Knapp sechs Minuten dauert das Ibiza-Video, das vor drei Monaten veröffentlicht wurde und die Republik erschütterte. Das ist nicht viel, aber die Justiz hat daraus immerhin 19 Vorwürfe abgeleitet. Das geht aus der Beantwortung von parlamentarischen Anfragen der Neos und der Liste Jetzt durch Justizminister Clemens Jabloner hervor.
Was freilich nicht heißt, dass an den Vorwürfen etwas dran ist, geschweige denn, ob sie sich strafrechtlich auf den Boden bringen lassen. Es heißt nur, dass die Justiz jedem noch so kleinen Hinweis nachgeht. Gerade jetzt, in Wahlkampfzeiten, ist das unangenehm.
Zum Beispiel für die ÖVP. Alleine die Passage in der Anfragebeantwortung, wonach die Justiz einen Konnex zwischen der Schredder-Affäre im Kanzleramt und dem Ibiza-Video nicht ausschließen kann und das erst geklärt werden muss, gereichte zur maximalen Empörung: „Es ist ein unglaublicher Schmutzkübel-Wahlkampf“, heißt es aus der Parteizentrale. Von wem nun genau? Vom Justizminister? Von den Ermittlern? Von Medien, die darüber berichteten? Oder von der FPÖ?
Die ÖVP betont, was man immer betont hat: Mit dem Ibiza-Video habe man nichts zu tun. "Wer etwas anderes behauptet, wird geklagt."
"Opfer" Strache
Als Opfer inszeniert sich auch die FPÖ: Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache wird nicht müde, das Video als „politisches Attentat“ hoch-, und das von ihm darin Gesagte herunterzuspielen. Auch die Anzeige in der Casino-Causa (siehe unten) diene nur dazu, ihn politisch zu schwächen, beklagt er via Facebook.
Diese Sensibilität ist wohl mit ein Grund dafür, dass die Ibiza-Causa mit all ihren Aspekten als Verschlussakt geführt wird. Vor dem Wahltag sollen keine Teilergebnisse präsentiert werden, wie der KURIER justizintern erfuhr. „Jede Erkenntnis, jeder Zwischenschritt, könnte für weitere Verschwörungstheorien und Opferrollen missbraucht werden“, heißt es. Dass immer wieder Details durchsickern, lässt sich offenbar aber nicht vermeiden.
Die Ermittlungen sind breiter als bisher gedacht. Das sind die Fragen, denen die „Soko Ibiza“ nachgeht:
Hat die Schredder-Aktion im Kanzleramt mit der Ibiza-Affäre zu tun?
Verdächtig scheint die zeitliche Nähe: Am 17. Mai wurde das Ibiza-Video veröffentlicht, am 23. Mai hat ein Mitarbeiter des Kanzleramts fünf Festplatten aus dem Kabinett des damaligen ÖVP-Kanzlers Kurz unter falschem Namen schreddern lassen. Ob er tatsächlich Beweismittel, wie etwa einen möglichen Mailverkehr vernichtet hat, wird schwer nachzuprüfen sein: Die Daten sind ja weg. Und ob es noch andere Hinweise gibt, ist unklar. Der zweite Vorwurf ist schwerer Betrug. Der Tatbestand setzt aber voraus, dass der Täter die Absicht hatte, die Rechnung nicht zu bezahlen. Der Mitarbeiter gab aber an, er hätte vor Ort nicht bar zahlen können und vergaß später schlicht die Rechnung. Konkreter ist der Vorwurf der Sachbeschädigung: Die Festplatten dürften ja der Republik gehört haben.
Wie die Soko Ibiza nun vorgeht? Um zu eruieren, wie die Datenvernichtung üblicherweise vonstattengeht und warum es in diesem Fall anders lief, hat das Bundeskriminalamt dem Kanzleramt einen Fragebogen geschickt – das fällt unter „Amtshilfe“. Weitere Befragungen will die Polizei laut KURIER-Informationen angehen, sobald dieser Rahmen abgesteckt ist.
Wurde Heinz-Christian Strache mit dem Ibiza-Video erpresst?
In der Anfragebeantwortung des Justizressorts ist die Rede von einem Versuch der Erpressung am 6. Juni 2019, also zweieinhalb Wochen nach dem Rücktritt Straches. Jemand soll gedroht haben, weitere Passagen aus dem Video zu veröffentlichen, sollte Strache nicht bezahlen.
Waren an jenem Abend in der Finca Drogen im Spiel?
Vermutet wird die „Überlassung von Kokain an verschiedene Abnehmer“ – darauf stehen bis zu fünf Jahren Haft. Wer das Video gesehen hat, dem fällt eine weiße Linie am Glastisch auf. Das könnte, so meinen die einen, Kokain sein; andere sagen aber, es sei nur eine Reflexion. Gudenus gab zu, er sei an jenem Abend unter dem Einfluss von „Alkohol, gemixt mit Energydrinks und psychotropen Substanzen“ gestanden; möglicherweise habe man ihn zusätzlich mit „K.-o.-Tropfen oder ähnlichen Substanzen und Drogen gefügig gemacht“. Strache hingegen dementierte kürzlich in seinem ersten Interview bei Russia Today vehement, dass es Drogen gab. Hätte er da etwas wahrgenommen, wäre er „sofort aufgestanden und gegangen“.
Hat die FPÖ unsachgemäß Aufträge oder Posten der Republik vergeben?
„Gründung einer staatsfeindlichen Verbindung“ – dieser Verdacht klingt furchterregend, in der Anfragebeantwortung des Justizressorts wird er nicht näher erklärt. Laut Strafgesetzbuch ist das der Fall, wenn durch eine solche Verbindung „die Unabhängigkeit, die in der Verfassung festgelegte Staatsform oder eine verfassungsmäßige Einrichtung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer erschüttert“ wird.
Jetzt-Mandatar und Anwalt Alfred Noll macht sich daraus folgenden Reim: „Wenn Strache und Gudenus ausführen, wie sie Gesetze, die ordnungsgemäße Bestellung von Organen oder ordnungsgemäße Ausschreibungen umgehen, ist eindeutig die Unabhängigkeit erschüttert.“
17. Mai 2019: „Spiegel“ und „Süddeutsche“ veröffentlichen das 2017 heimlich gefilmte Ibiza-Video.
18. Mai 2019: FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Klubchef Johann Gudenus treten zurück, ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz beendet die Koalition, es gibt Neuwahlen.
20. Mai 2019: Die Liste Jetzt kündigt einen Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz an, dieser formiert gerade sein Übergangskabinett bis zur Wahl.
23. Mai 2019: Ein Kurz-Mitarbeiter lässt unter falschem Namen fünf Festplatten aus dem Kanzleramt schreddern.
27. Mai 2019: Per Misstrauensvotum im Nationalrat wird nicht nur Kurz, sondern die gesamte Regierung abgewählt.
20. Juli 2019: Der KURIER berichtet über die Schredder-Aktion, die Opposition stellt parlamentarische Anfragen.
14. August 2019: Die Beantwortungen offenbaren, dass es rund um die Ibiza-Causa 19 Verdachtslagen gibt.
Wurden durch illegale Spenden auch Steuern hinterzogen?
Verdeckte Parteispenden sind kein Straftatbestand – für Parteien wie Vereine wäre das „nur“ ein Verwaltungsdelikt. Aber: Die Vereine wären steuerpflichtig, wenn sie Parteispenden abwickeln. Deshalb ermittelt die Justiz nun wegen „Verkürzung der Körperschafts- und Einkommensteuer für das Jahr 2017 durch Absetzung tatsächlich nicht-absetzbarer Parteispenden“.
Welche Gesetze haben die Hintermänner des Videos gebrochen?
Sieben namentlich Bekannte und ein Unbekannter werden von der StaatsanwaltschaftWien, die gesondert zur Erstellung des Videos ermittelt, als Beschuldigte geführt. Dabei geht es um die heimliche Aufzeichnung und um die falsche Identität der Lockvögel.
Grundlage ist der veröffentlichte sechsminütige Zusammenschnitt des Videos – die vollen sieben Stunden hat die Justiz noch immer nicht.
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