Strafrechtler zu Causa Kurz: 108-seitiger Strafantrag "untypisch"

Strafrechtler zu Causa Kurz: 108-seitiger Strafantrag "untypisch"
Robert Kert erklärte in der "ZiB2", warum für Kurz derzeit keine Diversion infrage kommt und was es mit dem umfangreichen Strafantrag gegen den Ex-Kanzler auf sich hat.

Lange wurde darüber spekuliert, am Freitag wurde es publik: Ex-Kanzler Sebastian Kurz wird wegen Falschaussage im U-Ausschuss angeklagt. Auf mehr als 100 Seiten erklärt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in ihrem Strafantrag, in welchen Punkten Kurz bei seiner Befragung im Juni 2020 die Unwahrheit gesagt haben soll. Verhandelt wird ab 18. Oktober am Straflandesgericht in Wien. 

Am Vormittag hatte Kurz noch selbst medienwirksam via X (vormals Twitter) verkündet, dass ein Strafantrag unmittelbar bevorstehe und er sich freue, wenn die Vorwürfe vor Gericht geklärt werden. In die "ZiB2" kommen wollte er aber nicht. Stattdessen war Strafrechtsexperte Robert Kert Studiogast und erklärte, was es mit dem Strafantrag auf sich hat. 

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Wirtschaftsstrafrechtsexperte Kert zur Kurz-Anklage

"Sehr, sehr ausführlich"

Was Kert auffällt: Der Strafantrag (so heißt die Anklage im Falle eines Einzelrichter-Verfahrens) ist 108 Seiten dick, die Vorwürfe seien "sehr, sehr ausführlich" begründet. Das sei "untypisch", so Kert. Bei Strafanträgen braucht es, anders als bei Anklagen, eigentlich keine Begründung. 

Zentral ist die Frage nach dem Vorsatz. Wollte Kurz die Unwahrheit sagen? Zur Erinnerung: Er gab im U-Ausschuss an, er sei darüber informiert gewesen, dass Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, Vorstand der Staatsholding ÖBAG werden will. Chats legten später aber nahe, dass er doch involviert war. 

Es sei gar nicht so unlogisch - und auch nicht strafbar - dass ein Kanzler bei der Bestellung des Vorstandes, der einen Großteil des Staatsvermögens verwaltet, mitredet, sagt Strafrechtsexperte Kert. Die WKStA geht aber davon aus, dass er aus politischen Gründen bzw. aus Image-Gründen so tat, als hätte er damit nichts zu tun gehabt. 

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"Muss nicht alles erzählen"

Stellt sich die Frage: Hat Kurz gelogen, weil er nicht in voller Breite erzählt hat, in welcher Art und Weise er involviert war? Kert sagt, in einer Befragung müsse man alles sagen, was "im nahen Zusammenhang steht". Kert: "Ich muss dabei natürlich nicht alles erzählen, aber ich darf nicht den Eindruck erwecken, dass das, was ich gesagt habe, vollständig ist."

Für einen Politiker, der es gewohnt ist, nicht immer alles zu sagen, was er weiß, ist das natürlich schwierig. Vor allem, so Kert, wenn man im U-Ausschuss vor denselben Personen sitzt wie im Parlament. "Da sieht man das Spannungsfeld, wenn man im U-Ausschuss vor denselben Leuten die Wahrheit sagen muss, vor denen man sonst im Parlament sitzt und es gewohnt ist, nur das zu sagen, das politisch passt." 

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Einen Vorsatz in dem Sinne, dass Kurz absichtlich gelogen haben muss, braucht es nicht, betont der Strafrechtsexperte: Es reicht, wenn Kurz es "ernstlich für möglich gehalten" und sich "damit abgefunden" hat, dass er die Abgeordneten falsch informiert. 

Kurz brachte in seinem X-Posting vor, dass 30 Zeugen seine Unschuld bezeugt hätten und die WKStA trotzdem angeklagt hat. "ZiB2"-Moderator Martin Thür erinnert an die Causa um den damaligen SPÖ-Kanzler Fred Sinowatz, der wegen Falschaussage verurteilt worden war. Anschließend wurden auch noch die Zeugen, die ihn entlastet hatten, wegen falscher Zeugenaussage verurteilt. Droht das auch Kurz' Entlastungszeugen - sollte er tatsächlich verurteilt werden? "Ja, diese Gefahr besteht", so Kert. 

Eine Diversion kommt derzeit übrigens nicht infrage. Das geht nur, wenn der Sachverhalt geklärt ist und Kurz die Verantwortung übernehmen würde, erklärt der Strafrechtler. 

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