"Bevölkerungsaustausch" Experten sehen Belastung fürs Koalitionsklima
Nun sprach Vizekanzler Heinz-Christian Strache also in der Sonntags-"Krone", einer der meistgelesenen Zeitungsausgaben des Landes, vom "Bevölkerungsaustausch" als einem "Begriff der Realität".
Drei Wochen waren vergangen, seit sich der FPÖ-Chef deutlich von rechtsextremen Gruppen wie den Identitären abgegrenzt hatte. Da ging es nicht nur um eine Spende des rechtsextremen Christchurch-Attentäters an den Wiener Identitären-Chef Martin Sellner, sondern auch darum, dass sowohl der Attentäter als auch die Identitären das Sprachbild des "großen Austauschs" verwenden.
Der mediale Aufschrei war national wie international groß. Nun stellt sich die Frage, warum Strache mit der aktuellen Aussage dieses Thema wiederbelebt und welche Auswirkungen dies auf das Koalitionsklima hat.
Ein Blick ins Archiv der Austria Presse Agentur zeigt, dass Strache in 14 Jahren Bundespolitik nicht öfter als fünf Mal auf breiter medialer Ebene das Wort vom "Bevölkerungsaustausch" so verwendet hat.
"Das spricht für eine sehr bewusste Verwendung", sagt Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). "Umso skandalöser ist diese Äußerung gerade jetzt. Wir haben auf der einen Seite die großspurigen Distanzierungen, und ein paar Wochen später die Verwendung dieses Begriffs, was natürlich alles wieder durchstreicht. Und so wird das auch von den Identitären verstanden.“
Identitäre frohlocken
Identitären-Chef Sellner zeigte sich bereits am Sonntag auf Twitter erfreut, dass nun "offen und frei" über den "Bevölkerungsaustausch" gesprochen werde. Es spreche nun "nicht ein kleiner Funktionär vom Bevölkerungsaustausch, sondern der Parteichef schlechthin", sagte die Frontfigur der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Bewegung in einem Video. Zuletzt hatten sich Identitäre in den sozialen Medien enttäuscht darüber gezeigt, dass Strache sich öffentlich klar von der Bewegung distanziert hat.
Der Begriff werde nur innerhalb des Rechtsextremismus verwendet, sagt DÖW-Mitarbeiter Peham. In Österreich gehe er in verschiedenen Varianten auf die Neunziger Jahre zurück, damals habe es einen Spruch aus der Neonazi-Szene gegeben, der auch auf Aufklebern verbreitet worden sei: 'Tauscht die Regierung aus, bevor sie das Volk austauscht.‘ "Ein paar Jahre später ist das auch von der FPÖ, im Zuge einer Rechtsverschiebung des Diskurses, aufgegriffen worden," sagt Peham.
"Man kann es natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber es drängt sich der Verdacht auf, dass es Strache damit auch darum geht, den rechten Rand anzusprechen", sagt der Rechtsextremismus-Forscher. "Das betrifft auch die Burschenschaften und andere Gruppen, wir sprechen von einem dritten Lager mit unterschiedlichen Facetten und Milieus. Strache kann es sich nicht leisten, Teile dieses Lagers auf Dauer zu vergrämen, nachdem er zuletzt potenziell Vergrämendes gesagt hat.“
Hofer: "Ungeschickte Themensetzung" Straches
Politikberater Thomas Hofer möchte nicht so weit gehen. Strache habe aber offenbar "rechtfertigen wollen, dass nicht alles, was die Identitären ansprechen, ein Blödsinn ist, mit dem Verweis auf Änderungen in der Bevölkerungsstruktur." Hofer hält diese Themensetzung für ungeschickt: "Dieses Thema hat das Koalitionsklima, auch zwischen Kurz und Strache, erstmals schwer belastet. Deswegen ist das schon eine heikle Geschichte. Von der Koalitionslogik her, dieses Rechtsextremismus-Thema rasch zu beenden und wieder zu etwas Anderem überzugehen - zum Beispiel zur Steuerreform und ihren eingebauten Wohltaten für die Bevölkerung -, war das nicht gescheit."
Am Dienstag präsentiert die Regierungsspitze die Eckpunkte der Steuerreform, am Abend ist Bundeskanzler Sebastian Kurz dazu in der "ZiB2" zu Gast. Hofer sieht das als Problem: "Nach seiner China-Reise kommt der Kanzler bei seinen Medienauftritten zur Steuerreform sofort wieder unter Rechtfertigungsdruck."
Filzmaier: Rückkehr zur Schweigerolle nicht möglich
Auch Politologe Peter Filzmaier hält den Strache-Vorstoß für explosiv: "Die Summierung dieser Fälle macht es schwierig. Natürlich, bei aller Grauslichkeit des Rattengedichts in Braunau, ist jetzt die Begrifflichkeit ‚Bevölkerungsaustausch‘ ebenso schwerwiegend, weil beim Vizekanzler die Ebene des Politikers höher ist.“
Filzmaier sieht beim Bundeskanzler "langsam das Problem, dass er alle Strategien, die er jede für sich gut begründen kann, irgendwann durch hat. Er hat lange Zeit als Schweigekanzler 2.0 nichts gesagt, was vernünftig ist, weil es sich abnutzt, wenn er jeden Rülpser kommentiert. Strategie 2 war: Wenn etwas ganz besonders übel ist, dann muss er ganz klar rote Linien ziehen. Das hat er dann auch gemacht und das schien auch funktioniert zu haben. Wenn die sprachliche Radikalisierung allerdings auf unmittelbarer Regierungsebene passiert, sprich: beim Vizekanzler, oder bald beim Innenminister, dann hat er bald alle Varianten durch. Und sich in die Schweigerolle zurückzubegeben, geht auch nicht."
Koalition müsse "alte Tugenden" wiederfinden
Kollege Hofer sieht nur eine Lösung: "Dass man versucht, jetzt zu alten Tugenden, also zur Gemeinsamkeit überzugehen und Positivthemen zu setzen. Zumindest zwischen Kanzler und Vizekanzler braucht es aus Sicht der Regierung Geschlossenheit im Auftreten."
EU-Wahl als Risiko
Den EU-Wahlkampf sieht Hofer als möglichen Grund für Straches harte Wortwahl: "Klar, dass man auf der Message drauf bleibt, um die Kernwählerschicht zu beruhigen, nach dem Motto: ‚Wir sind eh noch die Alten‘.“ Hofer weiter: „Wenn es eine bewusste Provokation war, ist es vielleicht dazu geeignet, die Reihen wieder dichter geschlossen zu halten, so wie mit den Attacken auf den ORF. Wenn man aber zu sehr in Richtung Identitäre und ‚großer Austausch‘ geht, muss man natürlich aufpassen, dass man auf dem Wählermarkt gemäßigtere Stimmen nicht zum Beispiel an die ÖVP verliert.“ Die sei bei der letzten Nationalratswahl und bei der Landtagswahl in Niederösterreich zu beobachten gewesen.
Filzmaier sieht die EU-Wahl "schon als ein Problem, weil die Wählermobilisierung ein wichtiger Punkt ist. Aber ich zögere, dass alles, was eine Provokation sein kann, einem großen Masterplan zuzuschreiben ist, das ist eine Überschätzung der politischen Parteien. Nur: Die EU-Wahl erhöht zugleich enorm das Risiko, dass die sprachliche Eskalation auf größtmöglicher Bühne passiert."
"Man macht jetzt schon einiges kaputt"
Es gelte zunächst einmal die Wahlkampfzeit zu überstehen, "wenn die Regierungsparteien diese Konfliktlinie wieder befrieden wollen“, meint der Politologe. "Dann ist die Frage, was beim nächsten Anlassfall passiert und der ist vorprogrammiert. Im Gedenkjahr 2018 hat man viel aufgewendet, um gemeinsam gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Da macht man jetzt schon einiges kaputt."
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