Türkis-grüner Schlagabtausch um Hilfe für Afghanen - aber was wäre rechtlich machbar?
Nach Tagen des Schweigens hat sich die Grüne Bundesspitze am Mittwoch doch noch zu einem Statement zur Afghanistan-Krise durchgerungen. Bislang hatte die ÖVP mit ihrem Mantra: "Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen", die Asyldebatte dominiert.
Der grüne Vizekanzler Werner Kogler erinnert nun den Koalitionspartner (ohne ihn namentlich anzusprechen) daran, dass Österreich international bei humanitärer Hilfe immer ein verlässlicher Partner gewesen sei. "Jetzt offenbar aus taktischen Gründen einen anderen Weg einzuschlagen, lässt angesichts der dramatischen Bedrohung gerade von Frauen und Kindern nicht nur die notwendige Menschlichkeit vermissen, sondern schadet auch massiv dem internationalen Ansehen Österreichs."
Im Ö1-"Morgenjournal" ist zuvor der Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch (Grüne) ausgerückt: Die Haltung der ÖVP sei eine "Schande" und "jenseitig". Es gehe jetzt darum, "in einem gemeinsamen solidarischen Akt" der europäischen Staaten besonders gefährdete Menschengruppen aus Afghanistan zurückzuholen.
Und auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte am Dienstagabend bei der Eröffnung des Europäischen Forum Alpbach gesagt, es gebe eine "rechtliche, moralische und politische Verpflichtung für die EU und ihre Mitgliedsstaaten, Schutz für jene zu bieten, die ihr Land verlassen müssen".
Legale, sichere Wege
In der Debatte muss man zwei Dinge unterscheiden: Das eine sind Migranten, die von sich aus kommen, das andere sind jene, die man aktiv aus dem Land retten will.
Österreich muss jedem Migranten, sobald er österreichischen Boden betritt, die Chance geben, einen Asylantrag zu stellen. Solange das Verfahren läuft, steht er auch unter dem Schutz des Staates. Was Van der Bellen einmahnt, ist also geltendes Recht.
Wie viele Asylanträge es gab, seit die Taliban in den vergangenen Wochen immer mehr Gebiete und zuletzt auch die Hauptstadt Kabul erobert haben, ist übrigens nicht bekannt. Auf der Website des Innenministeriums fehlt noch die Statistik von Juli. Im Juni gab es 2.131 Anträge, davon 442 von Afghanen.
Fraglich ist, ob Menschen es unter der Taliban-Herrschaft überhaupt aus dem Land bzw. in sichere Gebiete schaffen. Deshalb sprach die EU-Kommission zuletzt von „legalen, geschützten Fluchtrouten“ bzw. einem Resettlement-Programm für besonders Gefährdete.
Was rechtlich geht
Aber wie könnte so eine Rettungsaktion überhaupt aussehen? "Die Union hat keine Kompetenz, Flüchtlinge aktiv zu holen und sie kann die Mitgliedsstaaten auch nicht zur Aufnahme verpflichten", sagt Europarechtler Walter Obwexer. Aber: "Sie kann jene, die sich freiwillig bereit erklären, dabei unterstützen."
Das hat Kommissionspräsidentin Ursula von er Leyen kürzlich auch getan. Die Aufforderung, afghanische Flüchtlinge aufzunehmen, sei deshalb mehr ein "politisches Ersuchen", sagt Obwexer - nicht mehr und nicht weniger.
In der Praxis würde das bedeuten, dass sich ein paar Mitgliedsstaaten zusammentun, einen Charterflug buchen und die EU das finanziert. Die Zeit ist knapp: Mit 31. August müssen alle ausländischen Kräfte Kabul verlassen haben (mehr dazu hier).
Retten könnte man afghanische Flüchtlinge allenfalls noch aus den Nachbarländern. Dazu bräuchten die EU-Mitgliedsstaaten ein Abkommen mit der jeweiligen Regierung bzw. eine Landeerlaubnis.
Wer zuständig wäre
Und wer soll so etwas in die Wege leiten? Von wem könnte die Initiative ausgehen? Von der Leyen kann als Kommissionspräsidentin die Innen- und Außenminister nur "Informell", also unverbindlich, zu Gesprächen einladen, erklärt Europarechtler Obwexer.
Einen formellen Rat der Innen- bzw. Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten könnte nur jenes Land einberufen, das gerade die EU-Ratspräsidentschaft inne hat: Slowenien. Das Land hat eine Mitte-Rechts-Regierung, so gesehen ist auch diese Initiative eher unwahrscheinlich. Zudem stellte der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa bereits klar, dass die EU keine Migrationskorridore für Afghanen öffnen werde.
Ein dritter Punkt sind Österreicher mit afghanischen Wurzeln bzw. Afghanen mit Aufenthaltsberechtigung in Österreich. 87 Betroffene konnten bisher aus dem Land zurückgeholt werden. Mehrere Dutzend warten noch.
ÖVP gegen „moralische Erhöhung“
Was den Koalitionsstreit betrifft, versucht die ÖVP nun zu kalmieren: Klubchef August Wöginger richtete dem Vorarlberger Rauch aus, er solle "seine Energie in Sacharbeit investieren und nicht in Streit". Er halte auch wenig davon, "den politischen Mitbewerber herabzuwürdigen und ihm moralische Werte abzusprechen". Wöginger ist aber zuversichtlich, dass die türkis-grüne Koalition so wie bisher bei unterschiedlichen Positionen auch hier zu Lösungen kommen werde.
ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg wiederholte am Mittwoch die Parole der Türkisen: "Wir dürfen nicht die Fehler von 2015 wiederholen und falsche Zeichen setzen." Und an die Kritiker gerichtet meinte er, es sei "das Wesen einer pluralistischen Demokratie, auch andere Meinung und sachliche Argumente nicht pauschal abzuwerten und sich selbst dabei moralisch zu erhöhen."
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