Was hinter dem Lockdown-Streit der Regierung steckt
Der Lockdown für Ungeimpfte gilt seit Montag. Aber reicht das? Muss es in der aktuellen Notlage vielleicht doch Verschärfungen für Geimpfte geben? Diese Frage hat den nächsten Koalitionskrach entfacht.
Kern des Konflikts: Die Grünen können sich Kontaktbeschränkungen für Geimpfte prinzipiell vorstellen, die ÖVP nicht. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein preschte am Sonntag vor. In der ZiB2 verkündete er, dass es „auch für geimpfte Menschen nächtliche Ausgangsbeschränkungen“ geben werde. Ein Maßnahmenpaket für die Nachtgastro liege bereits „am Tisch“.
Um einen Lockdown für Geimpfte per Verordnung durchzusetzen, bräuchte Mückstein eine Mehrheit im Hauptausschuss des Parlaments. Derzeit ist aber nicht einmal der Koalitionspartner auf seiner Seite.
Bundeskanzler Alexander Schallenberg gängelte Mückstein auf Ö1. Der Lockdown für Ungeimpfte sei ein „drastischer Schritt“ gewesen, so Schallenberg: „Experten sagen, es kann sein, dass wir mit diesen Schritten die nötige Kontaktreduktion erreichen, die wir brauchen.“
Einschränkungen für Geimpfte seien völlig kontraproduktiv, wenn man die Impfquote steigern wolle, heißt es aus dem Kanzleramt zum KURIER. An dieser klaren Linie werde sich auch nichts ändern. Noch deutlicher wurde Tourismusministerin Elisabeth Köstinger: „Ich halte überhaupt nichts von den Wortmeldungen des Gesundheitsministers.“ In der Koalition hängt der Haussegen also ziemlich schief.
Auch die Oppositionsparteien schießen sich auf Mückstein ein. Vor dessen TV-Auftritt tagte der Hauptausschuss des Parlaments. Teilnehmer sprechen rückblickend von einer „schrägen Debatte“. Vor allem Neos und SPÖ befragten Mückstein, welche Verschärfungen noch geplant seien. „Der Minister hat unsere Fragen nicht beantwortet, aber zwei Stunden später im Fernsehen Ankündigungen gemacht. Da fühlen wir uns schon auf den Arm genommen“, sagt Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker.
Den Experten folgend
Minister Mückstein – allein auf weiter Flur. Was sollte der Vorstoß? Ein Versprecher? „Die Aussage war kein Zufall und trägt auch nicht die Handschrift des Gesundheitsministers“, sagt ein Regierungsinsider. Die Vermutung: Mückstein sei schlecht beraten, hinter seinen unbedachten Ankündigungen stecke Stefan Wallner, Kabinettschef von Vizekanzler Werner Kogler.
Die Grünen winken ab. Mückstein sei weder fremdgesteuert, noch habe er voreilig einen Lockdown für Geimpfte angekündigt. Dem Gesundheitsminister sei es eben wichtig, Maßnahmen analog zu den Vorschlägen der Wissenschaft zu implementieren. Beispiel: Die Corona-Ampel-Kommission erwartet sich keinen Effekt von den jetzigen Maßnahmen und bevorzugt einen Lockdown für alle.
Rechtlich möglich, aber unwahrscheinlich
Rechtlich wäre dieser machbar. Grundrechtlich gilt zwar das Prinzip des gelinderen Mittels, heißt: Es muss die kleinstmögliche Einschränkung umgesetzt werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Wenn der Lockdown von Ungeimpften aber zu geringe Effekte auf das Infektionsgeschehen habe, könne auch wieder ein allgemeiner Lockdown verhängt werden, sagt Verfassungsjurist Clemens Jabloner in der Kleinen Zeitung. Neos-Klubvize Nikolaus Scherak – gelernter Verfassungsjurist – sieht wiederum keine Verhältnismäßigkeit in einem allgemeinen Lockdown. Sollte dieser dennoch kommen, wollen die Pinken vor den VfGH ziehen. Bleibt die ÖVP bei ihrer Linie – laut Altkanzler Sebastian Kurz ist die Pandemie für Geimpfte seit Juli beendet – wird das nicht nötig sein.
Trotz aller Reibereien: Bundesweite Verschärfungen möchte die ÖVP nicht kategorisch ausschließen. Darunter fallen eine Homeoffice-Empfehlung, eine Ausweitung der FFP2-Maskenpflicht und auch 2-G-Plus – also eine PCR-Testpflicht für Geimpfte – in der Nachtgastronomie und bei Veranstaltungen.
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