9.262 Neuinfektionen: Ein harter Shutdown steht bevor
Tag 10 nach Inkrafttreten des weichen Lockdowns. Jetzt sollten die Wirkung geschlossener Restaurants und nächtlicher Ausgangsbeschränkungen sichtbar sein.
Weit gefehlt. 9.262 Neuinfektionen wurden am Donnerstag gemeldet, ein neuer Höchststand. Aber wie dramatisch die Lage tatsächlich aussieht, weiß derzeit niemand so genau. Inzwischen ist nämlich das Epidemie-Meldesystem zusammengebrochen, weil es „eigentlich nur für 7.000 Salmonellen-Fälle im Jahr ausgelegt ist“, kritisiert Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker.
Die Mathematiker, die für ihre Berechnungen auf valide Daten angewiesen sind, sagen, sie seien „im Blindflug“ unterwegs. „Angesichts der massiven Fehl- und Nachmeldungen der Behörden – zum Teil über Tage hinweg – wird es zunehmend unmöglich, selbst das gegenwärtige Infektionsgeschehen abzubilden, geschweige denn, Prognosen zu erstellen“, sagt der Statistiker Peter Klimek von der MedUni Wien.
Und gemeinsam mit den Mathematikern tappen auch die politischen Entscheidungsträger zunehmend im Dunkeln. Klimek: „Wir sind dem Infektionsgeschehen quasi im Blindflug ausgesetzt und verlieren die Möglichkeit selbst für Kurzfristprognosen, die für die Entscheidungsfindungen in verschiedenen Institutionen des Landes verwendet werden.“
Anschober in der Defensive: Kritik an Zahlen und drohenden Schulschließungen
Mathematiker Niki Popper berichtet dem KURIER, dass man nun versucht, mit einer Methode, die auch bei der Wettervorschau angewandt wird, valide Prognosen zu erstellen.
„Wirkung reicht nicht“
Trotz der unsicheren Datenlage traut sich Popper eines zu sagen: „Die Maßnahmen wirken weniger, als wir uns erhofft haben, und von einer Wirkung wie im Frühjahr sind wir weit entfernt.“
Alarmstimmung herrscht nicht nur bei den Mathematikern. Auch die Mediziner warnen immer drängender, das entglittene Infektionsgeschehen wieder in den Griff zu bekommen.
Walter Hasibeder, Chef der Intensivmedizin am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams und künftiger Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), sagt zum KURIER: „Die Lage ist angespannt.“ Durch vermehrt positive Fälle unter dem Personal könnte bald Ressourcenknappheit herrschen. Und Pflegepersonal lässt sich auf der Intensivmedizin nicht so leicht ersetzen, das dauert Jahre: Der Intensivkurs dauert ca. 2,5 Jahre. 50 Prozent der Mitarbeiter müssen den Kurs haben, die andere Hälfte kann ihn im Lauf von fünf Jahren machen.
Hasibeder gibt auch zu bedenken, dass die vielen Neuinfektionen erst in zehn bis 14 Tagen auf den Intensivstationen sichtbar werden. „Ein Patient, der vor drei, vier Wochen völlig stabil war, kann plötzlich eine intensivmedizinische Betreuung benötigen.“
Vor diesem Hintergrund finden in der Regierung Beratungen über die nächsten Schritte statt. Dem Vernehmen nach könnten sie spätestens am Samstag offiziell bekannt gegeben werden.
Schulen, Handel zu
Es ist davon auszugehen, dass auf den derzeit weichen ein harter Lockdown folgt. Im Unterschied zum März sind derzeit der Handel, einige Dienstleister wie Friseure und die Pflichtschulen geöffnet. Also darf man davon ausgehen, dass das zugesperrt wird – viel mehr an Möglichkeiten ist nicht mehr vorhanden.
Die Corona-Ampelkommission hat laut OÖN bei ihrer wöchentlichen Sitzung am Donnerstag empfohlen, „möglichst zeitnahe“ zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Österreich bleibt rot eingefärbt. Die Schulen sollen allerdings offen bleiben – dieser Beschluss fiel einstimmig, nur das Kanzleramt enthielt sich.
Mit dem gänzlichen Zusperren der Schulen will die Regierung vor allem die Eltern aus dem Berufsverkehr ziehen. Vorsorglich wurde bereits ein Rechtsanspruch auf Sonderbetreuung gesetzlich verankert, sodass Arbeitgeber Eltern freigeben müssen, wenn die Schulen gesperrt sind.
Der Lockdown könnte für die Dauer von zwei bis drei Wochen angesetzt sein. Die große Frage ist: Was kommt danach?
Wenn im Advent alle einkaufen gehen und während der Feiertage Familienfeste ungetrübt stattfinden sollen – was die Regierung dem Vernehmen nach anpeilt – droht dann im Jänner/Februar der nächste Lockdown?
Modell Slowakei
Manche glauben tatsächlich, dass man mit ein, zwei weiteren Lockdowns rechnen muss, bis genügend Menschen geimpft sind.
Andere Länder wie die Slowakei testen ihre gesamte Bevölkerung durch und verdonnern (abgesehen von den Infizierten) nur diejenigen zum Zuhausebleiben, die sich nicht testen lassen. Die anderen können sich frei bewegen.
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