Wahlkampftöne am 1. Mai – auch in der Regierung
In der Politik ist bekanntlich vieles, wenn nicht alles Inszenierung. Das gilt für den 1. Mai im Allgemeinen und für den 1. Mai 2019 im Speziellen – dreieinhalb Wochen vor der EU-Wahl, dem ersten bundesweiten Test für Türkis-Blau seit Regierungsantritt.
Doch dieses Mal ist die lange vorbereitete Inszenierung teils entglitten – zumindest aufseiten der Regierungsparteien. Absicht oder nicht, hier scheiden sich die Geister. Denn auch eine verbale Auseinandersetzung auf offener Bühne kann ein Teil der Inszenierung sein und Wähler mobilisieren.
Zunächst verlief alles nach Drehbuch, beim eigens am 1. Mai angesetzten Steuerreform-Ministerrat, wo nichts anderes passierte als der formale Beschluss der Milliarden-Entlastung. Die kontrollierte Message der Regierung: Während die Roten nur marschieren und uns – ÖVP und FPÖ – einen Scherbenhaufen hinterlassen haben, entlasten wir die Bevölkerung und stärken die Wirtschaft.
Passend zum Ereignis belasteten sich weder Kanzler Sebastian Kurz noch Vizekanzler Heinz-Christian Strache mit Krawatten. Beide kamen leger zu einer Regierungssitzung am „Tag der Freude“, ja, am „Tag der Entlastung“. Strache trat in Jeans und dunkelblauen Edel-Sneakers vor die Medienleute.
Nach den bekannten Slogans vom Ende der roten Schuldenpolitik erteilte Zeremonienmeister Peter Launsky-Tieffenthal den Journalisten das Wort. Und dann kippte die Stimmung, weil – Überraschung – sich niemand mehr für die Steuerreform interessierte. Sie war erst am Dienstag und zuvor mehrfach in Medien präsentiert worden.
Und wie schon eine Woche zuvor, als das rassistische „Ratten-Gedicht“ aus Braunau das druckfrische Stabilitätsprogramm für Brüssel überdeckte, dominierte die Debatte über die Rechtslastigkeit der FPÖ die Fragerunde. Aus dem Fernduell Regierung gegen SPÖ wurde auch ein Match ÖVP gegen FPÖ.
Es machte den Anschein, als ob beiden Parteien im EU-Wahlkampf die Wählermobilisierung gleich wichtig ist.
Drinnen, draußen
Draußen auf der Ringstraße marschierten die SPÖ-Züge in der Mai-Sonne Richtung Rathausplatz und die bewährte Inszenierung zu Marschmusik und roten Fahnen funktionierte wie am Schnürchen. Aber auch die SPÖ ging nicht mehr auf die Steuerreform, sondern auf die Regierung und besonders auf Strache los. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner nannte ihn den „permanenten Einzelfall“.
Mai-Aufmarsch der SPÖ in Wien - Rücktritts-Aufforderung an Strache
Drinnen im kühlen Kongresssaal des Bundeskanzleramtes mischten sich Misstöne unter die Wortmeldungen. Frostige Stimmung oder gar Konflikt wäre sicher zu viel gesagt, aber es hat für Journalisten Seltenheitswert, wenn sich Kanzler und Vizekanzler der „Wir-Streiten-Nicht“-Regierung – wie zu besten Zeiten von Rot-Schwarz – die Blöße gegenteiliger Ansichten geben.
Vor allem deutsche Fernsehstationen wollten wissen, wie Kurz und Strache es nun mit dem rechten Kampfbegriff vom „Bevölkerungsaustausch“ halten, wie sie die blauen Attacken auf ORF und Armin Wolf sehen bzw. rechtfertigen. Ergo, wie es nun nach den vielen Einzelfällen in der Koalition weiter gehe.
Strache widersprach dabei Kurz beim „Bevölkerungsaustausch“ klar. Er habe schon davor gewarnt, dass die Österreicher zur Minderheit im eigenen Land werden, da habe es die Identitären noch gar nicht gegeben. Es gehe ihm um „die Sache“, der „Bevölkerungsaustausch“ sei eine „Realität und das kann man nicht leugnen“.
„Wortklauberei“
Man könne das auch nennen wie man wolle, befand Strache. Er sei gegen „Wortklauberei“ oder gar „Sprech- oder Denkverbote“. Schließlich bemühte der FPÖ-Chef die Statistik: bereits 51,2 Prozent der Kinder an Wiener Schulen hätten nicht Deutsch als Muttersprache.
Die kühle Replik des Kanzlers: Er halte den Begriff weiterhin für „sachlich falsch“. Wie schon am Abend zuvor in der ZiB2 sagte Kurz, es habe zwar eine Massenzuwanderung gegeben, aber eben nur nach Europa und nicht umgekehrt. Im ORF hatte Kurz noch sinngemäß ergänzt, wem dieser rechte Kampfbegriff und die dahinter stehende These zu extrem sei, der könne ja gern die ÖVP wählen.
Wenige Einzelfälle?
Dem nicht genug, redete Strache die rechtsextremen Zwischenfälle der letzten Monate klein. Ja, es habe „Einzelfälle“ in Orts- oder Bezirksgruppen gegeben, die man „an einer Hand abzählen“ könne. Aber daraus seien jedes Mal die Konsequenzen gezogen worden. Schließlich ging es um den ORF und Interviewer Armin Wolf. Kurz ist gegen „Drohungen“ gegenüber Journalisten, Strache behauptet, solche habe es gar nicht gegeben, meinte aber auch, zur Aufregung seines EU-Kandidaten Vilimsky nach dem Stürmer-Vergleich Wolfs: „Wir müssen die Größe haben und deeskalieren.“
Richtig entspannt wurde es erst ganz zum Schluss: Kurz und Strache gestanden, dass sie eigentlich ganz gern zu Armin Wolf ins „ZiB2“-Studio gingen. Kurz weil er „konfrontative Situationen mag“, Strache weil „es uns beiden nutzt“.
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