Tirol-Wahl: Düstere Aussichten für die Schwarzen
Die Berge bröseln. Der tauende Permafrost lässt sie ihren Halt verlieren. Ein schleichender Prozess. Bis wieder einmal krachend Felsen ins Tal donnern. Der Tiroler Volkspartei geht es ähnlich. Ihre Macht erodiert. Der Langfristtrend bei den Wahlen zeigt – mit punktuellen Ausreißern nach oben – nach unten.
Bisher war die schwarze Dominanz gegenüber den Mitbewerbern dennoch stets erdrückend. 2018 hätte die ÖVP rein von ihrer Mandatsstärke mit jeder der anderen fünf Landtagsparteien eine Zweier-Koalition bilden können.
Die 30-Prozent-Marke
Doch am kommenden Sonntag droht der Partei, die seit 1945 durchgehend den Landeshauptmann stellt, ein felssturzartiger Wählerverlust. Selbst ein Abrutschen unter die 30-Prozent-Marke ist möglich – ausgehend von 44,3 Prozent, die (Noch-)Landeshauptmann Günther Platter 2018 mit türkisem Rückenwind erreicht hat.
Der hat Anton Mattle das Ruder eines lecken Tankers übergeben, der angeschlagen durch den Wahlkampf schlingert. Der neue Kapitän muss das Sinken verhindern, scheint aber mit seiner neuen Aufgabe mitunter überfordert.
„Bandbreite ist groß“
„Die Bandbreite ist groß. Von 25 bis 39 Prozent“, sagt Mattle, wenn er auf die – teils qualitativ mangelhaften – Umfragen der vergangenen Wochen angesprochen wird. Seit Wochen hetzt der 59-Jährige quer durchs Land, will in einem Straßenwahlkampf scheinbar jeden ihm über den Weg laufenden Wähler einzeln von sich überzeugen.
Parallel dazu versuchen der ehemalige Langzeit-Bürgermeister von Galtür und sein Team, Punkte auf der großen Politbühne zu machen. Ungewöhnlich für die wahlkampferprobte ÖVP endete das mehrfach im Chaos – etwa wenn Mattle eine Dividende des Landesenergieversorgers zur Bekämpfung der Teuerung noch für heuer ankündigte, der Tiwag-Chef jedoch kurz darauf erklärte, dass das erst 2023 möglich wäre.
Die von einer Tiroler ÖVP-Bezirkskandidatin angezettelte Debatte über den Klimabonus für Asylwerber geriet letztlich zur Steilvorlage für den Rücktritt der Bundesgeneralsekretärin. Eine Gelegenheit, um das angekratzte Image der Volkspartei aufzupolieren, war das nicht.
Drei Tage vor der Wahl ist die Nervosität bei den Schwarzen beinahe zum Greifen. Vor dem Tag X werden nun offenbar schon Granden für Gespräche ins Landhaus geladen, um Chaos in der Partei zu verhindern, wenn die Niederlage derart krachend ausfällt, wie es möglich ist.
Keine gute Ausgangslage für den Koalitionspoker, bei dem noch nicht klar ist, wie viele Spieler am Tisch sitzen. Ob die wohl weiter auf Platz eins rangierende ÖVP einen oder zwei Partner braucht, ist ungewiss. FPÖ-Chef Markus Abwerzger, der ein „Duell um Tirol“ ausgerufen hat, streut voll Wonne Salz in die Wunden.
Mattle hat die Blauen zwar als Koalitionspartner ausgeschlossen. Aber Abwerzger spricht immer wieder von Kontakten in die zweite und dritte Reihe der Volkspartei.
SPÖ-Chef Georg Dornauer ist bei einer ORF-Elefantenrunde am Dienstagabend auf den Zug aufgesprungen. „Jetzt schon wird hinter deinem Rücken an Schwarz-Blau geschmiedet“, meinte der 39-Jährige Richtung Mattle.
Keine Geheimgespräche?
„Das kann ich zu 100 Prozent ausschließen“, versicherte Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Walser (VP), als er am Mittwoch bei einer Pressekonferenz zum Arbeitsmarkt darauf angesprochen wurde. Er gilt als einer, der Mattle eventuell beerben möchte, wenn dieser sich nach dem Sonntag nicht halten kann.
Das zentrale Thema im Wahlkampf waren Teuerung und Energiekrise. Doch abseits von Inhalten drehte sich alles um Koalitionsfragen. Das Bilden einer neuen Regierung könnte ob der Ansagen der Spitzenkandidaten eine echte Denksportaufgabe werden.
Die FPÖ, die mit der SPÖ um Platz zwei rittert, wurde von allen anderen Landtagsparteien als Partner ausgeschlossen. Geht sich am Sonntag nur die Zweier-Variante Schwarz-Blau aus, dürfte es bei der ÖVP intern heiß hergehen.
Ausreichend Mandate vorausgesetzt, gilt Schwarz-Rot am wahrscheinlichsten. Andere Varianten kommen für Dornauer nicht infrage. Er hat sich auf eine Zweier-Koalition festgelegt, sich am Dienstagabend aber ein kleines Hintertürchen aufgemacht. Würde die ÖVP „abgewählt“ – was immer das heißen mag –, „müssen wir wohl alle unsere Meinungen überdenken“, posaunte der Rote in die Elefantenrunde.
"Vierer-Koalition ohne Volkspartei"
Für den grünen Klubobmann Gebi Mair, der seine seit 2013 mit der ÖVP regierende Partei erstmals als Spitzenkandidat in eine Wahl führt, ist eine Dreier-Koalition mit der Volkspartei, aber auch „eine Vierer-Koalition ohne Volkspartei“ möglich.
Wenig Lust dürften die Grünen auf eine Zusammenarbeit mit ÖVP und SPÖ haben. Nach Jahren als Juniorpartner wären sie dann der Kleine unter zwei Größeren. Gemeinsam mit den in Regierungsverantwortung drängenden Neos wäre ein Dreier für die Öko-Partei wohl leichter.
Dominik Oberhofer peilt mit seinen Pinken Zweistelligkeit an, was einer Verdoppelung der Wähleranteile gleich kommen würde.
Mehr als zurückhaltend im Koalitionspoker agiert die Liste Fritz. Andrea Haselwanter-Schneider, Chefin der von VP-Rebell Fritz Dinkhauser gegründeten und seit 2008 im Landtag vertretenen Partei, will „den Wahlabend abwarten“, wie sie immer wieder betont. Die Gräben zur Volkspartei sind jedenfalls tief und kaum zu überwinden. Tirolweit tritt auch die MFG an, sie hat aber laut Umfragen keine Chance auf Einzug in den Landtag.
Großer Stimmungstest
Wie auch immer die Wahl ausgeht, sie wird auch über die Landesgrenzen hinaus Wellen schlagen. Sie gilt als großer Stimmungstest – unter anderem, weil hier wie im Bund ÖVP und Grüne miteinander koalieren. Wie im SPÖ-geführten Kärnten stehen 2023 auch in Niederösterreich und Salzburg Landtagswahlen an, beides wie Tirol schwarze Kernländer, in denen die ÖVP 2018 Höhenflüge erlebte und nun den Absturz fürchten muss.
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