehr in den Umwelt- und Klimaschutz investieren, als je zu erwarten gewesen wäre. Wir haben nicht nur eine, sondern sechs bis sieben Klimamilliarden auf den Weg gebracht. Zählt man die europäischen Pakete hinzu – Österreich bekommt ja drei bis vier Milliarden aus der Union –, dann kommen wir in den fünf Jahren dieser Legislaturperiode auf bis zu zehn Klimaschutzmilliarden. Und das sind nur die öffentlichen Gelder. Dazu kommen noch die privaten Investitionen, die wir durch Förderungen auslösen. Die gute Nachricht des Jahres lautet, dass wir einen Öko-Keynesianismus praktizieren, und auch Finanzminister Blümel plötzlich ein Keynesianer ist.
Ausbildung
1961 in Hartberg geboren, studierter Volkswirt. Ab 1988 arbeitete Kogler an Forschungsprojekten der angewandten Umweltökonomie
Politische Karriere
Kogler war bereits Anfang der 1980er-Jahre Gründungsmitglied der Alternativen Grünen in der Steiermark. Über den Grazer Gemeinderat führte ihn der Weg ins Parlament. Er wurde Grünen-Chef, nachdem die Ökos 2017 aus dem Parlament flogen und führte sie als Spitzenkandidat 2019 wieder ins Hohe Haus
Erste Bundesregierung
Mit der ÖVP führte Kogler die Grünen im Jänner 2020 erstmals in eine Bundesregierung.
Wohin sollen diese zehn Milliarden schwerpunktmäßig fließen?
In die Sanierung von Privathäusern, Gewerbegebäuden und öffentlichen Gebäuden. Bei der Fotovoltaik auf dem Dach schieben wir Hunderte Millionen pro Jahr an. Da werden wir uns sogar schwer tun, die dafür notwendigen Arbeitsplätze sofort zu besetzen, daher streben wir beim AMS eine Ausbildung für Öko-Technologie an. Die thermische Sanierung bringt im Baunebengewerbe sehr viel Wertschöpfung in Österreich. Strom wird ab 2030 nur noch erneuerbar sein, wir forcieren vor allem Wind und Fotovoltaik. Auch Ladestationen für E-Autos werden wir massiv ausbauen. Und wir haben den Einstieg in die Ökosteuer-Reform geschafft.
Das war ein sehr kleiner Einstieg. Das Kernstück, die CO₂-Bepreisung, fehlt. Kommt das noch oder fällt sie der Krise zum Opfer?
Das kommt wie vereinbart. Wir werden im Herbst 2021 die CO₂-Bepreisung beschließen und ab 2022 auf die Schiene bringen. Man wird im Herbst sehen, wie die weiteren Schritte aussehen, das gehört zur Planbarkeit dazu. Die Tonne wird einen Preis bekommen.
Werden Sie die Einnahmen aus der Öko-Steuer zurückverteilen, wie es Ihr ursprüngliches Konzept vorsieht? Oder brauchen Sie das Geld zum Bezahlen von Krisenschulden?
Die Steuer- und Abgabenlast wird nicht steigen, tendenziell sogar sinken. Bei der -Bepreisung geht es nicht ums Verteuern, sondern darum, dass umweltfreundliches Verhalten und Produzieren günstiger, umweltschädliches teurer wird. Eine Öko-Steuerreform beinhaltet natürlich eine Rückverteilung – das kann etwa ein Öko-Bonus über niedrigere Lohn- und Einkommenssteuern sein.
Wann beginnt die Phase der Budgetkonsolidierung?
2021 haben wir noch ein Corona-Budget. Das ist Konsens. Das Defizit 2022 wird vielleicht schon deutlich niedriger sein als das Defizit 2021, und wir sollten gegen Ende der Legislaturperiode schon wieder eine deutlich geringere Neuverschuldung haben. Das hängt von der Wirtschaftsentwicklung ab, und diese wiederum sehr stark davon, wie es weltweit gelingt, diese Gesundheitskrise zu bekämpfen. Davon hängen unsere Exporte und die Einnahmen aus dem Tourismus ab.
Österreich, genauer Kanzler Sebastian Kurz, hat sich bei den Wiederaufbauhilfen in der EU den frugalen vier angeschlossen. Können Sie mit diesem Kurs leben?
Bei diesen Auftritten in Brüssel war viel für die Galerie dabei. Aber wir Grüne stimmen mit dem Kanzler überein, dass das Geld – sorry guys – nicht ohne Bedingungen fließen kann. Zu Recht gibt es viele Milliarden für Spanien und Italien. Aber ich habe kein Interesse, dass das Wiederaufbaugeld zur Sanierung des italienischen Bankensystems verwendet wird. Das Geld soll in die Realwirtschaft fließen. Ebenso, dass in Spanien nicht die dritte oder vierte Immobilienblase finanziert wird. Mit der Schuldenaufnahme mit gemeinsamer Haftung ist in der EU ein wirklicher Durchbruch gelungen. Das ist eine Vertiefung und Stärkung der Union.
Die Rückzahlung der Schulden soll über eine Plastikabgabe erfolgen, die Sie bei der ÖVP nicht durchgebracht haben.
Es ist ein Fortschritt, die Anleihen nicht wieder mit einer Belastung des Faktors Arbeit zu bedienen, sondern mit einer Abgabe auf die überbordende Plastikflut. Wir müssen für das in Österreich anfallende Plastik eine Abgabe bezahlen. Die Frage ist, wie hoch sie sein wird. Wenn wir es schaffen, Plastik zu reduzieren, bezahlen wir weniger an die EU. Wir werden in Österreich die entsprechenden Maßnahmen zur radikalen Reduktion von Plastikmüll setzen.
Die Grünen sind nicht nur eine Umweltbewegung, sondern eine ethische Gemeinschaft. Haben Sie in diesem Jahr Momente gehabt, wo Sie es bereuten, mit der ÖVP eine Koalition eingegangen zu sein?
Nein. Ich habe diese Koalition angestrebt, und ich muss sagen, trotz unterschiedlicher Zugänge sind viele Problemlösungen gut. Schauen Sie sich die Sozialpolitik an: Die Kooperation mit den Sozialpartnern funktioniert wieder, auch die Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen ist vertrauensvoll. Die Kurzarbeit hilft den Arbeitnehmern, und die Pakete im Sozialbereich sind enorm. Wir haben die Steuersenkung vorgezogen, die Sozialversicherung für die kleinsten Einkommen gesenkt, dazu kommt der Kinderbonus von 360 Euro für jeden, auch für Mindestsicherungsbezieher. Erstmals wurde auch das Arbeitslosengeld erhöht. Es gibt für sechs Monate je 150 Euro, das ist ja nicht so wenig. Dazu ein Bildungs- und ein Lehrlingsbonus und 1000 € Mindestpensionen. Wo hat denn die SPÖ das jemals mit der ÖVP zusammen gebracht? Das hat es trotz roter Kanzler und Sozialminister nicht gegeben. Es zählt das für Millionen Menschen Erreichte, die Zurufe der Sozialdemokraten erscheinen mir wie ein dumpfer Reflex.
In sozialen Medien blicken viele SPÖler moralisch auf die Grünen herab, weil Sie sich mit Kurz eingelassen haben, der keine Kinder aus Moria aufnehmen wollte oder jetzt wieder den Westbalkan-Sager platzierte. Sehen Sie die Grünen in Bedrängnis? Es gibt ja viele Wechselwähler zwischen SPÖ und Grünen.
Wir haben bei den letzten Wahlen überall historische Höchststände, erkämpft, und das wird auch kommendes Jahr in Oberösterreich so sein. Bei Kanzler Kern und seinen SPÖ-Vorgängern hatten wir fünf bis zehn Millionen im Auslandskatastrophenfond, das war international zum Fremdschämen. Jetzt haben wir 60 Millionen ausverhandelt. Es gab noch nie so viel Flüchtlingshilfe über diese Töpfe wie jetzt.
Sie haben Sebastian Kurz jetzt einige Monate erlebt. Ist er so populistisch, wie er im rot-grünen Milieu oft beurteilt wird?
Grosso modo agiert er mit klassischen Vereinfachungen, die kommunikativ grundsätzlich richtig und sicher wirksam sind. In der Verkürzung können dann gewisse Schräglagen passieren – wie am Mittwoch, die sind korrigiert worden. Inhaltlich sind die Reisebeschränkungen richtig, da bin ich offen gestanden strenger als die ÖVP.
Inwiefern?
Es ist zu überlegen, ob man nicht die Reisebeschränkungen über den 10. Jänner hinaus verlängert. Wenn es uns gelingt, dass in Österreich die Infektionszahlen aufgrund strenger Maßnahmen sinken, dann soll man nicht wieder dorthin kurven, wo diese Maßnahmen nicht gelten. Wir kennen die Disco-Touren nach Bratislava und Prag, auch die Schweiz hat uns Probleme gemacht, als dort alles offen war, aber die Zahlen schlechter waren als bei uns. Wir wissen auch, dass im Sommer vieles Kroatien zuzuordnen war, aber da ging es auch ganz stark um österreichische Urlauber, die Party gemacht haben.
Wie erleben Sie SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in der Corona-Krise?
Ich pflege mit ihr ein gutes Verhältnis. Sie argumentiert sehr kompetent und hilfreich in der Sache, wir nehmen immer wieder ihre Anregungen auf. Sie hat zum Beispiel früh auf die Bedeutung der Masken hingewiesen. Etwas anderes sind die Debatten im Parlament. Wie da oft ohne Bezug zur Realität von der SPÖ dazwischen gerufen wird, dafür fehlt mir zunehmend das Verständnis. Da wird zum Beispiel behauptet, es habe keine Steuersenkung gegeben, obwohl es eine gab. Das ist Oppositions-Trumpismus.
Wie wollen Sie einen dritten Lockdown verhindern?
Mit einer behutsamen und schrittweisen Öffnung. Aber es ist unmöglich, es dabei allen Recht zu machen. Von den acht Millionen Fußballtrainern in dem Land haben in der Krise einige Millionen auf Virologe oder Verschwörungstheoretiker umgesattelt.
Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser wurde in erster Instanz zu acht Jahren Haft verurteilt. Die Grünen haben oft Grassers Umtriebe aufgedeckt. Sind Sie nun zufrieden?
Die Justiz hat gewissenhaft gearbeitet, auch wenn es lange gedauert hat. Ich bin immer noch beeindruckt, mit welcher Akribie die inzwischen verstorbene Abgeordnete Gabriela Moser die Buwog-Affäre aufgearbeitet hat. Ich erinnere mich auch an Grassers Aktiendeals und andere Unvereinbarkeiten. Das war schon faul, lange bevor die Buwog-streng zu riechen begann.
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