Türkis-grüne Entlastungen als Brandbeschleuniger?
Um 28 Milliarden Euro möchte die türkis-grüne Bundesregierung die Bevölkerung bis 2026 entlasten. Dafür setzt sie Sofortmaßnahmen im Wert von sechs Milliarden um: 300 Euro für sozial Bedürftige, ein Klimabonus in Höhe von 500 Euro für (fast) alle. Und es gibt Strukturreformen: Sozialleistungen werden künftig jährlich an die Teuerung des Alltagslebens angepasst, die Kalte Progression wird größtenteils abgeschafft.
Dabei handelt es sich um eine heimliche Steuererhöhung, die dafür sorgt, dass Steuerzahlern weniger vom Bruttolohn übrig bleibt. Um das künftig zu verhindern, klettern die Tarifstufen im Steuersystem automatisch um zwei Drittel der Inflation nach oben. Das dritte Drittel muss die Regierung für weitere Reformen rückverteilen.
Der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria plädiert seit seiner Gründung 2013 für eine Abschaffung der Kalten Progression. Warum Agenda-Direktor Franz Schellhorn dennoch nur mit Teilen des Anti-Teuerungs-Pakets zufrieden ist und Oliver Picek, Chef-Ökonom des sozialliberalen Momentum-Instituts, Besserverdiener bevorzugt sieht, erklären beide im KURIER-Interview.
„Bis zu einem gewissen Grad wird Feuer mit Benzin gelöscht“
KURIER: Wie bewerten Sie das Anti-Teuerungspaket?
Franz Schellhorn: Es ist Licht und Schatten in diesem Paket. Sehr positiv ist, dass die Regierung jetzt zumindest versucht, die kalte Progression aus der Welt zu schaffen. Da hätten wir von der Agenda Austria eine bessere Lösung parat gehabt, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Weniger gut ist, dass die Regierung wieder mit der sozialen Gießkanne durchs Land spaziert und jedem Bürger einen 500-Euro-Bonus in die Hand drückt. Egal, ob er bedürftig ist oder nicht.
Zwei Drittel der Kalten Progression sollen ab 2023 automatisch, ein Drittel nach Belieben rückverteilt werden. Wie bewerten Sie dieses Modell?
Die Abschaffung der Kalten Progression ist ja Kernthema der Agenda Austria seit 2015, wir hätten nicht gedacht, dass die Bundesregierung es tatsächlich aufgreift. Also sind wir auch positiv überrascht. Ideal wäre natürlich gewesen, wenn man den letzten Meter auch noch gegangen wäre und es gemacht hätte wie die Schweiz. Heißt: Die Beträge, ab denen die Steuertarife greifen, jährlich alle automatisch an die Inflation anzupassen. Bei der österreichischen Lösung will die Regierung weiterhin ein Drittel der Einnahmen durch die Kalte Progression umverteilen. Je nach politischer Ausrichtung der Regierung wird das Geld dann an die eigene Klientel verteilt.
Warum, glauben Sie, hat die Regierung die Abschaffung genau jetzt umgesetzt?
Durch die hohen Inflationsraten wären die Zusatzeinnahmen des Staates so obszön hoch geworden, dass das niemandem zu erklären gewesen wäre. Zudem ist es falsch, den hoch besteuerten Arbeitnehmern auch noch die Inflation zu besteuern.
Die CO2-Steuer wird auf Oktober verschoben, der Klimabonus auf 500 Euro erhöht. Fällt damit der ökologische Lenkungseffekt weg?
Nicht zur Gänze. Wenn Treibstoff 2,10 Euro kostet, Gas extrem teuer wird und sich die Heiz- und Stromrechnung verdoppelt, haben die Leute einen hohen Anreiz, Energie zu sparen. Dass jetzt über den Klimabonus Sozialpolitik betrieben wird, zweckentfremdet diesen. Es hätte aber noch schlimmer kommen können, indem die Regierung Mehrwertsteuersenkungen beschließt. Wenn man in einer Situation, in der ein knappes Angebot auf hohe Nachfrage trifft, die Mehrwertsteuern senkt, sackt sich das der Anbieter ein. Das haben wir in Österreich bei der Mehrwertsteuersenkung in der Hotellerie gesehen oder beim Tankrabatt in Deutschland. Insofern ist der erhöhte Klimabonus besser, wenn auch nicht ideal. Gezielte Zuwendungen für sozial Bedürftige wären sozial treffsicherer gewesen.
Könnten die Maßnahmen die Inflation anheizen?
Am wichtigsten Hebel sitzt die EZB. Nur höhere Zinsen können die Nachfrage dämpfen und Druck von den Preisen nehmen. Sie macht aber über die Gratisgeldpolitik das Gegenteil. Ihr ist nicht der stabile Geldwert wichtig, sondern dass die Schuldnerstaaten finanzierbar bleiben. Aber ja, bis zu einem gewissen Grad löscht auch die Regierung das Feuer nun mit Benzin. Da sind sehr viele inflationstreibende Maßnahmen gesetzt worden. Die Rechnung wird aber zu begleichen sein. Die Krise, in der es keine Wohlstandsverluste gibt, ist noch nicht erfunden. Der Staat kann und soll nicht permanent alles ausgleichen, denn er tut das auf Rechnung nachkommender Generationen. Nur weil uns Benzin zu teuer ist.
„Es landet viel Geld bei Menschen, die es nicht brauchen“
KURIER: Wie bewerten Sie das Anti-Teuerungspaket?
Oliver Picek: Positiv ist die Indexierung der Sozialleistungen. Wir haben das Problem, dass die Familienbeihilfe seit 2000 ein Drittel an Wert verloren hat. Das spürt die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern enorm. Damit wird zumindest ein künftiger Kaufkraftverlust verhindert. Nicht so gelungen ist, dass zwar sehr viel Geld bewegt wird, aber trotz Bedarf nicht alles im untersten Drittel der Gesellschaft ankommt. Den Teuerungsausgleich in Höhe von 300 Euro bekommt zum Beispiel nur die Hälfte von jenen 1,2 Millionen Menschen, die armutsgefährdet sind.
Fehlt also in Summe die soziale Treffsicherheit?
Es landet doch sehr viel Geld bei Menschen, die es nicht unbedingt brauchen. Maßnahmen wie den 500-Euro Klima- und Teuerungsbonus bekommen alle, dann wird noch viel Geld an die obere Mittelschicht und Großunternehmen ausgeschüttet. Stattdessen hätte man Sozialleistungen tatsächlich armutsfest machen, sie über die Schwelle der Armutsgefährdung heben und Armut in Österreich so massiv verringern können.
Halten Sie die Abschaffung der Kalten Progression in dieser Form für richtig?
Ich finde das eigentlich falsch. Natürlich muss die Kalte Progression ausgeglichen und immer wieder zurückgegeben werden. Das geschah in der Vergangenheit auch regelmäßig über Steuerreformen. Jetzt haben wir ein System, wo das automatisch passiert und vor allem höhere Einkommen profitieren. Wenn es durch hohe Energiepreise wirklich zu einer Wirtschaftskrise kommt, habe ich Angst, dass uns der Spielraum fehlt, um vor allem niedrigere Einkommen zu entlasten. Und mir fehlt auch eine Gegenfinanzierung der Kalten Progression – etwa durch eine Besteuerung von Vermögen, Unternehmensgewinnen oder Erbschaften.
Heizen die Hilfen in dieser Höhe die Inflation an?
Der Finanzminister sagt selber, das Paket sei nur zur Hälfte ausfinanziert. In einer Zeit, wo die Konjunktur gut läuft, wir aber große Angebotsprobleme haben, versuchen wir das nun mit mehr Nachfrage zu lösen. Ich sehe die Gefahr, dass das die Inflation zusätzlich antreibt. Natürlich muss man für das unterste Drittel der Gesellschaft jetzt mehr ausgeben. Aber eigentlich muss der Staat das gleiche Geld oben rausnehmen. Aktuell haben Besserverdiener auch mehr Geld zur Verfügung und treiben die Preise, indem sie mehr kaufen. Das könnte die Probleme für das unterste Drittel beim Wohnen, Essen und Heizen verschlimmern.
Hätte man den 500-Euro-Klimabonus sozial staffeln sollen?
Eine soziale Staffelung wäre auf jeden Fall sinnvoll gewesen. Mit dem höheren Klimabonus wäre es nicht nötig gewesen, die -Steuer zu verschieben. Die gleicht der Bonus mehr als aus.
Fehlen im Paket Mehrwertsteuersenkungen?
Ja. Gerade diese enorme Verteuerung der Grundbedürfnisse beim Wohnen, der Energie oder Lebensmitteln, hätte man angehen müssen. Wie? Eine breite Mehrwertsteuersenkung beim Sprit wäre nicht zielsicher. Einkommensstarke Leute fahren mehr mit dem Auto. Was dem unteren Drittel aber durchaus helfen würde, wäre eine Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel. So hat der Bankdirektor, der sich Kaviar bestellt, keine vergünstigte Mehrwertsteuer. Der Mindestpensionist, der Brot oder Milch kauft, aber schon.
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