Unrecht gegen Homosexuelle: "Höchstgerichte haben Reformen angestoßen, nicht die Politik"

Unrecht gegen Homosexuelle: "Höchstgerichte haben Reformen angestoßen, nicht die Politik"
Homosexuelle wurden bis 2002 strafrechtlich verfolgt. Justizministerin Zadić ließ die Zeit ab 1945 rechtshistorisch aufarbeiten.

Justizministerin Alma Zadić hat heute, Freitag, im "Pride Month" Juni die Ergebnisse ihrer Studie „Befreiter Regenbogen“ präsentiert. Die Studie sollte die strafrechtliche Verfolgung lesbischer, schwuler, bisexueller und trans*Personen in der Nachkriegszeit untersuchen. "Wir wollten in die Vergangenheit schauen, aufzeigen, welches Leid die Ungleichbehandlung verursacht hat, Muster erkennen und für die Zukunft vorbeugen", erklärte die Ministerin. 

Es sei "wichtig, dass Studie nicht in einer Schublade verschwindet, sondern aufgeht in einer konkreten Handlung", so Zadić. Sie soll demnach die Grundlage für eine Gedenkmöglichkeit im Justizministerium bilden. 

Ausgrenzung und Kriminalisierung

"Das Schicksal homo- und transsexueller Menschen war geprägt von Kriminalisierung, Ausgrenzung und Auslöschung", sagte Michael Schwanda, Präsident des Oberlandesgerichts Graz. "Und das stets auf Grundlage der damals geltenden Gesetze."  

Es sei immer gesagt worden, dass die entsprechenden Organe der Justiz ja keine Wahl hatten. Die Studie habe aber sehr klar gezeigt, so Schwanda, dass die Justiz durchaus Handlungsspielraum hatte. Etwa durch die Berücksichtigung von Minderungsgründen und dem Festsetzen des Strafmaßes oder auch den Urteilsbegründungen. So sei das Strafmaß teils erheblich unterschritten worden.  

Andreas Brunner von QWIEN hat die rechtshistorische Untersuchung geleitet. Ausgangspunkt war die Entschuldigung der Justizministerin für das entstandene Unrecht, für die Untersuchungen habe man anschließend auch Unterlagen aus dem Justizressort, die bis dato unter Verschluss waren, zur Verfügung gestellt bekommen, erklärte er. 

Damit konnte die Verfolgung von LGBTIQ-Personen über die Jahrzehnte nachgezeichnet und analysiert werden, wie sich die jeweiligen Reformen ausgewirkt haben.

"Unerwünscht"

1971 hat etwa Justizminister Christian Broda das Totalverbot von Homosexualität gestrichen, "vier neue Strafrechtsparagrafen brachten aber zum Ausdruck, dass Homosexualität weiterhin unerwünscht war". 

So sollte das "Werbe- und Vereinsverbot" diese Gruppe in der Unsichtbarkeit halten, erklärte Brunner. Das unterschiedliche Mindestalter von Männern in gleichgeschlechtlichen Beziehungen (ein volljähriger Mann durfte etwa keinen Geschlechtsverkehr mit einem 17-Jährigen haben, zwischen Männern und Frauen war dieselbe Alterskonstellation aber nicht verboten). habe das Stereotyp von Homosexuellen als "Jugendverderbern" weiter bedient. 

Die Politik sei für wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Entwicklungen auf lange Strecken taub gewesen, wichtig sei deshalb - bis heute - die "unnachgiebige Arbeit der Zivilgesellschaft", die Diskriminierung auch mit rechtlichen Mitteln bekämpft habe, so Brunner. Viele Reformen, die für mehr Gleichstellung gesorgt haben, wurden von Höchstgerichten angestoßen, nicht von der Politik.  

Konkret untersucht wurden die Auswirkungen historischer Justizreformen auf die LGBTIQ-Community, erklärte Forscher Andreas Brunner. Eine Übersicht: 

  • 1945, nach dem Ende des NS-Regimes, wurde die Bestrafung von "widernatürlicher Unzucht" unter Männern und auch (was europaweit einzigartig war) unter Frauen fortgeführt. Die von NS-Richtern verurteilten Personen galten sie als vorbestrafte Sexualverbrecher. Nicht wenige wurden von Konzentrationslagern direkt in den Strafvollzug überstellt. 
     
  • 1971 fiel das Totalverbot, Homosexuelle wurden aber weiterhin strafrechtlich verfolgt. Etwa durch das Verbot von:
    • männlicher Prostitution (bis 1989)
    • "Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts" (bis 1997)
    • "Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht (bis 1997)
    • "gleichgeschlechtlicher Unzucht mit Personen unter 18 Jahren" (bis 2002)
       
  • 2009 gab es erste Regelungen im Partnerschafts- und Familienrecht, aber erst seit April 2019 können lesbische und schwule Paare sich auf dem Standesamt trauen lassen. Die „Ehe für alle“ geht auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zurück. 

Abschließend hält die Ministerin fest: "Das österreichische Recht ist ein Recht für alle hier lebenden Menschen sein und zwar vollkommen unabhängig von sexueller Orientierung, Geschlechtsmerkmalen oder Geschlechteridentitäten.“

"Homo-Heilungen" weiterhin erlaubt

Was hat sich in dem Bereich sonst noch getan - bzw. was nicht? 

Seit 1. Februar können Homosexuelle, die damals strafrechtlich verurteilt wurden, eine Entschädigung beantragen. So werden Betroffene für jedes aufgehobene Urteil mit 3.000 Euro entschädigt, zusätzlich gibt es 1.500 Euro für jedes angefangene Jahr der Freiheitsentziehung. 

Offen ist noch das Verbot der Konversionstherapien, so genannter "Umpolungen" bzw. "Homo-Heilungen". Derlei Pseudo-Therapien sind in Österreich noch immer erlaubt. Seit mehr als einem Jahr liegt ein Gesetzesvorschlag aus dem Justizministerium vor, weitergekommen sind Türkis und Grün in der Sache aber nicht.  

Nico Marchetti, Verhandler auf Seite der ÖVP, sagt zum KURIER: "Der Gesetzesvorschlag, den die Grünen vorgelegt haben, ist für uns nicht akzeptabel." Das Verbot der Konversionstherapien bezieht laut Entwurf einerseits auf die sexuelle Orientierung, andererseits auf die "Geschlechtsidentität" - also welchem Geschlecht sich eine Person zugehörig fühlt bzw. zwischen den Geschlechtern wechselt ("genderfluid").   

Der Teil zur sexuellen Orientierung könne "sofort beschlossen werden", sagt Marchetti. Die Geschlechtsidentität sei, wie Marchetti sagt - eine deutlich komplexere Materie. 

Die ÖVP sei zwar gesprächsbereit, Marchetti wirkt aber nicht besonders zuversichtlich, dass man mit den Grünen in dieser Legislaturperiode noch zu einem gemeinsamen Ergebnis kommt. 

Zadić sagte bei der Pressekonferenz, dass gerade die aktuelle Studie zeige, dass ein Verbot dieser Behandlungen "die gesamte LGBTIQ-Community abdecken muss, nicht nur einen Teil." Sie werde bezüglich des Verbots von Konversionstherapien und auch von medizinisch nicht notwendigen Operationen an intergeschlechtlichen Kindern "nicht aufgeben". 

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