Sprache in der Politik: Rauer Umgangston trifft Unverständliches
Der Vizekanzler tritt kurz nach dem Bekanntwerden der Causa Lena Schilling vor die Presse und redet von „Gemurkse und Gefurze“, in politischen Debatten fallen Worte wie „hirnkastrierter Untertan“.
Manch Politiker wurde nach einer Wortmeldung schon angezeigt – etwa ein FPÖ-Bundesrat, der gesagt hatte, dass „Menschen, die Schweinefleisch essen, weniger dazu neigen, sich in die Luft zu sprengen“.
Die Verrohung im politischen Diskurs schreitet voran.
Das zeigt auch eine Analyse des ORF-Reports. Demnach steche die laufende Legislaturperiode mit 200 Ordnungsrufen seit 2019 im Parlament besonders hervor – das sind rund 50 Stück pro Jahr. Im Jahr 2017 waren es etwa nur 14.
Einzig im Jahr 2000 wurde auch die 50er-Schwelle geknackt. Am öftesten abgemahnt wurde dabei die FPÖ, dahinter die ÖVP und die Grünen – wenn auch mit großem Abstand.
Soziale Medien als Brandbeschleuniger
„Es gibt einen größeren Willen, die Gegner auch stärker und wirklich kontrovers anzugreifen“, erklärte dazu Politikwissenschaftler Markus Wagner von der Universität Wien im Report.
Einen weiteren Aspekt bringt Sprachwissenschafter Hannes Fellner im KURIER-Gespräch ins Spiel: die Sozialen Medien. „Die Emotionalisierung, die diese Plattformen als Geschäftsmodell haben, führt dazu, dass auch der Ton in Gesellschaft und Politik rauer wird.“
Sprachwissenschaftliches Henne-Ei-Problem
Die Sprache sei dabei gleichermaßen „Abbild und Vorbild“. Was widersprüchlich klingt , ist leicht erklärt: Politiker nehmen in ihrer Wortwahl Anleihen in der gesellschaftlichen Entwicklung und prägen diese wiederum mit ihrer Sprechweise, quasi ein sprachwissenschaftliches Henne-Ei-Problem.
Anonymes Gemurkse und Gefurze
Die Verrohung ist aber nur eine Facette, die in der Politsprache derzeit zu beobachten ist. Auch lange, für Teile der Gesellschaft schwer verständliche Wörter, werden immer öfter genutzt.
Schließt man einzelne Gruppen vom Diskurs aus?
Die „Renaturierungsverordnung“ war kürzlich in aller Munde, die Wiener SPÖ trommelt derzeit eine „Biodiversitätsoffensive“.
Schließt man mit dieser komplizierten Sprache viele Menschen vom politischen Diskurs aus?
Die Grünen wollen nichts anderes als die Schaffung des hirnkastrierten Untertans.
Nicht unbedingt, sagt Fellner. Sperrige Wörter schrecken nicht sofort ab, denn „im Deutschen liebt man große Komposita“ – also aus mehreren Ausdrücken zusammengesetzte Wörter.
Man denke nur an die schon bei Volksschülern beliebte Donaudampfschifffahrtskapitänskajüte.
Inhalt ist Trumpf
Wichtig sei aber, mit welchen Inhalten man die einzelnen Wörter füllt, so Fellner. „Man kann technisches Vokabular verwenden, wenn man erklären kann, was dahinter steckt.“
Sprich: Es ist in Ordnung von einer „Biodiversitätsoffensive“ zu sprechen, wenn man Inhalte, etwa konkrete Schritte, mittransportiert.
Für diese These spricht auch, dass der Ausdruck „Renaturierungsverordnung“ mittlerweile kaum jemanden mehr abschreckt – die Diskussion in den vergangenen Wochen beschäftigte sich intensiv mit den Inhalten.
Dass die Debatte so emotional geführt worden ist, hat wohl zusätzlich für gesteigerte Interesse am Hintergrund gesorgt. Ganz ohne Emotionen geht es auch in diesem Bereich nicht.
Schon wieder hysterisch!
Ein Stolperstein ist aber sicherlich, dass „wir verlernt haben, komplexe Sachverhalte verständlich auszudrücken“, wie Fellner sagt. Ebenfalls negativ: Sogenannte „Buzzwords“ aus dem Managementbereich finden immer mehr Eingang in die Politik.
Plötzlich habe man nicht mehr Erfahrungen, sondern „Learnings“. Oft soll dadurch nur verschleiert werden, dass nichts dahintersteckt, erklärt Fellner.
Undeutung von Begriffen
Was derzeit auch en vogue ist, ist die Umdeutung von Begriffen. Ausdrücke, die einst vom anderen politischen Lager genutzt wurden, wechseln im Sprachgebrauch die Seiten.
Ein Beispiel ist das frühere linke „alternativ“, das in Deutschland mittlerweile von der rechten Partei Alternative für Deutschland (AfD) genutzt wird, wohl auch, um für mehrere Gruppierungen wählbar zu erscheinen.
Es kotzt mich an!
Neutrale oder positiv konnotierte Wörter werden ins Negative umgedeutet, wie etwa „Versteher“. Was früher schlicht bedeutet hat, dass man etwas verstanden hat, bedeutet jetzt, dass man auf der falschen Seite steht (zum Beispiel „Putinversteher“).
George Orwell lässt grüßen
„Das nimmt derzeit schon orwell-eske Züge an“, sagt Fellner. In George Orwells dystopischem Roman 1984 wird von dem Regime eine „Neusprech“ genannte gereinigte Sprache kreiert.
Mit veränderten grammatikalischen Regeln, Umdeutungen und eingeschränktem Vokabular sollen Menschen am kritischen Denken gehindert werden.
Das von Orwell erfundene „Neusprech“ wurde interessanterweise selbst in der Jetztzeit für bestimmte Zwecke umgedeutet. Gendern wird von Kritikern etwa als „Neusprech“ bezeichnet – oder auch neue Bezeichnungen, etwa für nicht-binäre Personen.
Nicht alles ist neu
Hinweise auf nicht-binäre Geschlechterrollen gäbe es im europäischen Raum mindestens seit Plato (428/427 v. Chr.), so Fellner. Relativ neu sei aber, dass die Diskriminierung von nicht-binären Personen in der Sprache thematisiert wird. Und: „Thematisierung von Diskriminierung ist immer etwas Gutes.“
Machtversessener Haufen!
Ganz so neu sind übrigens auch sprachliche Finten oder Untergriffe nicht. Bereits große Redner wie Marcus Tullius Cicero oder Demosthenes hätten diese genutzt.
Es war nur etwas elaborierter als „Gefurze“ oder „hirnkastriert.“
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