Vor allem die Ärztekammer schlägt Alarm: „Wir laufen Gefahr, die Fehler des vergangenen Sommers zu wiederholen“, sagt Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres zum KURIER. Damals verkündete man voreilige Lockerungen.
Szekeres fürchtet, dass in Österreich „in einigen Wochen“ ähnliche Zustände wie in Portugal oder in Großbritannien herrschen könnten. In beiden Ländern steigen die Infektionszahlen, geplante Lockerungen mussten zurückgenommen werden.
Besonders problematisch ist laut Szekeres, dass die erste Teilimpfung wohl nicht vor der Ansteckung mit der Delta-Variante schützt. „In Österreich sind erst 30 Prozent der Bevölkerung vollimmunisiert. Der Rest kann sich anstecken.“ Er drängt darauf, das Impftempo rasch zu erhöhen.
Sollte die Mutation stark nach Österreich überschwappen, wären wohl die Jungen gefährdet. Bei den unter 35-Jährigen sind weniger als 20 Prozent zweimal geimpft, bei den unter 25-Jährigen sind es weniger als fünf Prozent (siehe Grafik unten). Jene Gruppe, die in den Clubs am ehesten mit vielen Menschen in Kontakt käme, ist also am schlechtesten geschützt.
Ein Argument, das man auch aus dem Wiener Rathaus hört: SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig überlegt (wie im Frühjahr), ab 1. Juli im Alleingang strengere Regeln zu erlassen, als der Bund verlangt.
Konkrete Pläne gebe es derzeit noch nicht, heißt es auf KURIER-Nachfrage. Dass man etwa die FFP2-Maskenpflicht in den Öffis beibehalte, sei – anders als kolportiert – nicht fix. Man könne aber auch nichts ausschließen.
Diskutiert wird jedenfalls über strengere Zugangsregeln zu den Wiener Clubs. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker sprach sich zuletzt für eine 1-G-Regel aus. Hieße: Nur Geimpfte dürften tanzen.
In der Wiener Gastroszene gibt man sich abwartend. Die in Aussicht gestellten Lockerungen würden „alle Wünsche erfüllen“, heißt es in der Wiener Wirtschaftskammer. Sollte Wien einen strengeren Weg gehen (müssen), wünsche man sich, dass man „gemeinsam eine Lösung“ erarbeite. Ludwig kündigte an, „zeitnah“ mit Experten zu beraten und zu entscheiden.
Auch im SPÖ-geführten Kärnten gibt man sich vorsichtig: „Wir beobachten die Lage genau. Sollte es notwendig sein, auf Landesebene tätig zu werden, werden wir das im Expertengremium kurzfristig und schnell entscheiden“, heißt es aus dem Büro von Landeshauptmann Peter Kaiser. In anderen Ländern – etwa im Burgenland, in Niederösterreich und in der Steiermark – hält man vorerst an den Öffnungsplänen fest.
Kritik aus Wien kommt an der fehlenden Einbindung: Bei unangenehmen Botschaften hole der Kanzler die Länder an seine Seite, Lockerungen verkünde er alleine. Übrigens: Eine Besprechung zwischen Bund und Landeschefs ist derzeit nicht geplant. Auch ein Verordnungstext fehlt.
Im grünen Gesundheitsministerium hat man mit der Ankündigung des Kanzlers am Sonntagnachmittag keine Freude: Es sei „definitiv zu früh“, um über weitere Lockerungen nach dem 22. Juli zu sprechen, sagt eine Sprecherin zum KURIER.
Eine Variante ab 22. Juli, die man sich im Gesundheitsministerium vorstellen kann: Die MNS-Pflicht könnte sich auf Geschäfte des täglichen Bedarfs (Supermärkte, Banken, Apotheken) beschränken und im übrigen Handel (Bekleidungsgeschäfte etc.) fallen. Für „unwahrscheinlich“ hält man es, dass es in den Öffis ohne Maske gehen wird.
Kurz vor Mitternacht nähert sich Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein dann an den Kanzler an – und zwar in einer gemeinsamen Stellungnahme: Auch Mückstein kann sich nun vorstellen, dass die Maskenpflicht ab 22. Juli in allen Geschäften fällt.
Hinweis: Dieser Artikel wurde um 23.45 Uhr um die gemeinsame Stellungnahme von Kurz und Mückstein ergänzt.
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