Strafrechtlerin: Akte Kurz "Schon sehr dicht"
Fußballspielende Kinder. Blasmusik. Am Freitag versuchte Kanzler Sebastian Kurz eine Rückkehr ins normale Politikerleben. Auf einem Steiermark-Tag mit Vizekanzler Werner Kogler und Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer waren leichte Publikumsübungen angesagt, wenn auch in Corona-Zeiten das Bad in der Menge nicht ganz unproblematisch ist. Aber nichts im Vergleich zu dem Ausnahmezustand, in dem sich der Kanzler seit Tagen befindet.
Auf der Rückfahrt von München, von einer Ehrung mit einem Freiheitspreis Anfang der Woche, hatte Sebastian Kurz ein Anruf des ÖVP-Parteianwalts Werner Suppan ereilt. Die Hiobsbotschaft: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) führt den Kanzler als Beschuldigten wegen des Verdachts der Falschaussage im U-Ausschuss.
Kurz habe seine Rolle bei der Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Chef weniger aktiv dargestellt, als sie tatsächlich war, so der Vorwurf. Anklage jederzeit möglich.
Seither hängt Kurz in Dauertelefonaten mit Juristen und Professoren, spielt mit seinen Vertrauten Szenarien durch. Er gibt Interviews und hält Hintergrundgespräche ab, holt sich Rückhalt bei den eigenen Landeshauptleuten und bespricht sich mit dem Koalitionspartner.
Keine Garantie von Grün
Am Mittwoch beim routinemäßigen Mittagessen mit Werner Kogler nach dem Ministerrat dürfte die Causa wohl das Hauptthema gewesen sein. Öffentlich beließen es die Grünen bisher bei der Erklärung, sie seien ein Garant dafür, dass die Justiz ungehindert ihrer Arbeit nachgehen könne. Eine Garantieerklärung für den Bestand der Koalition gab Kogler bisher nicht ab, allerdings ist wohl auch der gemeinsame Auftritt in der Steiermark samt gemeinsamer Bilder als Signal gedacht: Die Koalition hält. Zumindest vorerst.
Was in dem Fall passiert, dass Kurz angeklagt wird, lässt Kogler offen: "So weit sind wir nicht.“
Am Montag werden die Grünen wohl etwas redefreudiger sein müssen, denn da findet auf Antrag der Opposition eine Sondersitzung statt. Dabei wird es zu einer politischen Standortbestimmung aller Parteien in der Causa prima kommen. Die FPÖ fordert ja bereits jetzt den Rücktritt des Kanzlers, SPÖ und Neos erst im Fall der Anklage.
Kurz will jedenfalls Kanzler bleiben und sich einem Gerichtsverfahren stellen.
Ob es zu einer Anklage oder Verurteilung kommen könnte, das will Strafrechtler Hannes Schütz auf APA-Nachfrage nicht beurteilen. Sein Innsbrucker Kollege Klaus Schwaighofer rechnet eher mit einer Einstellung des Verfahrens, weil der bedingte Tatvorsatz vermutlich nicht nachzuweisen sei, wie er Presse und Wiener Zeitung sagte.
Dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt, danach sieht es indes für Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes von der Uni Wien stark aus. Für eine Anklage in Form eines Strafantrags genüge ein Verdacht mit gewisser Dichte. Und der Bericht, den die WKStA zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens vorgelegt habe, sei "schon sehr dicht“, sagt Zerbes, die als Expertin für Strafrecht auch in der unabhängigen Untersuchungskommission zum Terrorakt in Wien war.
Entscheidung vor Gericht
Der Tatverdacht sei recht konkret beschrieben, sagt Zerbes. Die WKStA hat die Chats von Thomas Schmids Handy den Aussagen von Sebastian Kurz im U-Ausschuss im 58-seitigen Akt gegenübergestellt. Ob das reicht, die Tat zu belegen, sei nun Entscheidung eines Richters. Dabei kommt es auch darauf an, ob Kurz vorsätzlich gelogen hat.
Der Kanzler lässt seine Verteidigungslinie bereits durchblicken: Er wiederholt gegenüber Medien immer wieder, er sei mit dem Vorsatz in den U-Ausschuss gegangen, die Wahrheit zu sagen. Er habe nicht gelogen. „Das würden viele Angeklagte sagen“, sagt Zerbes. "Ob das plausibel ist, hat der Richter zu bewerten.“
Die Strafrechtlerin weist auf ein häufiges Missverständnis hin: "Vorsatz bedeutet nicht Absicht. Die geringste Stufe des Vorsatzes ist im Strafrecht schon, wenn man etwas ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet.“ In Bezug auf eine Falschaussage bedeutet das: „Wenn jemand annimmt, dass seine Aussage falsch sein könnte, ihm das aber gleichgültig ist.“
Die Strafrechtlerin stellt auch klar, was es mit den Begriffen "Strafantrag“ und "Anklage“ auf sich hat. Kurz sagt "Strafantrag“ – tatsächlich ist das der richtige Begriff bei Verfahren mit Einzelrichtern. Es klingt harmloser, sei aber funktional dasselbe wie eine Anklage, sagt Zerbes – und wiege auch gleich schwer. Im Falle einer Verurteilung wäre der Kanzler vorbestraft.
Einer Anklage – und damit auch einer Vorstrafe – entgeht ein Beschuldigter, wenn eine Staatsanwaltschaft auf einen Prozess verzichtet und sich mit einer Diversion in Form einer Zahlung und/oder gemeinnütziger Arbeit begnügt.
Keine Diversion
Eine Diversion halten Zerbes und andere Strafrechtler, die sich bislang äußerten, für unwahrscheinlich. „Dafür müsste der Sachverhalt hinreichend geklärt sein – und wenn Kurz ihn weiter bestreitet, ist er nicht geklärt“, sagt Zerbes.
Das Vorhaben der WKStA, das Verfahren mit Diversion, Einstellung oder Anklage zu beenden, wird das Justizministerium und den Weisungsrat passieren müssen – aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses ist die WKStA gegenüber ihrer Fachaufsicht „berichtspflichtig“.
Apropos WKStA: Am Freitag tauchte die Frage auf, ob die Korruptionsjäger überhaupt für die Causa zuständig seien. Die WKStA beantwortet das mit einem „Ja“. Es bestehe ein „enger sachlicher Zusammenhang“ mit dem Ibiza-Verfahrenskomplex, den die Behörde behandelt.
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