Bundeskanzler Schallenberg: "Runter vom Gas, Atempause"
Eine endlose Reihe von Übersiedlungskisten steht im hellen "Metternich-Zimmer", in das der neue Bundeskanzler gerade erst gezogen ist. Er sei ein Sammler, gesteht Alexander Schallenberg fast schuldbewusst. Das dunkle, holzgetäfelte "Kreisky"-Zimmer, in dem Vorgänger Sebastian Kurz (und einst auch Leopold Figl) logierte, wird wieder zum Sitzungszimmer.
KURIER: Herr Bundeskanzler, Sie haben uns Journalisten in den vergangenen Tagen überrascht. Wir haben einen Beamten und Diplomaten erwartet, aber keinen, der so viel Emotion zeigt.
Alexander Schallenberg: Ich gehe diese Riesenaufgabe mit Respekt und Ehrfurcht an. Aber wir sind alle nur Menschen. Es gab eine veritable Erschütterung, eine echte innenpolitische Krise samt zwischenmenschlichen Zerwürfnissen. Das sind Risse, die gekittet werden müssen. Also runter vom Gas, Atempause. Wir müssen wieder in die Substanz kommen. Das ist wie bei einem Fußballteam: Nur mit Geschlossenheit erzielt man Tore. Ich denke, das ist auch das Verständnis von Werner Kogler: Wir werden uns beide um Beruhigung und Zusammenführung kümmern.
Wie wollen Sie denn in ruhigere Gewässer kommen? Es steht so vieles an, es gibt Ermittlungen gegen Sebastian Kurz und bald einen neuen U-Ausschuss, der sich nur um die ÖVP dreht.
Zweifellos, aber alle müssen sich auch wieder ihrer Verantwortung bewusst sein. Ich werde daher nach dem Nationalfeiertag ein Get-together des ganzen Regierungsteams, eine Aussprache fernab aller Öffentlichkeit vorschlagen. Ich bin der Regierungschef, betrachte es aber auch als meine Aufgabe, als Mediator zu wirken, um in ruhigere Gewässer zu kommen. Um beim Bild zu bleiben: Das Schiff ist geschlingert, nicht gekentert, aber wir sind noch nicht durch den Sturm durch. Es wäre jedoch völlig verantwortungslos, jetzt die Regierung infrage zu stellen oder gar in Neuwahlen zu gehen.
Dennoch hat sich bei Ihrer Antrittserklärung im Parlament die Begeisterung in Grenzen gehalten. Fehlt nicht die Vertrauensbasis in der Regierung?
Ich werde mein Amt besonnen und partnerschaftlich anlegen, mit dem Ziel, Stabilität zu erzeugen.
Haben Sie es schon manchmal bereut, dieses Amt übernommen zu haben?
Nein, Reue spüre ich nicht, sondern Pflichtbewusstsein. Ich habe höchsten Respekt vor den Institutionen dieser Republik.
Was sagen Sie zur angeblich geplanten Daten-Lösch-Aktion im Bundeskanzleramt?
Es wird nichts gelöscht, sondern die Daten kommen vom Bundeskanzleramt ins Rechenzentrum – ein Projekt, das schon seit Monaten vorbereitet wird.
Fürchten Sie nicht, dass der Untersuchungsausschuss, in dem es nur um die ÖVP gehen wird, die Koalitionsspannungen anfachen wird?
Untersuchungsausschüsse haben es nun einmal so an sich, dass sie Spannungen nicht abbauen. Sie wollen aufklären, was auch das gute Recht des Parlaments ist. Ich kann als Bundeskanzler nur volle Kooperation zusagen. Dass es die Lage sicher nicht erleichtern wird, ist klar. Ich möchte aber, dass wir jetzt in die Substanzarbeit kommen. Gott sei Dank haben wir letzten Mittwoch mit dem Budget einen großen Schritt gesetzt, der den Weg frei macht für die ökosoziale Steuerreform. Das muss aber alles erst in Gesetze gegossen werden – und es gibt noch viele andere Punkte. Auch die Pandemie sehen wir leider noch nicht im Rückspiegel. Wobei wir eigentlich eine Pandemie der Ungeimpften haben. Es geht auch um 3-G am Arbeitsplatz und um die Unterstützung des Wirtschaftsaufschwungs.
Aber nur vorübergehend. Vranitzky hat bald die SPÖ übernommen. Wollen auch Sie Parteichef werden?
Diese Nachfrage musste kommen. Die Antwort ist: Nein.
Werden Sie Spitzenkandidat bei einer Neuwahl sein, die schneller kommen könnte, als wir jetzt glauben?
Derjenige, der mit über 99 Prozent zum Parteiobmann und mit 100 Prozent zum Klubobmann gewählt worden ist, ist Sebastian Kurz.
Wäre Kurz selbst dann Spitzenkandidat, wenn der Beschuldigtenstatus noch in Schwebe ist?
Ich vertraue darauf, dass die Justiz zügig ihre Arbeit machen wird, und alles andere wird sich weisen.
Anders als Sebastian Kurz residieren Sie nicht im ehrwürdigen „Kreisky-Zimmer“, sondern in einem anderen Flügel des Kanzleramtes. Geschieht das aus Respekt vor Kurz? Haben Sie den Eindruck, dass Ihnen das Kreisky-Zimmer nicht zusteht?
Nein. Das Kreisky-Zimmer ist ein relativ dunkler, holzvertäfelter Raum. Ich habe es gern hell. Dieser schöne, große Raum hier entspricht dem, was ich gern als Arbeitsumfeld habe.
Die Kisten an der Wand gehören Ihnen? Oder Sebastian Kurz?
Sie gehören mir. Ich habe sehr viele Unterlagen und sehr viele Bücher. Ich bin auch meines Wissens der einzige Besitzer der Berichte an den Ministerrat aus 1993/94, als es um den EU-Beitritt ging.
Wollen Sie eines Tages wissenschaftlich arbeiten?
Meine Karriere hat als Forschungsassistent begonnen. Ich habe aber dann die Praxis interessanter gefunden. Mein Leben ist voller Überraschungen, und ich habe gelernt, man soll nicht allzu großen Wert auf Planungen legen. Ich lasse mich überraschen, was das Leben für mich noch bereit hat.
Es sind auch Mediengesetze in der Pipeline. Der Medienbeauftragte des Bundeskanzleramts, Gerald Fleischmann, ist auf Grund der ÖVP-Affäre weg. Ihm folgt nun ein Quereinsteiger, der bislang wenig mit dem Fachgebiet zu tun hatte, nach. Ist Ihnen das Thema nicht wichtig genug?
Nein, überhaupt nicht.
Es wird aber dauern, bis er sich eingearbeitet hat.
In einer Demokratie gehört Medienpolitik zu den wesentlichsten Themen. Gerald Fleischmann ist auf Urlaub, und das wird auch bis auf weiteres so bleiben. Wir müssen uns daher neu aufstellen. Das darf aber nicht zur Folge haben, dass alle Gesetzes- und Reforminitiativen auf Sankt Nimmerlein verschoben werden.
Es gibt einige offene Gesetzesvorhaben, die vor allem den Grünen wichtig sind, etwa die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, das Informationsfreiheitsgesetz. Vor allem Länder und Gemeinden kritisierten in der Begutachtungsphase, dass dieses aber zu weitgehend ist. Wie geht es mit dem Gesetzesentwurf weiter?
Das ist eines jener Themen, wo ich mir zuerst ein Bild machen muss. Ich bin am Montag angelobt worden. Das Thema ist zu wichtig für Schnellschüsse. Mir ist die Bedeutung der Thematik bewusst.
Wann kommt das neue ORF-Gesetz?
Geben Sie mir Zeit. Ich habe mich auf das Amt des Bundeskanzlers nicht über mehrere Monate oder Jahre vorbereitet. Ich war noch bis Montag Außen- und Europaminister.
Was sind die wichtigsten Pflöcke, die Sie inhaltlich in Ihrer Kanzlerschaft einschlagen müssen?
Unmittelbar würde ich sagen Pandemiebekämpfung, Wirtschaftsaufschwung und die ökosoziale Steuerreform. Das Thema Klima wird uns als Herausforderung bei alledem begleiten. Da ist die Steuerreform ein Herzstück, ein großer erster Schuss. Aber es muss sicherlich noch weitere Schritte geben.
Die Transparenzgesetzgebung und Reform der Parteienfinanzierung wäre angesichts der aktuellen Vorwürfe auch ein Signal an die Grünen. Wäre das nicht ein fünfter großer Pflock, den Sie als prioritär einschlagen sollten?
Es gibt eine ganze Reihe an Themen, von der Pflege- bis zur Arbeitsmarktreform. Wir müssen nach dieser veritablen politischen Krise wieder in die Substanz- und Arbeitsebene kommen. Das Regierungsprogramm gilt weiter. Alles was darin steht, ist für mich ein Auftrag.
Das Bild, das die Politik vermittelt, wird nicht besser, wenn die Justiz nun jahrelang gegen den ehemaligen Bundeskanzler ermittelt. Würden Sie sich schnellere Verfahren wünschen?
Ich habe großen Respekt vor der Justiz. Ich vertraue darauf, dass sie ihre Arbeit erledigt. Es ist nicht nur bei dem von Ihnen erwähnten Verfahren, sondern generell so, dass die Aufklärung schnell erfolgen sollte. Es ist für jeden, der Gegenstand eines Verfahrens ist, das A und O, dass schnell Rechtsklarheit geschaffen wird.
Die ÖVP könnte ja auch beschließen, dass sie – anders, als es etwa Karl-Heinz Grasser tat – darauf verzichtet, der Justiz eine Armada an Anwälten entgegenstellt, um das Verfahren zu verzögern.
Das ist nicht mein Thema. Es wird von mir keine Zurufe geben. Ich vertraue auf die Gewaltenteilung. Wir haben einen gewachsenen, fundierten, gut funktionierenden Rechtsstaat. Haben wir doch Vertrauen ins Funktionieren dieses Rechtsstaats!
Im Gegensatz zu anderen Spitzenpolitikern haben Sie keine Partei, auf die Sie sich als Obmann stützen können. Sie sind nur einfaches ÖVP-Mitglied, die Macht in der ÖVP liegt bei den Landeshauptleuten und den Bünden. Kann man ohne Hausmacht regieren?
Genau aus diesem Grund werde ich mich eng mit dem Klub- und Parteichef Sebastian Kurz abstimmen. Und ich werde in sehr regelmäßigem Kontakt mit den Landeshauptleuten sein. Ich bin ein Teamplayer, und ich bin sehr froh, dass alle Minister an Bord bleiben und wir ein erfahrenes Profi-Team in der Regierung haben. Meine Rolle ist die des Bundeskanzlers, auf die bin ich vom Bundespräsidenten angelobt worden. Es ist nicht das erste Mal, dass Regierungsamt und Parteivorsitz getrennt sind. Das war auch so, als Franz Vranitzky Bundeskanzler wurde und Fred Sinowatz Parteichef war.
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