Nationalfeiertag zwischen "höheren Zwecken" und "dünnem Eis"
Die Rituale waren wie an jedem 26. Oktober: 9 Uhr Sonderministerrat. Danach Spaziergang der Regierung über den Heldenplatz zum Burgtor. Eintreffen des Bundespräsidenten. Kranzniederlegungen im Gedenken an die gefallenen Soldaten der beiden Weltkriege und der Opfer des Nationalsozialismus. 11 Uhr: Reden zum Nationalfeiertag, Angelobung der Rekruten.
Das Programm lief auch heuer ab wie am Schnürchen. Und dennoch war der 26. Oktober 2021 außergewöhnlich.
Und zwar wegen jemandem, der gar nicht dabei war: Ex-Kanzler Sebastian Kurz.
Die diesjährigen Feierlichkeiten waren gespickt mit mehr oder weniger offenen Botschaften der Abkehr. Der Abkehr von einem Politik-Stil, der als „System Kurz“ zur unrühmlichen Marke wurde.
Bekenntnis der Abkehr
Deutlich war diesbezüglich der Doppelpass von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Alexander Schallenberg in den Reden vor den Rekruten. Beide Spitzenpolitiker wählten das Thema „Dienst an der Republik“ für ihre Kernbotschaften. Van der Bellen sagte: „Zu dienen bedeutet: Es gibt außerhalb der persönlichen Bedürfnisse noch einen höheren Zweck, der es wert ist, die eigenen Interessen hintanzustellen. Die Politik soll sich an Ihnen ein Beispiel nehmen. Danke, dass Sie uns daran erinnern.“
Nobel sah der Bundespräsident auch sich selbst an seine Dienstpflichten erinnert – gemeint hat er aber wohl jenes türkise Karrieristentum, das, wie aus den Chats bekannt wurde, für den eigenen Vorteil bedenkenlos sogar einen Ausbau der Kinderbetreuung abschoss.
Bereits vor den Worten des Bundespräsidenten hatte auch Kurz-Nachfolger Schallenberg vor den versammelten Spitzen der Republik, des Heeres und der Religionsvertreter sein Amtsverständnis als Regierungschef definiert: Demnach sieht er sich als „Diener für das Gemeinwohl“. Es sei „eine wunderbare Aufgabe, dem eigenen Land und der eigenen Gemeinschaft dienen zu dürfen“.
Rot-weiß-rot statt Türkis
Auch in seinem Verhältnis zu den anderen Parteien lässt der neue ÖVP-Kanzler aufhorchen. Während unter Kurz bis hin zur National-Elf alles türkis gefärbt wurde, soll jetzt offenbar wieder Republik vor Partei gereiht werden. „Nationale Sicherheitspolitik hat keine Parteifarbe. Sie ist rot-weiß-rot“, sagte Schallenberg gleich mehrfach an diesem 26. Oktober. Die Regierung will daher das neue Krisensicherheitsgesetz mit allen Parlamentsparteien besprechen.
Zwischen den beiden Koalitionspartnern scheinen ebenfalls neue Zeiten anzubrechen. Mit Sebastian Kurz sind jene seiner Mitarbeiter weg, die alles kontrollieren wollten und auch kontrolliert haben: Medien, die eigenen Minister, sogar den Koalitionspartner. Jetzt ist die Stimmung merkbar gelöst. „Es ist wie auf einem Skikurs, wenn der Lehrer weg ist. Da geht dann die Party los“, sagt ein Regierungsinsider.
Von Neuwahlen ist keine Rede mehr, im Gegenteil, allenthalben wird die Hoffnung geäußert, die Koalition werde besser arbeiten als zuvor.
Beispiel: Unter dem türkisen Korsett durfte kein grünes Regierungsmitglied auftreten, ohne von zumindest zwei, besser drei türkisen Ministern flankiert zu werden. Zweck: Die Machtverhältnisse mussten stets öffentlich demonstriert werden. Neuerdings orientiert sich die Auftrittsformation an der Sache.
Schwächen des anderen werden nicht mehr gnadenlos ausgenutzt. Beispiel: Weil die Grünen intern uneins waren, dauerte das Sterbehilfegesetz sehr lange. ÖVP-Ministerin Karoline Edtstadler hat die Verspätung gerechtfertigt, ohne mit dem Finger auf die Grünen zu zeigen. Das kam dort sehr gut an.
Vorsichtige ÖVP
Überhaupt wird bei ÖVP-Ministern eine vorsichtige Emanzipation von Kurz bemerkt. Nicht bei allen, aber Finanzminister Gernot Blümel wird dazu gezählt. Beispiel Steuerreform: Blümel und Vizekanzler Werner Kogler haben tagelang verhandelt. Um ein Uhr nachts sei Kurz plötzlich aufgekreuzt und habe beschieden: „So geht das nicht.“ Damit habe Kurz auch Blümel brüskiert. „Jetzt haben wir einen Kanzler, der sein Ego besser im Griff hat“, fasst ein Beteiligter die neue Lage zusammen.
Dennoch sind alle noch vorsichtig, vor allem die ÖVPler. Schallenberg: „Wir bewegen uns noch auf dünnem Eis. Wenn einer aufstampft, stehen alle im kalten Wasser.“
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