BVT-Affäre: Jenewein wollte "ganze Partie brennen sehen"
Vergangene Woche war FPÖ-Chef Herbert Kickl im U-Ausschuss zum "rot-blauen Machtmissbrauch" geladen. Befragt wurde er unter anderem nach seiner Beziehung zum ehemaligen FPÖ-Sicherheitssprecher Hans-Jörg Jenewein. "Es ist schlicht und ergreifend falsch zu behaupten, der Jenewein sei meine rechte Hand gewesen", befand Kickl.
Aber trifft das wirklich zu? Und inwiefern arbeitete die FPÖ mit dem festgenommenen Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott zusammen, dem Spionage für Russland vorgeworfen wird?
Mit Jenewein dürfte Ott jedenfalls in Kontakt gestanden sein - und Jenewein pflegte seinerseits Kontakt mit einer damaligen Mitarbeiterin aus Kickls Kabinett im Innenministerium. Entsprechende Chats sind im Strafakt gegen Jenewein zu finden, dieser liegt dem KURIER vor.
Die Staatsanwaltschaft Wien wirft der Kabinettsmitarbeiterin die Verletzung des Amtsgeheimnisses vor, dem Ex-FPÖ-Politiker Bestimmung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses. Für beide gilt die Unschuldsvermutung.
Geheime Dokumente? "Schicke ich dir"
Im ersten Teil des Strafakts geht es um die mutmaßliche Weitergabe von Dokumenten des Innenministeriums.
Der vermutete "Modus Operandi" (Vorgehensweise) sah laut dem Anfallsbericht der Staatsanwaltschaft so aus: Jenewein soll die Kabinettsmitarbeiterin um Dokumente gebeten haben, die zwar damals unter den Aktenlieferungen an den BVT-U-Ausschuss waren - allerdings klassifiziert mit den Stufen 2 ("vertraulich") bis 3 ("geheim").
Solche Dokumente sind mit einem Wasserzeichen gesichert, damit man sieht, wer sie abgerufen hat. Jenewein wollte aber offenbar Dokumente an Journalisten weitergeben - ohne Wasserzeichen. Und die soll die Kabinettsmitarbeiterin beschafft haben.
So schickte Jenewein ihr beispielsweise im September 2018 ein abfotografiertes Dokument und fragte sie, ob es möglich wäre, das Dokument (ohne Wasserzeichen) zu erhalten. "Schicke ich dir", antwortete sie.
"Böses Erwachen"
In insgesamt sechs Fällen wird Jenewein und der Beamtin also Geheimnisverrat vorgeworfen. Am Ende des Anfallsberichts wird dann noch ein spannender Hinweis gegeben.
Offenbar war nämlich auch die Beamtin aus dem Kabinett Kickls in Besitz der berüchtigten "Kloibmüller-Chats". Und wie es aussah, hatte zumindest der damalige FPÖ-Mandatar Jenewein vor, die Chats zu verwenden, um Schmutzwäsche zu waschen.
Zur Einordnung: Das Kabinett des früheren ÖVP-Innenministers Wolfgang Sobotka hat 2017 eine Bootstour gemacht, bei der die Handys von drei Spitzenbeamten ins Wasser fielen und beschädigt wurden. Ott, damals BVT-Beamter, soll diese Handys später an den russischen Geheimdienst verkauft haben. Die Chats des damaligen Kabinettschefs Michael Kloibmüller kursierten eine Weile auch in Österreich.
Die Staatsanwaltschaft Wien geht in einem Bericht, der im Strafakt liegt, davon aus, dass Jenewein zumindest ab 10. September 2019 Zugang zur gesamten Mobiltelefon-Extraktion Kloibmüllers hatte. An diesem Datum übermittelte er diese an seine Schwester, Dagmar Belakowitsch, die ebenfalls FPÖ-Mandatarin ist, sowie an ihren Ehemann, ist in dem Bericht festgehalten.
Aus einem Chatverlauf mit der Kabinettsmitarbeiterin ergibt sich laut Staatsanwaltschaft, dass auch diese Zugang zu den Daten erlangt hat. Jenewein fragt sie knapp eineinhalb Jahre später, im März 2021, ob er "davon a Kopie haben" könnte. Und sie antwortet: "Aber sicher doch!"
Die Kloibmüller-Daten kommentiert er ihr gegenüber dann mit den Worten: "Ev gibts da demnächst wirklich a böses Erwachen ...". Sie antwortet: "HOFFEN wir's!!!" Jenewein darauf: "Ich will die ganze Partie brennen sehen..." Die Kabinettsmitarbeiterin abschließend: "Erste Reihe fußfrei".
Im Datenbestand von Jeneweins Handy waren laut Bericht keine Hinweise für eine tatsächliche Übermittlung zu finden, allerdings schickte ihm die Kabinettsmitarbeiterin weitere themenbezogene Nachrichten via Messenger-Dienst Telegram.
So hat die Beamtin mit einem Suchfilter nach einem bestimmten Begriff im Datensatz gesucht - und die Ergebnisse an Jenewein weitergeleitet. Worum es sich konkret handelt, wird im Staatsanwaltschafts-Bericht nicht dargestellt, "da sich die abgebildeten Textnachrichten auf den höchstpersönlichen Lebensbereich beziehen", wird erklärt.
Was wusste Kickl?
In der bis jetzt bekannten Kommunikation zwischen Jenewein und der Kabinettsmitarbeiterin kommt der damalige Innenminister und heutige FPÖ-Chef Kickl nur am Rande vor - laut Grünen-Fraktionsführerin Meri Disoski stellt sich aber die Frage, ob die Mitarbeiterin nicht doch in Kickls Auftrag handelte: "Wird uns der FPÖ-Chef weiterhin weismachen wollen, dass er über die Vorgänge in seinem Kabinett nicht Bescheid wusste?"
Thematisiert hat diese Vorgänge am Montag auch Yannick Shetty, Neos-Fraktionsführer im U-Ausschuss. Bei einer Pressekonferenz erklärte er, dass es zwar "noch keine Hinweise" gebe, dass Kickl selbst davon gewusst habe, er gehe aber davon aus, dass die Mitarbeiterin ihren Vorgesetzten bei der Weitergabe solcher sensibler Daten eingebunden habe.
An der von Kickl zuletzt im U-Ausschuss beteuerten Distanz zu Ott, der aktuell der Russland-Spionage beschuldigt wird und in U-Haft sitzt, zweifelt Shetty jedenfalls, denn mit Jenewein sei einer seiner engsten Mitarbeiter mit diesem in Dauerkontakt gewesen.
Kickl habe unter Wahrheitspflicht ausgesagt und sei auch zur Vollständigkeit verpflichtet gewesen. "Wenn ich die Staatsanwaltschaft wäre, würde ich jedenfalls seine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss auf Wahrheitsgehalt prüfen", so Shetty, der aber auch die ÖVP zur Verantwortung zog und ihr "Kindsweglegung" vorwarf.
"Jederzeit Platz bei Wirecard"
Weitere Enthüllungen in der Spionage-Affäre um Ex-BVT-Chefinspektor Egisto Ott, seinen früheren Chef Martin Weiss und dem flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek stehen bevor.
Shetty thematisierte bei seiner Pressekonferenz am Montag einen zweiten Teilaspekt. Und zwar, dass Jenewein offenbar ein Jobangebot bei Wirecard bekam. "Just nach dem Ausscheiden Jeneweins aus dem Nationalrat bekommt er von Ott das Angebot, Lobbyist bei Wirecard zu werden", berief sich der Neos-Mandatar auf eine SMS aus dem Jahr 2019 aus dem Akt.
Es sei dies der "bisher gesehen größte Skandal" und "schier unfassbar", so Shetty. Für Jenewein wäre "jederzeit Platz bei Wirecard", soll es darin geheißen haben. Weiss, der damals schon für Wirecard arbeitete und sich seither den Behörden nach Dubai entzogen haben soll, sollte als Kontaktperson fungieren.
Eine Antwort Jeneweins darauf liege nicht vor, und "ich nehme nicht an, dass er Lobbyist bei Wirecard geworden ist". Der frühere FPÖ-Mandatar habe gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft aber niemals dazu Stellung genommen.
Neos fordern "Pakt zur Aufklärung"
Für Shetty bestätige sich damit noch mehr, dass die FPÖ der "verlängerte Arm Putins in Österreich" sei. Eine feindliche Macht sei bis ins Innerste der österreichischen Sicherheitsinfrastruktur vorgedrungen, in enger Abstimmung mit dem damaligen Sicherheitssprecher Jenewein, und unter Mitarbeit der engsten Mitarbeiter von Parteichef Herbert Kickl, sagte der Neos-Abgeordnete.
Er forderte erneut einen Russland-U-Ausschuss und einen "Pakt zur Aufklärung" von Verflechtungen mit Russland, dem alle Parteien beitreten sollten.
Bei der FPÖ zeigte man sich nach der Neos-Pressekonferenz offen für einen Russland-U-Ausschuss. Dieser müsse aber umfassend sein, sich auf alle Parteien, Ressorts und Bundeskanzler beziehen, und auch die Tätigkeiten der jeweiligen Bundespräsidenten im Zusammenhang mit Russland müssten untersucht werden, forderte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker in einer Aussendung.
Den Neos sprach er die Berechtigung ab, sich als unbelastete Aufdecker zu inszenieren. Er verwies darauf, dass auch der nunmehrige EU-Spitzenkandidat Helmut Brandstätter Kontakt zu Ott gehabt habe und erinnerte an 125.000 Euro an Spendengeldern von Wirecard-Chef Markus Braun an die Neos.
Hilfe bei parlamentarischer Anfrage
Schon zuvor war die Nähe Otts zu politischen Akteuren verschiedener Couleurs weiter in den Fokus gerückt. Wie die Kronen Zeitung am Montag berichtete, soll auf dessen Handy eine mit Änderungsvorschlägen versehene parlamentarische Anfrage zur Operation "White Milk" entdeckt worden sein, die letztlich von der FPÖ eingebracht wurde.
Die Anfrage war 2020 von FPÖ-Nationalrat und Generalsekretär Hafenecker eingebracht worden. Dieser sprach nun gegenüber der Zeitung von 460 parlamentarischen Anfragen seit Beginn dieser Gesetzgebungsperiode. "Dass in die Erarbeitung der Anfragen auch Dritte eingebunden sind, ist ein normaler Vorgang, zumal häufig Missstände thematisiert werden, die von außen an uns herangetragen werden". Dass Ott allem Anschein nach an einer dieser Anfragen mitgewirkt habe, sei ihm "nicht bekannt".
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