Sobotka: Integration für Flüchtlinge trotz Härte

Innenminister Wolfgang Sobotka beim KURIER-Tag 2017
Der ÖVP-Innenminister begrüßt die neuen EU-Pläne für Grenzkontrollen und Rückführungen und setzt auf härtere Gangart. Von dem FPÖ-Vorschlag, Flüchtlingen Integrationsmaßnahmen zu verwehren, hält er nicht viel.

Am Mittwoch legte die EU-Kommission neue Maßnahmen für die Migrationspolitik vor. Dass ein Aussetzen der Schengen-Regelung nun länger als jeweils sechs Monate gewährt werden soll und in besonderen Fällen bis zu drei Jahre, freut Innenminister Wolfgang Sobotka, wie er im Interview mit dem KURIER sagt.

Die Kriterien für eine Verlängerung der Grenzkontrollen sind allerdings strikt, gefordert werden genaue Risikoanalysen. Nach einem Jahr kann nur verlängert werden, wenn ein Ausnahmezustand oder akute Terrorgefahr herrscht. "Was die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit betrifft, habe ich keinen Zweifel, dass die Kriterien erfüllt sind", sagt Sobotka. Der ÖVP-Minister wünscht sich, dass bei der Bewertung der Gefahren österreichische Maßstäbe gelten. "Ich möchte mich nicht aufs Sicherheitsniveau Neapels oder Athens begeben", sagt Sobotka.

Dem nun ausgelaufenen EU-Programm zur Verteilung von Flüchtlingen weint Sobotka keine Träne nach. "Bei der Belastung, die wir zu stemmen hatten, sehe ich keine Möglichkeit, Nachdruck auf eine weitere Aufnahme zu legen." Einem neuen Relocation-Programm würde er "sicher nicht zustimmen".

Legale Wege

Die EU legte nun eine Empfehlung für die Neuansiedlung von weiteren 50.000 Flüchtlingen in ganz Europa ab Oktober 2019 vor. Damit verbunden ist ein Pilotprojekt, in dem mobile Teams in Lagern außerhalb der EU die am meisten gefährdeten Flüchtlinge auswählen, um diesen einen legalen Fluchtweg zu eröffnen. "Es war immer unsere Absicht, dass nur legale Wege nach Europa möglich sein sollen", sagt Sobotka. "Aber zuerst müssen alle illegalen Routen geschlossen werden. Erst dann kann man auch über Zahlen sprechen."

Kritik übte die EU-Kommission an der schleppenden Rückführung von Flüchtlingen ohne Bleiberecht und sprach von 1,5 Millionen Menschen, die demnächst Europa verlassen sollten. Österreich liege mit rund 7.900 Abschiebungen bis 31. August im EU-Pro-Kopf-Vergleich an der Spitze, erklärt Sobotka. "Wir wollen Außerlandesbringungen aber weiter ausbauen".

Zuletzt übte Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl im KURIER heftige Kritik an der Rückführungspolitik. So habe Österreich unter Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) keine bilateralen Abkommen geschlossen. "Die Rücknahmeabkommen sind nicht das Problem" entgegnet Sobotka. "Wir haben eines mit Nigeria und trotzdem funktionieren Abschiebungen dorthin schlecht". Durch das Fremdenrechtspaket, das am 12. Oktober endgültig beschlossen und im November in Kraft treten soll, würde sich das laut Sobotka ändern. "Jene mit negativem Asylbescheid, die nicht kooperieren, können dann in letzter Konsequenz in Beugehaft genommen werden. Der einzige Weg ist dann ein Ansuchen auf freiwillige Heimreise", sagt er.

Integration für Flüchtlinge

Sobotka setzt insgesamt auf eine härtere Gangart. Von dem jüngsten FPÖ-Vorschlag, bei Flüchtlingen erst gar keine Integrationsmaßnahmen zu setzen, hält er allerdings nicht viel. Sobotka: "Sobald jemand in einer Betreuungsstelle versorgt wird, ist es wichtig, Deutschunterricht anzubieten und Werte zu vermitteln, das ist kein verlorenes Investment."

KURIER: Wie kommentieren Sie die Pläne der EU-Kommission zur Möglichkeit die Grenzkontrollen im Schengenraum zu verlängern?

Wolfgang Sobotka: Das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist aber noch nicht beschlossen. Natürlich muss das noch abgestimmt und nachgeschärft werden, auch die genauen Voraussetzungen sind noch abzuklären. Die Anforderungen für eine Verlängerung der Grenzkontrollen sind noch zu komplex. Vor allem die Risikoanalyse ist eine noch nicht ausreichend definierte Frage. Ich möchte mich nicht auf das Sicherheitsniveau Neapels oder Athens begeben. Grundsätzlich ist es aber richtig, dass es nun Instrumente gibt, die es ermöglichen die Kontrollen um einen größeren Zeitraum zu verlängern. Grundsätzlich hat natürlich keiner eine Freude mit den Binnengrenzen. Allein, wenn man die Kosten für die Mannschaften betrachtet und auch negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. Solange es aber keinen wirksamen Schutz der EU-Außengrenze gibt, um die illegale Zuwanderung zu unterbinden, sind Kontrollen alternativlos.

Was macht Sie sicher, dass die Kriterien für eine Verlängerung um zwei oder drei Jahre erfüllt sind?

Was die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit betrifft, habe ich keinen Zweifel, dass die Kriterien erfüllt sind. Wir müssen generell auch unseren Arbeitsmarkt schützen, weil hier viele zu uns kommen, die nicht am Arbeitsmarkt integrierbar sind.

Betrachten Sie das Relocation-Programm als gescheitert?

Aus österreichischer Sicht war eine Umverteilung ohne funktionierenden Außengrenzschutz nie das Ziel. Meine Vorgängerin hätte sich dafür eingesetzt, auch Flüchtlinge aus Österreich in Europa umzuverteilen, weil wir überproportional belastet gewesen sind. Mit der damaligen SPÖ-Linie war das leider nicht machbar. Wir mussten uns also an unsere Verpflichtungen halten, die nicht zuletzt auch Bundeskanzler Christian Kern mitgetragen hat. Einem neuen Relocation-Programm würde ich daher aus heutiger Sicht auch nicht zustimmen. Weil es ohne Außengrenzschutz einen Anreiz darstellt, illegal nach Europa zu kommen. Viele denken sich: "Ich werde schon irgendwohin zugeteilt."

Wie beurteilen Sie die Pläne für 50.000 Neuansiedelungen über legale Migrationswege?

Erst wenn die illegale Migration völlig unterbunden ist, können wir über legale Zuwanderung sprechen, vorher nicht. Das ist im Übrigen auch ein österreichischer Vorschlag. Damit könnten wir dann selbstverständlich auch leben.

Aber es handelt sich nicht um die geforderten Aufnahmezentren, sondern um mobile Teams in Flüchtlingslagern.

Es handelt sich um mobile Einsatzteams, die vor Ort die Leute aussuchen, die schutzbedürftig sind oder aus anderen Gründen zu uns kommen dürfen. Das war immer unsere Absicht. Es soll nur noch ein legaler Weg nach Europa möglich sein. Prinzipiell ist zu sagen: Die Mittelmeerroute ist zu schließen, so wie alle anderen illegalen Routen geschlossen werden müssen. Erst dann werden wir uns auch über legale Migrationswege Gedanken machen und erst dann wird man auch über Zahlen sprechen können. Bisher hatten wir in diesem Jahr rund 17.000 Asylanträge. Ab dem Zeitpunkt, ab dem es keine zusätzlichen illegal eingereisten Flüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge mehr gibt, können wir uns Gedanken machen, vorher nicht.

Die EU-Kommission will deutlich mehr Rückführungen. In welchem Bereich bewegt sich da Österreich?

Österreich ist im europäischen Vergleich schon jetzt an der Spitze, wir wollen Außerlandesbringungen aber weiter ausbauen. Bis 31. August haben wir rund 7.900 Personen außer Landes gebracht. Knapp 4.650 zwangsweise, der Rest waren freiwillige Ausreisen. Wir haben dabei die größte Pro-Kopf-Rate an Rückführungen im EU-Vergleich und sind auch bei den Frontex-Flügen an der Spitze. Alleine 2017 gab es 113 Abschiebungsflüge von Frontex. Österreich hat davon nicht weniger als 25 organisiert. Das heißt, 22 Prozent aller europäischen Abschiebungsflüge durch Frontex gehen auf Österreich zurück.

Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl hat kürzlich bemängelt, dass sich bei den Rückübernahmeabkommen zu wenig tut.

Die Rückübernahmeabkommen sind nicht das Problem. Hätte sich Herr Niessl ernsthaft damit auseinandergesetzt, sollte er das wissen. Wir haben beispielsweise eines mit Nigeria und trotzdem finktionieren Abschiebungen dorthin schlecht. Länder, die nicht mit uns zusammenarbeiten wollen, weigern sich bei zwangsweisen Außerlandesbringungen auf unsere Anfrage hin ganz einfach die nötigen Einreisepapiere für Abzuschiebende bereitzustellen. Das Land nimmt ihn unter dem Vorwand nicht zurück, dass er eventuell gar nicht aus Nigeria sein könnte. Für den Flüchtling ist das positiv, weil er jede Kooperation mit unseren Behörden verweigern und in Österreich bleiben kann. Wir hingegen müssen ohne vorhandene Dokumente erst den Beweis erbringen, dass es sich tatsächlich um eine Person aus dem betreffenden Land handelt. Die Tatsache, dass wir dann Steuergeld für Dolmetscher und Sprachforscher ausgeben müssen, während der negativ Beschiedene zu Unrecht weiterhin Mindestsicherung in Wien kassieren kann, geht mir massiv gegen den Strich. Das wird sich mit dem von uns auf den Weg gebrachten Fremdenrecht mit Anfang November auch ändern. Jene mit einem negativen Asylbescheid, die nicht mit uns kooperieren, werden dann in letzter Konsequenz in Beugehaft genommen. Das heißt: Keinen Tag länger Mindestsicherung und Bewegungsfreiheit in Österreich. Der einzige Weg, der für ihn dann noch bleibt, ist die Kooperation mit den Behörden und ein Ansuchen auf freiwillige Einreise in sein Heimatland. Diese kann ihm auch keine Botschaft verweigern. Das ist Teil des Fremdenrechtspakets und wird am 12. Oktober beschlossen, um dann mit November in Kraft zu treten. Ich würde Herrn Niessl bitten, dass er alles daran setzt, dass seine Partei das auch mitbeschließt. Man sieht ja, dass bei manchen in der SPÖ Wankelmut eingekehrt ist. Ich bin mir erst sicher, wenn der Beschluss auf dem Tisch liegt. Ich bin zwar immer ein Optimist, aber ich habe auch beim Sicherheitspaket daran geglaubt, dass die SPÖ das mitträgt.

Über Rückübernahmeabkommen zu verhandeln hat also wenig Sinn?

Wenn man versucht, das über Rückübernahmeabkommen zu spielen, dann hat das nur auf europäischer Ebene Sinn und verknüpft mit EU-Geldern für die Entwicklungszusammenarbeit. Und zum von Niessl genannten Beispiel Schweden: Die Schweden haben zwar 300 Marokkaner zurückgeführt, wir im selben Zeitraum aber 337.

EU-Kommissar Avramopoulos hat eine Zahl von 1,5 Millionen Migranten genannt, die in den kommenden Monaten rückgeführt werden müssen. Ist diese Zahl nicht ziemlich unrealistisch?

Da müssen Zahlen aus den vergangenen Jahren miteinbezogen sein. Österreich könnte derzeit sicherlich an die 12.000 Leute zurückschieben. Wenn man das schnell auf die ganze EU hochrechnet, würde es sich schon einmal um 600.000 Personen handeln. Wenn man dazu übergeht, zu schauen: Wer ist aus den letzten Jahren rückführbar, dann kommt man natürlich auf eine Zahl in der Größenordnung. Es gibt aber nur eine begrenzte Vergleichbarkeit der Zahlen: Es wird jeweils unterschiedlich bezeichnet, was unter einer Rückführung, Rückstellung oder Rückweisung verstanden wird. Dazu gibt es die Zwangsausweisung und das freiwillige Zurückkehren, da ist die Zahlenmatrix einfach unterschiedlich,

Warum drängt die EU-Kommission jetzt auf rasche Rückführungen?

Es dürfte auch darum gehen, dass gewisse Fristen nicht verstreichen. Aus dem temporären Bleiberecht wird nach fünf Jahren ein ständiges Bleiberecht. Wir betrachten Asyl aber als ein Recht auf Zeit, als Schutz vor Verfolgung und vor Gefährdung an Leib und Leben. Entscheidend ist für uns, dass derjenige, der wirklich Schutz braucht, weil er verfolgt wird, diesen auch bekommt. Und dann möglichst mit Sprache und mit Arbeit integriert wird, damit keine Parallelgesellschaften entstehen. Aber wenn das nicht der Fall ist, dann ist es undenkbar, dass ein fünfjähriges Bleiben auch ein dauerhaftes Bleiberecht begründet. Aber auch wen jemand kein Bleiberecht hat, bekommt in Wien weiter Mindestsicherung, was ich für einen unhaltbaren Zustand halte. Wenn man sich den Grad der Integration ansieht, erkennt man, dass 90 Prozent der Asylberechtigten am Arbeitsmarkt auch nicht vermittelbar sind. Das ist eine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme, die wir unterbinden müssen.

Diejenigen, die kein Bleiberecht bekommen, werden ab November verstärkt kontrolliert und gegebenenfalls aufgegriffen. Im Bereich von Bahnhöfen werden wir uns Maßnahmen überlegen, wie wir das effizient gestalten. Das betrifft natürlich auch den Rauschgifthandel. Hier werden wir auch weiterhin eine Nulltoleranzstrategie verfolgen. Generell sollte man hier bei Konsum und Handel über Nachschärfungen im Gesetz nachdenken.

Was halten Sie von dem FPÖ-Vorschlag, bei Flüchtlingen erst gar keine Integrationsmaßnahmen zu setzen, weil sie nur Schutz auf Zeit bekommen sollen? Wäre es nicht auch ein Gefährdung der inneren Sicherheit, wenn diesen Flüchtlingen keine Perspektiven geboten werden?

Ich kenne den Vorschlag nicht im Detail. Grundsätzlich ist zu sagen: Sobald jemand in einer Betreuungsstelle versorgt wird, ist es wichtig, Deutschunterricht anzubieten und Werte zu vermitteln, das ist kein verlorenes Investment.

Sobotka: Integration für Flüchtlinge trotz Härte

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