Viel Widerstand gegen Schulschließungen vor der Entscheidung
Bildungsminister Heinz Faßmann hofft, dass der Bildungsbereich jetzt ausreichend auf einen neuerlichen Schul-Lockdown gerüstet ist, sofern dieser kommt. Faßmann selbst sagte erst am Mittwoch, er habe das nicht zu entscheiden (das liegt in der Hand des Gesundheitsministers in Absprache mit dem Bundeskanzler), fügte aber hinzu, dass die Zahl der Neuinfektionen Mitte März, beim ersten Lockdown, gerade einmal bei 1.000 Fällen lag, und jetzt „zigmal höher“ sei (von Mittwoch auf Donnerstag waren es über 9.000 Fälle).
Faßmann wehrt sich gegen Schulschließungen: "Corona ist eine schulische Heimsuchung"
Damit auch jene Schüler, die daheim nicht über die entsprechende technische Ausstattung verfügen, von zu Hause mitlernen können, hat das Ministerium dreimal den zusätzlichen Bedarf an Hardware erheben lassen. Rund 11.200 Geräte wurden angeschafft und an die Schüler verliehen, heißt es dazu aus dem Bildungsministerium. Zudem gibt es jetzt, anders als im Frühjahr, eine Arbeitsplattform für jede Schule sowie das Portal Digitale Schule (abrufbar unter pods.gv.at). Auch die „computerfernen“ Pädagogen sollten nun Basiswissen vermittelt bekommen haben, über 10.000 haben den Online-Crashkurs Mooc (www.virtuelle-ph.at/dlm) absolviert.
Wer im Falle eines Lockdowns doch noch ein Endgerät (Laptop) benötigt, kann sich an seine Bildungsdirektion oder das Ministerium wenden, heißt es aus Faßmanns Büro.
Kanzler will Schulen nicht offen halten
Die Corona-Ampelkommission hat sich Donnerstagabend für weiterhin offene Schulen für die unter 14-Jährigen ausgesprochen. Der Beschluss fiel einstimmig, lediglich das Bundeskanzleramt enthielt sich. Angesichts der hohen Infektionszahlen bleiben wie schon in der Vorwoche alle Bezirke Österreichs auf Rot geschaltet.
Die Empfehlung, die Kindergärten, Volksschulen sowie die Sekundarstufe 1 (10-14-jährige) möglichst lang offenzuhalten, bleibe aufrecht, heißt es in dem Beschluss, weil es sich bei diesen Betreuungseinrichtungen nicht um die Treiber des Infektionsgeschehens handelt.
Dem Bildungsministerium werden aber weitere Präventionsmaßnahmen empfohlen, um auch den Schulbetrieb für die 10- bis 14-Jährigen (eine Gruppe mit höherem Infektionsgeschehen als die unter 10-Jährigen) weiterhin zu ermöglichen. Es sollen Antigen-Schnelltests zum Einsatz kommen, die Maskenpflicht für Schüler und Lehrer auch im Unterricht, eine Staffelung der Schul-Öffnungszeiten, die Nutzung größerer Räume und Sport nur noch im Freien.
Geringes Infektionsrisiko
Inzwischen ist, bevor noch eine Entscheidung gefallen ist, ein heftiger Streit entbrannt, ob Schulschließungen überhaupt notwendig sind. Zuletzt seien Infektionen bei Schülern vor allem in den Oberstufen zu verzeichnen gewesen, die ohnehin seit ein paar Wochen daheim bleiben müssen. Bei den Volksschulen und auch den Unterstufen sind die Infektionen gering – aber nie bei null.
Das Bildungsministerium rechnet damit, dass im Fall eines Lockdowns jedes fünfte Kind weiter in die Schule geschickt wird, eine Betreuungsmöglichkeit soll, wie im Frühjahr auch, gegeben sein. Das geht aus einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Ministeriums hervor. Damals waren nur rund vier Prozent der Schüler zur Betreuung an den Schulen.
Auch die Idee einer „hybriden“ Schulschließung wird inzwischen gewälzt, bei der nur jene Kinder, bei denen das relativ einfach geht, daheim bleiben sollen. Auf Lehrer kommt jedenfalls mehr Arbeit zu.
Zuletzt hatten sich Bildungswissenschafter, die Industriellenvereinigung und auch Wirtschaftsforscher klar gegen Schulschließungen ausgesprochen, nicht zuletzt wegen der inzwischen erwiesenen „gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen“. Auch Studien zeigen, dass ein Netto-Bildungsverlust durch einen Lockdown jedenfalls eintritt. Besonders hart treffe das nachweislich Kinder aus bildungsfernen Schichten.
SPÖ: Rendi-Wagner will Schulen offen halten
Die SPÖ hat am Donnerstag ihre Ablehnung von möglichen Schulschließungen im Zuge von verschärften Corona-Maßnahmen mit Entschiedenheit bekräftigt. Das wäre "eine Maßnahme von geringem Nutzen und großem Schaden", sagte Parteivorsitzende Pamele Rendi-Wagner in einer Pressekonferenz. Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid forderte stattdessen umfangreiche Schutzmaßnahmen für ein Offenhalten der Schulen.
Anschober in der Defensive: Kritik an Zahlen und drohenden Schulschließungen
Schulschließungen wären das Gegenteil von Treffsicherheit und Wirksamkeit, weil dafür jegliche Datengrundlage fehle, argumentierte Rendi-Wagner. Sowohl die AGES als auch internationale Studien und Erfahrungen würden zeigen, dass Schulkinder bis 14 Jahren keine wichtige Rolle in der Verbreitung des Virus spielen. Die Kinderinfektionsrate sei sogar gesunken, betonte Hammerschmid. Schulschließungen würden aber gesundheitliche, psychologische und pädagogische Schäden bei den Kindern verursachen. Die SPÖ-Vorsitzende verwies auch darauf, dass zusätzlich zu den Oberstufen-Schülern rund 700.000 Kinder und deren Eltern mit der Betreuung betroffen wären. Rendi-Wagner forderte daher die Bundesregierung auf, dem Virus durch wirksame Maßnahmen die Tür zu versperren, den Kindern aber die Tür zu den Schulen offen zu halten.
An Sicherheitsmaßnahmen für ein Offenhalten der Schulen plädierte Hammerschmid für regelmäßig Tests und Screenings der Lehrer sowie für eine Maskenpflicht für die Pädagogen. Weiters sollten die Gurgeltests ausgeweitet werden, zusätzliche Räume angemietet und die Räume alle 20 Minuten kurz gelüftet werden.
Einem kompletten Lockdown inklusive Schulschließungen würde Rendi-Wagner nur dann zustimmen, wenn die von ihr geforderte Expertengruppe, die die Maßnahmen bewerten und evaluieren soll, einen solchen vorschlagen würde. Dass die Regierung jetzt schon von Verschärfungen spreche, obwohl die Inkubationszeit zehn bis 14 Tage betrage und die derzeitigen Maßnahmen erst seit 2. November gelten, hält sie für "unseriös". "Fassungslos" zeigte sich Hammerschmid über die Aussage von Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP), wonach Schulschließungen nicht seine alleinige Entscheidung wären.
Generell wirft Rendi-Wagner der Bundesregierung eine "Kapitulation vor dem Virus" vor. Sie begründet dies damit, dass nur noch 7,5 Prozent der Fälle nachverfolgt werden können. Offensichtlich funktioniere das Contact Tracing, die wirksamste Waffe gegen die Pandemie, nicht. Die Regierung habe die Zeit im Sommer nicht genutzt, um die Kapazitäten für das Contact Tracing auszubauen.
FPÖ: Schulschließungen bringen nichts
Geht es nach der FPÖ, können Schulschließungen kein Mittel zur Bekämpfung der Coronapandemie sein. "Für uns ist das keine Option, die Schulen müssen offenbleiben", betonte Bildungssprecher Hermann Brückl am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Auch die Oberstufen, deren Unterricht seit knapp zwei Wochen auf Distance Learning umgestellt ist, müssten wieder in die Klassenzimmer zurückgeholt werden.
Die FPÖ habe sich als einzige Parlamentspartei von Anfang an gegen Schulschließungen gestellt. Diese seien eine große Belastung für die Familien und würden für die Schüler soziale Isolation, den Verlust von Motivation und Tagesstruktur bedeuten, schon jetzt würden immer mehr Schüler unter Beschwerden wie Schlaflosigkeit und Zukunftsängsten leiden. Noch dazu seien die Schulen keine Treiber der Pandemie. "Wir sind dabei, eine Lost Generation zu schaffen", warnte er. Und: "Die Eltern haben mittlerweile mehr Angst vor Homeschooling als vor Corona." Sollte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Schulen schließen, sei jedenfalls auch Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP), der sich stets für offene Schulen starkgemacht hatte, rücktrittsreif.
Um die Schulen trotz Pandemie offenhalten zu können, setzt Brückl neben der Einhaltung von Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln auf Klassenteilungen, eine Teilung in Vormittags- und Nachmittagsunterricht, flexible Beginn- und Endzeiten des Unterrichts, den Einsatz von Plexiglasscheiben und rasche Testungen. Von der Regierung forderte er eine langfristige Strategie ein, immerhin werde das Virus nicht wieder verschwinden.
Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak kritisierte die Datenbasis zur Begründung des Lockdowns: Die Daten zu den Neuinfektionen seien falsch, es gebe Abweichungen von 30 bis zu 100 Prozent. Auch die Auslastungszahlen der Spitalsbetten stellte er in Frage. Außerdem könne die Regierung die erhofften Auswirkungen der von ihr getroffenen Maßnahmen, etwa bei der Reduktion der Zuwachsraten bei Neuinfektionen, nicht beziffern. Die Regierung habe die "gesundheitspolitische Mobilmachung" für die zweite Welle der Coronapandemie verpasst.
Neos: Meinl-Reisinger warnt vor Schulschließung
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hatte noch am Donnerstag gefordert, eine Entscheidung über Verschärfungen der Coronamaßnahmen und mögliche weitere Schulschließungen erst nach dem Wochenende zu treffen. Der Peak der Infektionen aus der Zeit vor dem Lockdown sei erst dieser Tage zu erwarten und es gebe ausgerechnet jetzt ein "Zahlenchaos" bei den Daten der Neuinfektionen. Damit fehle die Grundlage für eine evidenzbasierte Entscheidung.
Eine Schließung der Schulen müsse "der aller-, allerletzte Weg" sein, wenn das Gesundheitssystem wegen der Zahl der Coronainfektionen zu kippen drohe. "Das Ende des Unterrichts in der Schule für Pflichtschulkinder ist nicht der Beginn des Unterrichts zu Hause, es ist das Ende des Unterrichts und das Ende von Bildung und sozialen Kontakten, die so wichtig sind", so Meinl-Reisinger, die auch auf die negativen Auswirkungen der Schulschließungen auf Schüler aus sozial benachteiligten Familien, auf die Psyche der Kinder, auf Arbeitnehmer und Arbeitsplätze verwies. "Homeschooling und Homeoffice zusammen geht sich einfach nicht aus. Punkt." Dabei drohe das Ausbrennen der Eltern, vor allem der Mütter, und die noch geöffneten Betriebe könnten durch die Betreuungspflichten der Mitarbeiter in Bedrängnis kommen. Eltern müssten außerdem für die Betreuung möglicherweise auf Großeltern zurückzugreifen und könnten damit potenziell deren Gesundheit gefährden.
Als gelindere Mittel anstelle von Schulschließungen schlagen die NEOS u.a. zur Abwendung weiterer Schulschließung eine Ausweitung der Maskenpflicht für Schüler vor. Außerdem soll für den Unterricht auf andere Räumlichkeiten, etwa ungenutzte Festsäle, ausgewichen werden und durch unterschiedliche Beginnzeiten Anhäufungen von Schülern auch am Schulweg vermieden werden, so Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre.
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