Finanzminister Blümel: „Wir waren nie Nulldefizit-Fetischisten“
Kommende Woche beginnen zwischen Türkis und Grün die Budgetverhandlungen für den Bundeshaushalt 2021. Es wird das erste detaillierte Krisenbudget.
Im laufenden Haushalt hat sich Finanzminister Gernot Blümel lediglich „ermächtigen“ lassen, Milliarden an Krisenhilfe auszubezahlen. Am 14.Oktober wird Blümel im Nationalrat seine Budgetrede halten.
Drei Tage zuvor steht er als ÖVP-Spitzenkandidat in Wien auf dem Wählerprüfstand. Im KURIER skizziert Blümel die Grundzüge des Budgets für 2021.
KURIER: Herr Finanzminister, am 18. März hatte der Kanzler einen Auftritt. Wissen Sie noch, was er bei diesem Anlass gesagt hat?
Gernot Blümel: Am 18. März? Wahrscheinlich „koste es, was es wolle“.
Richtig.
Das weiß ich deswegen, weil das der Tag der Budgetrede gewesen wäre, die dann nicht stattgefunden hat, und das geschah meines Wissens zum ersten Mal in der 2. Republik.
Jetzt erstellen Sie gerade wieder ein Budget, das erste detaillierte Krisenbudget. Gilt dieser Grundsatz „Koste es, was es wolle“ noch?
Es geht darum, dass wir das Geld zur Verfügung stellen wollen, das es braucht, damit Österreich gut durch diese Krise kommt. Die gute Nachricht ist, wir können uns das leisten, weil wir die letzten Jahre ordentlich gehaushaltet haben, weil wir ein guter Schuldner sind. Das sieht man auch an den Kapitalkosten. Die Märkte vertrauen Österreich, dass wir das Geld zurückzahlen. Aber jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um staatlich zu intervenieren.
Wir haben in Ihrem Vorzimmer ein Buch von Friedrich Hayek (sh. Infokasten re.) liegen gesehen. Was Sie gerade sinngemäß gesagt haben – Spare in der guten Zeit, so hast du in der Not – ist jedoch lupenreiner Keynesianismus. Haben Sie Ihren Keynes inzwischen gelesen?
Ich habe Hayek und Keynes gelesen, und beide haben zu einem Gutteil recht. Keynes kurzfristig, wenn es eine Krise gibt, und Hayek langfristig. In einer Situation wie jetzt zu sagen, da darf der Staat nicht intervenieren, das muss der Markt von selbst regeln, wäre absurd. Das wäre auch das Gegenteil der sozialen und ökosozialen Marktwirtschaft, die wir seit Jahrzehnten in Österreich leben. Jetzt ist der genau richtige Zeitpunkt zu intervenieren. Denn wir werden nur gut durch die Krise kommen, wenn wir es schaffen, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten und möglichst viele Unternehmen, die aufgrund der Krise ein Problem haben, durchzutragen. Hayek hat aber recht, wenn er sagt, dass man das langfristig nicht so aufrecht erhalten kann.
Die ÖVP erregte sich heftig über den Kreisky-Spruch, Schulden würden ihm weniger schlaflose Nächte bereiten als Arbeitslose. Jetzt machen Sie das selber.
Diesen Ausspruch hat Kreisky getätigt, als wir fünf Prozent Wachstum hatten. Das mit der jetzigen Situation zu vergleichen, wo die Wirtschaft um sechs oder sieben Prozent schrumpfen wird, ist völlig absurd. Wer in einer Zeit mit fünf Prozent Wachstum neue Schulden macht, hat nicht nur Hayek falsch verstanden, sondern auch Keynes. Wir haben uns immer nur über falsch verstandenen Keynesianismus aufgeregt, wenn man in Zeiten guter Konjunktur trotzdem neue Schulden macht.
Die ÖVP predigte immer, Budgetpolitik müsse nachhaltig sein, man dürfe den späteren Generationen keine Schulden oder zumindest keine Schuldenberge hinterlassen. Wie wird das diesmal sein? Wer wird die Schulden, die wir jetzt machen, zurückzahlen?
Das Nulldefizit und ein ausgeglichener Haushalt sind nicht per definitionem ein Selbstzweck. Wir waren nie Nulldefizit-Fetischisten, sondern sind immer für nachhaltige Haushaltpolitik eingetreten. In Zeiten, in denen es genügend Steuereinnahmen gibt, ist es einfach schlechte Politik, trotzdem Schulden zu machen. Umgekehrt wäre es in einer Zeit wie jetzt genauso falsch zu sagen, wir müssen sparen. Das wäre wirklich genauso falsch.
Wie wird der Schuldenberg abgetragen werden?
Die letzte Wirtschaftskrise war anders gelagert, aber man kann sie, was den Schuldenabbau betrifft, trotzdem als Vergleich heranziehen. 2015 war der Höhepunkt des Schuldenstands mit 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Ab diesem Zeitpunkt haben wir es geschafft, sukzessive in Relation zum BIP von den 85 Prozent runter zu kommen. Wie? Indem wir gute Standortpolitik gemacht haben, die überdurchschnittliches Wachstum ermöglichte. Dadurch gab es mehr Steuereinnahmen, mehr Arbeitsplätze. Wichtig war, dass wir keine neuen Steuern eingeführt haben. Im Gegenteil, wir haben Steuern gesenkt. Das wird auch in Zukunft der richtige Weg sein, wahrscheinlich mit einer längeren Strecke als damals, weil die jetzige Krise zweifellos schwieriger ist als die vor zehn Jahren.
Zusammengefasst: Eine solide Budgetpolitik kombiniert mit Wachstum lässt uns aus den Schulden in Relation zum BIP rauswachsen. In diesem Sinn wird die Schulden niemand zurückzahlen?
Das ist genau die Richtung. Deswegen hielte ich es für schlecht, irgendwelche Verteilungsdebatten anzufangen, denn diese würden genau das verhindern, was wir jetzt brauchen: Die Zuversicht der Investoren und der Unternehmen in den Standort Österreich. Wir wollen, dass alle, die Arbeitsplätze schaffen können, die Gewissheit haben, dass sie das in Österreich tun können, weil es sich bei uns auszahlt.
Eine Absage an alle Vermögens- und Millionärssteuerdebatten?
Generell führt die Umverteilungsdebatte zum Gegenteil dessen, was wir jetzt brauchen. Wir haben eine Investitionsprämie ausgesetzt, damit Unternehmen Investitionen vorziehen, anstatt sie auf die Zeit nach der Krise zu verschieben. Eine Umverteilungsdebatte würde die Investitionsprämie konterkarieren.
Die Regierung hat angekündigt, 2021 die zweite und dritte Steuerstufe zu senken. Wird das trotz Krise stattfinden?
Durch die Corona-Krise hat sich in der Abfolge des Regierungsprogramms manches verschoben. Wir haben Maßnahmen vorgezogen, andere werden sich vielleicht verzögern – immer unter dem Gesichtspunkt, was ökonomisch sinnvoll ist. Wir haben nachfrageseitig angekurbelt mit der vorgezogenen Senkung der ersten Steuerstufe und der Einmalzahlung beim Arbeitslosengeld. Die Angebotsseite haben wir mit degressiver Abschreibemöglichkeit und Investitionsprämie intensiviert.
Philosoph im Finanzressort
Seit Türkis-Grün ist der studierte Philosoph Gernot Blümel Finanzminister. Er las nun auch Keynes und Hayek, Vertreter kontroversieller Denkschulen
John Maynard Keynes (1883 – 1946)
Der britische Ökonom trat für staatliches Gegensteuern bei Fehlentwicklungen ein
Friedrich Hayek (1899 – 1992)
Gebürtiger Wiener; Vertreter der Denkschule, der Markt wird und soll alles regeln. Beide Ökonomen waren einander freundschaftlich verbunden
Lese ich aus Ihrer Antwort heraus, dass man die Absenkung von 35 auf 30 Prozent und von 42 auf 40 Prozent verschiebt?
Das wird noch zu diskutieren sein. Klar ist, dass das Regierungsprogramm gilt, wir werden die Steuersenkung umsetzen. Durch Corona können sich einige Dinge jedoch verschieben.
1,6 Milliarden kostet die vorgezogene Senkung des Eingangssteuertarifs. Mit Pensionserhöhung, Beamtenlohnrunde und Zuschuss zur Sozialversicherung ergibt das rund drei Milliarden. Werden Sie irgendwo auf die Bremse steigen?
Momentan zu sparen, würde ich als schlecht empfinden. Gegenteilige Signale zu setzen, würde das konterkarieren. Wir werden den eingeschlagenen Weg weiter gehen.
Sie sind zur Zeit im Wien-Wahlkampf unterwegs. Welche Stimmung nehmen Sie bei Ihren Bürgerkontakten wahr? Zuversicht, dass es nach dem Lockdown nur noch aufwärtsgehen kann? Oder überwiegen Ängste?
Mein Eindruck ist, alle hoffen, dass man eine zweite Welle verhindern kann, und sind bereit, mit Vorsichtsmaßnahmen dazu beizutragen. Es überwiegt die Hoffnung, dass es besser wird. Aber 80 Prozent der Themen, die angesprochen werden, haben mit Migration zu tun und nicht mit Corona.
Was schließen Sie daraus? Dass der Boden für die FPÖ doch nicht schlecht ist?
Dass Corona öffentlich sehr präsent ist, dass aber die Probleme, die es vorher gab, nicht weg sind.
Warum kandidieren Sie in Wien, obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, dass Sie in die Kommunalpolitik wechseln? Sie werden ja den Finanzminister nicht gegen den Vizebürgermeister eintauschen.
Ich habe mich vor fünf Jahren für Wien entschieden. Ich glaube, dass wir bei dieser Wahl einen großen Sprung machen können, und wer weiß, vielleicht können wir in fünf Jahren den nächsten Schritt tun. Mir geht es darum, einen anderen Weg als den der SPÖ für Wien anzubieten. Bei der Migration zum Beispiel braucht es eine starke türkise Handschrift.
Werden Sie mit der SPÖ in Wien die Koalitionsverhandlungen führen?
Wenn die ÖVP von der stimmenstärksten Partei, der SPÖ, dazu eingeladen wird, ja. Ich weiß auch schon, welche Themen ich auf den Tisch legen werde: Migration mit Hausverstand, Integration fordern, nicht nur fördern. Keine Zuwanderung ins Sozialsystem. Oder: Der KAV muss endlich ausgegliedert werden. Wien ist das einzige Bundesland, wo die Krankenanstalten noch am Gängelband der Politik hängen, wo Bürgermeister oder Stadtrat durchgreifen können. Wenn ein SPÖ-Gewerkschafter eine Neuerung im KAV nicht super findet, kriegt das dortige Management sofort den Druck von der Politik.
Wenn Sie Ihre Anliegen ausreichend bei der SPÖ durchkriegen, würden Sie vom Bund nach Wien wechseln?
Wien ist der Ballungsraum der Republik, er kann der Motor oder der Bremsklotz für die ganze Volkswirtschaft sein. Ich wohne in Wien und lebe in Wien. Es kann nichts Schöneres geben, als für den Ort, wo man lebt, Politik zu machen.
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