Nächste Regierung: Zweidrittelmehrheit gibt es de facto nur mit vier Parteien
Große Reformen benötigen im Nationalrat aufgrund des föderalen Systems Österreichs eine Zweidrittelmehrheit, also zumindest 122 Abgeordnete.
Ergebnis der Nationalratswahl 2024 ist, dass auch die stimmenstärksten Parteien FPÖ und ÖVP gemeinsam über keine Verfassungsmehrheit verfügen ( sie haben 108 Mandate).
Die einst „Große Koalition“ aus ÖVP und SPÖ mit jetzt 92 Mandaten hat nur eine hauchdünne Mehrheit, weshalb eine Dreierkoalition mit den Neos oder den Grünen wahrscheinlich ist. Was so viel heißt: Für wirklich große Reformen braucht es gegen die FPÖ eine Vier-Parteien-Einigung – ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne – die dann auf 126 Mandate kommen.
Aber wann braucht die kommende Regierung eine Zweidrittelmehrheit (die man auch qualifizierte Mehrheit nennt) – abgesehen von Verfassungsänderungen oder einer Staatsreform? Ein Blick auf die vergangenen Jahre zeigt, dass die SPÖ (mit den Neos ging es sich nicht aus) mehrmals der türkis-grünen Regierung bei Energiegesetzen oder beim Parteiengesetz 2022 die qualifizierte Mehrheit ermöglichte – aber eben nicht immer. Zuletzt beim Biogasgesetz oder beim Energieeffizienzgesetz gab es keine Einigung – und kein Gesetz.
Sollte eine neue Regierung große Bildungsreformen (etwa bei den Bildungsdirektionen) planen, sind oft qualifizierte Mehrheiten nötig, vor allem wenn in die Länderkompetenz eingegriffen wird. „Ob man bei Reformen eine Verfassungsmehrheit benötigt, kann man nicht allgemein sagen, sondern muss es im konkreten Fall prüfen“, sagt Verfassungsjurist Heinz Mayer. Bei Änderungen im Pensionsrecht sei die Sache nicht immer klar. Mayer verweist auf die Reformen unter Wolfgang Schüssel in den frühen 2000er-Jahren, der massive Pensionsreformen auch ohne Zweidrittelmehrheit verabschiedete, ebenso bei Änderungen der Sozialversicherungen.
„Sogar für die Änderung der Geschäftsordnung im Parlament brauche ich eine Zweidrittelmehrheit, oder eben wenn die Kompetenzen der Bundesländer berührt werden“, ergänzt Parlamentarismusexperte Werner Zögernitz.
Abtausch wird nötig
Klar sei, dass Parteien für ihre Zustimmung nicht selten etwas „abtauschen“, also dafür etwa inhaltliche Gesetzesänderungen in ihrem Sinn bekommen. „Da sind eben viele Kompromisse notwendig, es braucht Verhandlungsgeschick“, sagt Zögernitz.
Die letzte Koalition, die von sich aus eine Zweidrittelmehrheit hatte, war die SPÖ-ÖVP-Regierung Gusenbauer (2007–2008) – mit einer soliden Zweidrittelmehrheit mit 134 Abgeordneten. Ab Dezember 2008 regierte die SPÖ-ÖVP-Regierung Faymann I, die mit nur mehr 108 Mandaten keine Verfassungsmehrheit hatte, so wie alle Regierungen seither.
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