Androsch: "Kreisky dreht sich im Grab um"
Ihr Verhältnis war spannend und spannungsgeladen. Bruno Kreisky und Hannes Androsch gingen ein Stück des Weges gemeinsam. Der KURIER besuchte Androsch in Altaussee und sprach mit ihm über die Ära Kreisky und die SPÖ von heute.
KURIER: Heuer ist es 50 Jahre her, dass Bruno Kreisky die erste SPÖ-Alleinregierung der Zweiten Republik gegründet hat, sein Todestag jährt sich am Mittwoch zum 30. Mal. Was bleibt vom Jahrhundertpolitiker?
Hannes Androsch: Kreisky war eine herausragende Persönlichkeit, die unser Land geprägt hat. 13 Jahre Regierungschef – fast durchgehend mit absoluter Mehrheit – ist mehr als außergewöhnlich. Geblieben ist, dass er und sein Team das Land bis heute geprägt haben. Unter Kreisky hat es einen enormen Aufstiegs- und Bildungsschub gegeben. Unser Land bräuchte einen solchen Aufbruch und Anschub auch heute.
Wenn man die „goldenen Jahre“ Revue passieren lässt, sticht der Gegensatz zur inhaltlich und personell ausgedünnten SPÖ heute umso deutlicher ins Auge. Muss man die Sozialdemokratie beerdigen und neu gründen?
Politik inhaltsloser Inszenierungen und Selbstdarstellungen betrifft ja nicht nur die Sozialdemokratie, aber in ihren Wirkungen ganz besonders – in Österreich, Deutschland und anderen Ländern. Da ich schicksalshaft das Glück hatte, in dieser erfolgreichsten Periode in der 130-jährigen Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie gestaltend mit dabei zu sein, ist das besonders schmerzhaft. Wir brauchen einen Aufbruch, weil wir im digitalen Zeitalter angelangt sind, weil es um die Alterung der Gesellschaft geht, weil die Klima- und Migrationsfrage eine große Rolle spielen und lange nicht beachtet wurden. Und weil wir jetzt in einer Gesundheitskrise stecken, wo die SPÖ Alternativen im Umgang mit ihr stärker aufzeigen könnte.
Kreisky propagierte „Leistung, Aufstieg, Sicherheit“. Heutige Slogans heißen: „Hol dir, was dir zusteht“. Wenn man an seine Nachfolger bis Rendi-Wagner denkt, dreht sich der „Alte“ nicht jeden Tag im Grab um?
Wenn man sich das so vorstellen möchte, kann er sich nur im Grab umdrehen, wenngleich er schon nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik mit allem Möglichen unzufrieden war. Aber seine Haltung war dann schon von seiner zunehmenden Kränklichkeit bestimmt. Gewisse Entwicklungen wollte er nicht zur Kenntnis nehmen, etwa den Strukturwandel in der Industrie. Da hat Kreisky geglaubt, man kann an der Verstaatlichten so, wie sie ist und mit all ihren Beschäftigten festhalten. Das musste dann erst später mit 100 Milliarden Schilling – letztlich erfolgreich – saniert werden.
Die erste Absolute 1971 errang Kreisky mit dem Slogan: „Lasst Kreisky und sein Team arbeiten“. Sie waren im Team der Jungstar, Kreiskys politischer Ziehsohn und Kronprinz. Später kam es zum Bruch, Ihr Verhältnis blieb zeitlebens schwer belastet. Erst zum Schluss sagte er: „Aber ein Kaliber war er schon.“ Haben Sie Ihren Frieden gefunden mit Kreisky?
Ich für meinen Teil schon, für ihn kann ich nicht sprechen. Ich habe den gesunden Kreisky im höchsten Maße schätzen gelernt. Es war von ihm zum Beispiel mehr als mutig, mich damals mit 32 zum Finanzminister zu machen. Ob das durch seine fortschreitende Krankheit oder durch meine zunehmend selbstbewusste Selbstständigkeit negativ beeinflusst wurde oder auch durch meinen guten Kontakt zum damaligen ÖGB-Präsidenten Anton Benya, sei dahin gestellt.
In der Kreisky-Ära gelangen wesentliche Reformen. Kreisky als Ermöglicher, Androsch, Broda, Firnberg die Verwirklicher. An den Schattenseiten des „Sonnenkönigs“ kommt man aber nicht vorbei: von der Verstaatlichtenpolitik bis zu seinem Narzissmus im Persönlichen. Was überwiegt für Sie?
Wo viel Sonne ist, muss auch Schatten sein, aber die Sonne überwiegt bei Weitem. Es war eine prägende Zeit. Bis dahin, dass der heutige, fast erinnerungslose Finanzminister Kreisky zitiert, nachdem die ÖVP jahrzehntelang gesagt hat, das war nur Schuldenmacherei. Und Kreisky hat sein Team arbeiten lassen, auch wenn ihm nicht immer alles gefallen hat. Broda hat uns mit der kleinen Strafrechtsreform (Straffreiheit für Homosexuelle) die Absolute gebracht. Oder Hertha Firnberg. 1970 hat Kreisky das Wissenschaftsministerium geschaffen, 2014 wurde es wieder abgeschafft, das sagt alles. Sinowatz war bildungsbesessen. Auch Leodolter hat sich ein Denkmal gesetzt mit dem Mutter-Kind-Pass. Oder die Hartwährungspolitik, die den Strukturwandel in der Industrie angeschoben hat.
Die Stichworte ihrer Entfremdung mit Kreisky lauten: Consultatio, AKH-Skandal, Villenfinanzierung. Sie wurden zum Symbol für den reichen Aufsteiger, des weitgehend ideologiefreien Machers. Später reüssierten sie als Investor und Unternehmer bis China. Hand aufs Herz, sind Sie eigentlich noch ein Sozi?
Ich bin in der vierten Generation sozialdemokratisch sozialisiert. Einer meiner Urgroßväter war schon am 1. Mai 1890 und ist von der Berittenen vertrieben worden. Ich bin für eine moderne Sozialdemokratie, die sich ihrer eigenen Grundwerte besinnt, etwa im Bildungsbereich. Dazu kommen die 3 D’s: Dekarbonisierung, Demographie, Digitalisierung oder die Überwindung der Fremdenfeindlichkeit, die heute unser Land politisch- nicht bei den Menschen mit Herz – kennzeichnet. Zu solch wichtigen Fragen unserer Zeit haben wir als SPÖ für die Menschen keine Antworten und bieten keine Orientierung, keinen Halt. Sie bräuchten aber Hoffnung und Aufstiegsmöglichkeiten.
Kreisky war auch der Journalistenkanzler …
Kreisky hat gewusst, wie man Journalisten „besticht“. Nicht mit „Message Control“ zensuriert, sondern mit einer guten Geschichte. Er war der Erste, der erkannte, wie man das Medium Fernsehen nutzt. Ein gesunder Kreisky hätte auch das Potenzial der Social Media erkannt, das die SPÖ verschlafen hat. Kreisky brauchte nicht die selbstdarstellerischen Vorführungen von heute, sondern er hatte ein G’spür für die Leute, egal, wo er aufgetreten ist. Wer das auch exzellent beherrschte, war Jörg Haider, den Kreisky übrigens sehr schätzte – wie auch umgekehrt.
Kreisky sagte, ein paar Milliarden Schilling Schulden bereiten ihm weniger schlaflose Nächte als ein paar Hunderttausend Arbeitslose mehr. Heute sagt Sebastian Kurz: Koste es, was es wolle. Sind sich die beiden ideologisch näher, als man zunächst denkt?
In diesem Punkt vielleicht aus Opportunismus, aber bis vor Kurzem haben wir noch den Unsinn von der schwäbischen Hausfrau mit dem Nulldefizit gehört, das nie erreicht wurde. Von 2000 bis 2019 hat sich die Finanzschuld von 140 auf 290 Milliarden erhöht, obwohl wir uns in den letzten zehn Jahren 62 Milliarden an Zinsen erspart haben und eine Rekord-Abgabenquote haben.
Sie haben wie Kreisky nie Berührungsängste zur FPÖ gehabt. Wäre es an der Zeit, dass ein Hans Peter Doskozil die SPÖ übernimmt, eventuell eine Zusammenarbeit mit der FPÖ anstrebt, um so die Dominanz der Kurz-ÖVP zu brechen?
Das ist im gegenwärtigen Zustand der FPÖ leider nicht möglich, obwohl eine Konstellation wie mit Friedrich Peter (SP-Minderheitsregierung mit FP-Duldung 1970; Anm.) wünschenswert wäre. Unter Peter und Steger hat die FPÖ versucht, eine liberal freisinnige Partei zu werden, das hat sich dann dramatisch geändert.
Wollten Sie wirklich nie Bundeskanzler werden, wie Sie immer behauptet haben? Den Kanzler hätte ich mir zugetraut, den Parteivorsitz nicht, das wäre aber die Voraussetzung für die Kanzlerschaft. Es ist etwas anderes, eine Regierung zu führen, als eine so große und so traditionsreiche Partei in all ihren Facetten zusammen zu halten.
Kann das Pamela Rendi-Wagner?
Sie bemüht sich.
Trauen Sie Hans Peter Doskozil mehr zu?
Er scheint zu wollen.
Sie wurden am 18. April mitten im Lockdown 82 Jahre alt. Durch eine Nierentransplantation im Vorjahr haben Sie ein zweites Leben geschenkt bekommen, wie Sie selbst sagen. Wie beurteilen Sie den Umgang der Bundesregierung mit Corona?
Ich beneide die Amtsträger nicht um ihre Aufgabe, aber ich hätte mir in so einer Situation schon gewünscht, dass man einen parteiübergreifenden nationalen Krisenstab einsetzt, anstatt versucht, parteipolitischen Gewinn aus der Krise zu ziehen. Dank unseres sehr guten Gesundheits- und Altenbetreuungssystems, insbesondere in Wien, sind wir trotz aller Hoppalas von Ischgl bis St. Wolfgang bisher vergleichsweise sehr gut über die Runden gekommen.
Und die Wirtschaftshilfe?
Sie ist im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz gering und in der Umsetzung dilettantisch bis chaotisch. Wir machen zu wenig, weil wir bisher kein Konjunktur- und kein Zukunftsprogramm haben und die Hilfen entsetzlich schleppend und als Almosen umgesetzt werden.
Zum Schluss: Wie wird die Wien-Wahl ausgehen?
Ich bin für Wien angesichts all der Ereignisse von Casinos bis Novomatic und dem Missmanagement der Virus-Krise sehr optimistisch, dass Bürgermeister Ludwig einen Vierer vorne schafft. Und wenn es ganz gut ausgeht, sogar die Mandatsmehrheit.
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