Wer Bildungsreformen in Österreich verhindert - und warum eigentlich
Schönreden hilft nichts mehr. Die Schulen mit ihren 125.000 Lehrkräften und 1,1 Millionen Schülern sollen die großen gesellschaftlichen Probleme bewältigen, ohne dafür gerüstet zu sein. Das gelingt oft nur mehr durch den aufopfernden Einsatz von Lehrerinnen und Lehrern weit über ihre vertraglichen Verpflichtungen hinaus.
Welche Bildungsreform?
Die zentrale Frage ist also, ob seitens der Politik die Not im gesamten Bildungsbereich als groß genug gesehen wird.
Tatsächlich scheiterten umfassende Bildungsreformen aus der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte an einer Kombination aus politischem und gewerkschaftlichem Widerstand, institutionellen Trägheiten, finanziellen Einschränkungen oder Verteilungsstreit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie kulturellen Faktoren.
Frühkindpädagogik
Für Bildungsexperten ist das wichtigste Stellrad der Kindergarten. Funktioniert der als „Bildungsgarten“, erhöhen sich die Chancen der Kinder auf eine gelungene Bildungskarriere enorm, der Staat muss später kaum mit Kursen am AMS eingreifen.
Im Herbst 2023 erklärte die Regierung, bis 2030 rund 4,5 Milliarden in bessere Kindergärten stecken zu wollen – mehr Plätze, bessere Öffnungszeiten, die Eltern ganztägige Erwerbsarbeit ermöglichen, und weniger Schließtage. Nichts davon wurde an Ziele geknüpft.
Das Problem bleibt, dass die Elementarpädagogik in der Kompetenz der Länder und Gemeinden ist, die befürchten, mit den Kosten für Ausbau und Personal übrig zu bleiben. Dazu kommt, dass konservative Parteien der „Verstaatlichung“ der Kindererziehung kritisch gegenüberstehen und familiäre Betreuung bevorzugen. Eltern können oder wollen das aber immer öfter nicht leisten.
Volksschulen
Dass Kinder erst in die Volksschule kommen, wenn sie „schulreif“ sind, entspricht nicht der Realität.
Würden die Pädagogen „Notenwahrheit“ anwenden, müssten ganze Jahrgänge die Klasse wiederholen. Weil aber nicht sein kann, was nicht sein darf, sind die Noten meist nur innerhalb der Klasse vergleichbar. Die Folge ist, dass Kinder in die nächste Schulstufe „abgeschoben“ werden, bis zum Ende der Schulpflicht, nur so ist erklärbar, warum jeder fünfte Jugendliche nach neun Jahren Schule nicht gut lesen und schreiben kann.
Die Industriellenvereinigung hat als Lösung die Mittlere Reife vorgeschlagen. Die soll garantieren, dass Schüler nur den Abschluss haben, wenn sie auch Grundlegendes beherrschen. Unklar ist, wer eine Umsetzung verhindert. Auf die Schulen käme jedenfalls ein enormer Mehraufwand zu, und auch die Gewerkschaft ist von dem Vorschlag nicht begeistert – dann würde offenbar, welche Schulen und welche Lehrkräfte unter- und überdurchschnittlich sind.
Schulaufsicht/Bildungsdirektion
Die Reform, die Landesschulräte in Bildungsdirektionen verwandelte, ist gescheitert. Einzig die „Macht“ der damaligen Präsidenten ist an die Landeshauptleute übertragen worden. Verbessert hat sich dadurch nichts. Die Verwaltung ist politisch besetzt – bis hinunter zu den Schulleitungen geht ohne die Parteien nichts. Ausnahmen gibt es. So werden aber nicht die Fähigsten Direktoren.
Gewerkschaft
Die Lehrervertreter wehren sich zwar vehement gegen ihr Blockiererimage. Doch bei den oft fragwürdigen Postenbesetzungen sind sie ein zentraler Player – da mischt sich Parteipolitik mit gewerkschaftlichen Machtinteressen. Zudem wehren die Gewerkschaften alles ab, was zu einem Mehraufwand im Schulalltag führt, wie längere Arbeitszeiten.
Bund/Länder
Da herrscht ein Kompetenzstreit, beginnend mit Kindergärten und Landes- und Bundesschulen, ein völlig überholtes Modell aus dem vor-vorigen Jahrhundert. Übrig bleiben die Kinder und ihre Eltern.
Politische Ideologien
Es geht doch längst nicht mehr nur um Gemeinsame Schule (bis 14 statt jetzt 10 Jahren) und das Festhalten am Gymnasium. Es stehen einander quasi verfeindete Lager gegenüber – und jeder glaubt vom anderen, dass er keine Ahnung habe. Das macht die Kommunikation schwierig. Vor allem verhindert es, dass man gemeinsam ein Ziel definiert und an einem Strang zieht.
Lehrerausbildung
Sechs Jahre dauert es, bis man Lehrer wird. Vorbereitet aufs Klassenzimmer werden junge Menschen dabei kaum. Es gibt auch keine Steuerung: Jeder zweite Lehramtsstudent studiert Geschichte, gebraucht werden aber Mathe- und Physiklehrer. Auch fehlt es an der Qualitätskontrolle der Lehre von Uni und PH. Bei der Erstellung der Curricula scheint es mehr darum zu gehen, welcher Dozent noch eine Lehrveranstaltung braucht als darum, wie man den besten Pädagogen das Handwerkszeug vermittelt.
Transparenz
International sind jene Schulsysteme erfolgreich, die mit ihren Bildungsdaten arbeiten. Heißt: Bildungsstandards u.ä. werden genutzt, um den Unterricht zu verbessern. Bei uns sind Daten kaum zugänglich. Bestes Beispiel: Der Nationale Bildungsbericht 2024 muss im Dezember erscheinen. Bisher steht er nicht einmal den Koalitionsverhandlern zur Verfügung.
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