Posse um Ibiza-Video: Wenn eine Behörde der anderen nicht traut
Folgendes ist passiert:
Die Soko Tape findet am 20. April das Ibiza-Video und sagt am 21. April der Staatsanwaltschaft Wien Bescheid. Fast einen Monat später erfährt der Innenminister über seinen Kabinettschef davon, sagt darüber aber kein Wort, als er kurz darauf die Justizministerin trifft. Die muss dann am 27. Mai aus den Medien vom Fund des brisantesten Beweismittels der Republik erfahren. So auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).
Irritierend.
Oder: "Ein absurdes Theater", wie es SPÖ-Abgeordneter Jan Krainer ausdrückte, als Innenminister Karl Nehammer und Justizministerin Alma Zadic am Freitag im Ibiza-U-Ausschuss die (Nicht-)Kommunikation rund um den Fund des Ibiza-Videos schilderten.
Die Tatsache, dass Zadic von ihren eigenen Staatsanwälten nicht informiert wurde, sorgte für sich genommen schon für Irritation. Die Justizministerin erklärte aber, das sei nicht wichtig - die Justiz ermittle unabhängig.
Dass Staatsanwaltschaft Wien und WKStA aber offenbar nicht miteinander reden und es da ebenfalls Unstimmigkeiten gibt, sei eine andere Geschichte und separat zu klären, meinte sie.
Eines wird dabei (erneut) deutlich: Die Fronten sind verhärtet, die Zusammenarbeit der Behörden von gegenseitigem Misstrauen geprägt.
Zwei Herrinnen
Zunächst zur Erklärung: Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt zum Video und den Drahtziehern jener Falle, in die Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus im Sommer 2017 auf Ibiza getappt sind.
Die WKStA ermittelt zu dem, was Strache und Gudenus damals gegenüber der vermeintlichen Oligarchin gesagt haben, und was später Chats von Strache in Bezug auf die Casinos-Causa zu Tage gefördert haben.
Es gibt also zwei "Herrinnen des Verfahrens": Beide Justiz-Behörden haben die Soko Tape des Bundeskriminalamts mit der Sicherstellung des Ibiza-Videos beauftragt. Beide sollten also über den Fund informiert werden, erklärte Ministerin Zadic am Freitag im U-Ausschuss.
Warum aber hat die Polizei nur den Wiener Staatsanwälten Bescheid gegeben und nicht der WKStA?
Misstrauen gegenüber Soko...
Zwischen WKStA und Soko gibt es seit Längerem Unfrieden: Die Korruptionsstaatsanwälte misstrauen der Soko, vermuten in der Ermittlergruppe ÖVP-Mitglieder und forschten im vergangenen Sommer über deren Privatleben.
Anlass war damals die Sicherstellung des Handys von Ex-Vizekanzler Strache und der Streit darum, wer die Daten auswerten darf. Die WKStA befürchtete, die Soko könnte ÖVP-Politiker, die involviert sind, schützen. Die Soko befürchtete, die WKStA könnte Daten an Medien weitergeben.
In den Streit schaltete sich der damalige Justizminister Clemens Jabloner ein. Er stellte klar, dass eine Parteimitgliedschaft noch kein Grund für eine Befangenheit sei und dass er dem Innenminister in dieser Frage vertraue.
... und Ärger über WKStA
Immer wieder gab es seither in den Ermittlungen ein Geplänkel zwischen WKStA und Soko, die ihrerseits auch nicht gerade glücklich mit der Arbeit der WKStA ist.
Die Presse zitiert aus einem Bericht des Soko-Leiters aus dem Dezember 2019. Darin lobt er die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Wien, jene mit der WKStA hingegen sei "klar verbesserungswürdig".
Zum Beispiel in der Schredder-Affäre: Die WKStA soll behauptet haben, die Soko hätte bei den Ermittlungen die ÖVP geschont. Die Soko sagt aber, die WKStA hätte explizit keine Hausdurchsuchung sondern die sanftere Methode, eine freiwillige Nachschau, angeordnet und es habe auch keine Anordnung gegeben, Handys oder ähnliches sicherzustellen, schreibt die Presse.
In der Casinos-Causa gab es rund um die Vorwürfe des Postenschachers noch einmal Streit um die Hausdurchsuchungen bei Ex-FPÖ-Chef Strache und Casinos-Vorstand Peter Sidlo, laut Presse moniert der Soko-Leiter, dass die WKStA benötigte Berichte zu spät oder gar nicht liefere.
Die Liste ist lang und der Streit für Außenstehende - wie gesagt - irritierend.
Nehammer optimistischer als Zadic
Stellt sich die Frage: Wenn die Behörden streiten, geht bei den Ermittlungen überhaupt etwas weiter?
Ja, betonte Innenminister Nehammer am Freitag im U-Ausschuss und zählte eine Erfolgsbilanz der Soko Tape auf:
Ermittelt wird wegen 31 unterschiedlicher Delikte, 139 Anlassberichte wurden im vergangenen Jahr über die Zwischenergebnisse verfasst. 55 Hausdurchsuchungen, zehn freiwillige Nachschauen und 259 förmliche Vernehmungen wurden durchgeführt. Dazu kommen fünf Festnahmeanordnungen und 13 Rechtshilfeersuchen. 34 Terabyte an Daten wurden sichergestellt.
Nehammer dürfte, was die Erfolgsbilanz betrifft, wesentlich positiver gestimmt sein als Regierungskollegin Zadic: Er wollte zum Jahrestag der Soko Ibiza am 27. Mai eine gemeinsame Pressekonferenz mit der Justizministerin veranstalten.
Ihr Ressort war aber dagegen - dort war man der Ansicht, die Erfolge zu präsentieren, wäre zu voreilig, man würde damit die falsche Erwartung erwecken, dass die Ermittlungen bald abgeschlossen seien.
Was passiert nun mit dem Video?
Für die Abgeordneten im U-Ausschuss war die wesentlich interessantere Frage aber: Wann dürfen sie das Ibiza-Video sehen?
Und diese Frage bietet Stoff für den nächsten Streit: Seit 20. April liegt das Material, das eine Länge von rund zwölf Stunden hat, im Bundeskriminalamt. Dort wird es ausgewertet und aufbereitet: Die Tonspuren seien teils sehr schlecht, erklärte Nehammer, zudem müssten viele Passagen erst übersetzt werden.
Die Soko Tape wird vorerst nur die Aufbereitung, also einen Bericht über das Video abliefern - so hat es die Staatsanwaltschaft Wien in Auftrag gegeben.
Es ist nicht gesagt, dass die Justiz auch das komplette Video zu sehen bzw. die Rohdaten bekommt. Wie die WKStA als zweite beteiligte Justizbehörde dazu steht, ist unklar.
Im nächsten Schritt muss das Justizministerium, das für das Abliefern an den U-Ausschuss zuständig ist, beurteilen, ob das die Ermittlungen gefährden könnte - also ob das Material so brisant ist, dass es unter Verschluss bleiben muss.
In frühestens zwei Wochen sollte das geklärt sein, sagte Zadic am Freitag im U-Ausschuss.
Sobotka pocht auf Übermittlung
Am Sonntag schlug Wolfgang Sobotka, Vorsitzender des U-Ausschusses, zu dem Thema gleich einen Pflock ein: Das Ibiza-Video sei ein "wesentliches Beweismittel", und: "Eine zeitnahe Übermittlung der Strafverfolgungsbehörden ist ein Muss", sagte er im ORF-Magazin "Hohes Haus".
Er geht davon aus, dass es den Abgeordneten in den nächsten Tagen zur Verfügung steht. Wann genau? "Ich bin kein Hellseher", sagte Sobotka.
Hinweis: Der Artikel wurde um 13 Uhr durch die Stellungnahme von Wolfgang Sobotka im ORF ergänzt.
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