Welche Reformen Türkis-Grün noch vorhat
Es ist Karl Nehammers (ÖVP) erste Regierungsklausur als Bundeskanzler (er ist seit 6.12.2021 Regierungschef). Am 10. und 11. Jänner treffen sich ÖVP und Grüne im niederösterreichischen Mauerbach, um die Schwerpunkte ihrer weiteren Zusammenarbeit zu verhandeln. Bis spätestens zum regulären Neuwahltermin, im Herbst 2024, haben sie noch Zeit für Reformen. Man wolle „Lücken schließen“, heißt es.
Regierungsklausur unter Thema "Lehren aus der Krise"
Im Fokus stehen dabei Themen wie Energiesicherheit, Migration und Korruptionsbekämpfung. Die Regierungsparteien geben sich im Vorfeld wortkarg. Es sind vor allem heikle Punkte offen, in denen die Verhandlungen schon länger stocken. Ein Überblick:
Energiesicherheit: Österreich kämpft darum, unabhängig von russischem Gas zu werden. Eine nachhaltige Lösung ist nur auf EU-Ebene möglich, weshalb die Regierung weiterhin auf eine Entkopplung von Strom- und Gaspreis sowie gemeinsamen Gaseinkauf drängt.
Gaslenkungsverordnung: Auf Vorschlag von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sollten Betriebe noch vor dem Winter von Gas auf andere Energieträger wie Kohle umrüsten – mit finanzieller Hilfe des Bundes. Der nötige Beschluss benötigt aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat, die bisher nicht zustande kam.
Regierungsklausur
Die türkis-grüne Bundesregierung startet mit einer zweitägigen Regierungsklausur am 10. und 11. Jänner ins neue Arbeitsjahr. In Mauerbach sollen unter dem Thema „Lehren aus der Krise“ die Vorhaben und Schwerpunkte des Jahres 2023 besprochen werden. Schwerpunkt sollen die Bereiche Energiesicherheit, Unabhängigkeit, Energiewende, Wirtschaft und die Sicherheitslage im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine sein
Opposition
Auch bei den Oppositionsparteien stehen die ersten größeren Arbeitstreffen an: Das SPÖ-Bundesparteipräsidium kommt heute und morgen zur Neujahrsklausur in Klagenfurt zusammen, um sich über „aktuelle Themen“ auszutauschen. Die FPÖ veranstaltet am 14. Jänner in Wiener Neustadt ihr traditionelles Neujahrstreffen in der Arena Nova. Am 17. und 18. Jänner trifft sich die Bundesparteispitze der Neos zur Parteiklausur mit den Landessprechern und Landesgeschäftsführern
Klimaschutzgesetz: Ein neues Klimaschutzgesetz gilt als zentraler Baustein von Gewesslers Amtszeit – ähnlich wichtig wie das Klimaticket oder die CO2-Bepreisung. Es soll einen klaren Zielpfad für Bund und Länder festschreiben, wie das Ziel der Klimaneutralität 2040 erreicht werden kann. Robust ist es nur, wenn Strafen für jene festgeschrieben werden, die den Pfad verlassen. Eine Einigung fehlt seit über zwei Jahren, die ÖVP bremst. Geht sich das noch aus? Die Skepsis überwiegt auf beiden Seiten.
UVP-Novelle: Um Erneuerbare Energien schneller ausbauen zu können, will die Regierung Umweltverträglichkeitsprüfungen beschleunigen. Die Novelle war seit Juli 2022 in Begutachtung, wurde im Dezember aber von der ÖVP blockiert. „Wir sind recht weit“, versprach nun Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP).
Reformen bei Migration und Korruptionsstrafrecht
Migration: Bis November wurden in Österreich über 100.000 Asylanträge gestellt – deutlich mehr als im Krisenjahr 2015. Im Herbst stritten die Bundesländer deshalb über die Aufteilung der Migranten. Nachhaltige Lösungen sind wohl nur auf EU-Ebene möglich. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) fordert stärkeren EU-Außengrenzschutz, Asylverfahren an Schengen-Außengrenzen oder in sicheren Drittstaaten. Dazu kommen bilaterale Lösungen: Indien erklärte sich etwa bereit, „irreguläre“ Einwanderer zurückzunehmen. 2022 kamen mehr als 18.000 Inder nach Österreich.
Korruptionsstrafrecht: Das neue Korruptionsstrafrecht könnte tatsächlich bald beschlossen werden, wie ÖVP-Klubchef August Wöginger ankündigte. Eckpunkte sind die erweiterte Strafbarkeit des Mandatskaufs oder die Ausweitung des Amtsträgerbegriffs bei Bestechlichkeit. Ein Politiker macht sich dann auch strafbar, wenn er etwa eine Leistung gegen Geld verspricht, bevor er sein Amt angetreten hat.
Informationsfreiheitsgesetz: Wer Informationen von Unternehmen oder öffentlichen Stellen haben will, soll diese kostenlos erfragen können. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses und für die Infofreiheit hat die Koalition im Februar 2022 in Begutachtung geschickt. Die Gespräche mit Ländern und Gemeinden gestalten sich schwierig, diese fürchten einen hohen Bürokratieaufwand. Verfassungsminiserin Karoline Edtstadler (ÖVP) geht von einer Einigung in dieser Legislaturperiode aus.
Bundesstaatsanwalt: Derzeit steht die Justizministerin , also Alma Zadić (Grüne), an der Spitze der Weisungskette der Staatsanwaltschaften. Um diese Funktion zu entpolitisieren, soll sie künftig ein Bundesstaatsanwalt übernehmen. Die Grünen fordern dafür einen Dreier-Senat. Die ÖVP pocht auf eine Einzelperson und will zudem bessere Beschuldigtenrechte: kürzere Verfahren, höherer Kostenersatz. Wohl auch, da die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in der ÖVP-Inseratenaffäre gegen viele hochrangig VP-Politiker ermittelt. Das Projekt stockt seit Februar 2021.
Die Frage der ORF-Finanzierung
Pensionssplitting: Nur 1.033 Paare haben 2022 Pensionssplitting in Anspruch genommen. Heißt: Der erwerbstätige Elternteil – zumeist der Vater – kann Teile seiner Pensionsgutschrift dem erziehenden übertragen. Geht es nach Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP), soll das künftig automatisch geschehen. Die Grünen fordern im Gegenzug etwa zeitgerechtere Karenzmodelle.
ORF-Finanzierung: Wer ORF im Internet streamt, muss auch GIS-Gebühr bezahlen: Wegen dieses VfGH-Spruchs muss der ORF seine Finanzierung neu aufstellen. Debattiert werden eine Haushaltsabgabe für alle, eine erweiterte geräteabhängige Abgabe oder eine Finanzierung aus dem Bundesbudget. Der Stiftungsrat drängt auf eine Lösung bis März, um rechtzeitig ein Budget planen zu können.
Arbeitsmarktreform: Die Reform der Arbeitslosenversicherung sollte das Herzstück von Martin Kochers Amtszeit werden. Sie scheiterte. Das dürfte kein Einzelfall bleiben.
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