Politik ohne Sideletter? "Dann gibt es eben mündliche Absprachen"
Maria Berger hat eine abwechslungsreiche Karriere hinter sich: Sie war Gemeinderätin in ihrer Heimatstadt Perg, viele Jahre im EU-Parlament, 2007 dann Justizministerin in der Bundesregierung Gusenbauer und schließlich zehn Jahre lang als Richterin am Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Jetzt ist die 65-Jährige glückliche Pensionistin. Wie sie die aktuellen Geschehnisse in der Politik sieht und was sie noch vorhat.
KURIER: Verraten Sie uns als Ex-Regierungsmitglied: Was stand 2007 im Sideletter der SPÖ-ÖVP-Koalition?
Maria Berger: Ich weiß nicht, ob es einen gegeben hat. Wenn, dann war es nichts, das die Justiz betroffen hätte. Dabei habe ich als Ministerin viele Posten besetzt.
Zählte da nur die Qualifikation oder gab es auch parteipolitische Überlegungen?
Weniger parteipolitische, sondern mehr, ob diese Person meine Reformvorhaben mitträgt. Das ist bei den Sektionschefs wichtig, ich hatte da aber nie Probleme. Bei den Gerichtspräsidenten zählt, ob sie eine große Organisation führen können und sozial kompetent sind. Ich habe nicht immer den Erstgereihten genommen, konnte das aber gut begründen.
Verstehen Sie die Aufregung um Eva Marek, der die ÖVP 2014 offenbar die Leitung der Generalprokuratur versprochen hat, wie kürzlich über Chats publik wurde?
Jemandem einen Posten zu versprechen, das geht nicht. Auch, weil man so etwas nicht allein zu entscheiden hat. Welche Überlegungen es da beim damaligen Minister Wolfgang Brandstetter gab, weiß ich nicht.
Sie kamen 2009 per Nominierung der SPÖ-ÖVP-Regierung in den EuGH. Warum ist das in Ordnung und andere, inoffizielle Vereinbarungen sind das nicht? Im Ergebnis kommt ja dasselbe heraus.
Das Vorschlagsrecht beim EuGH oder auch beim Verfassungsgerichtshof ist gesetzlich so vorgesehen. Diese Institutionen sind auch näher am politischen Geschehen. Wer sonst sollte über so hohe Posten bestimmen?
Ist es legitim, wenn sich zwei Parteien ausmachen, wer welche Posten besetzen darf?
Ich verstehe es aus Sicht des kleineren Partners, wenn man das gerecht aufteilen will. Sofern die Regierung auch zuständig ist. In dem Sideletter, der jetzt bekannt geworden ist, stehen aber auch Posten drin, für die andere Organe per Aktienrecht oder Rundfunkgesetz zuständig sind. Die vorweg festzuschreiben, ist sehr gewagt.
Kanzler und Vizekanzler haben jetzt versprochen, dass es keine Sideletter mehr geben wird. Ist das realistisch?
Dann wird man diese Absprache eben mündlich machen. Wichtig ist, dass auch Nullgruppler, die nicht parteipolitisch punziert sind, eine Chance haben.
Das Justizministerium arbeitet an der Einrichtung eines Bundesstaatsanwalts. Wie soll diese unabhängige Weisungsspitze besetzt werden?
Ein möglichst unabhängiges Gremium aus Richtern, Staatsanwälten und Vertretern des Ministeriums sollen einen Vorschlag machen, der vom Bundespräsidenten bestätigt wird. Eine rein parlamentarische Bestellung birgt wieder die Gefahr von parteipolitischen Absprachen.
Und wie soll diese neue Spitze kontrolliert werden?
Zum Beispiel, indem sie einen Jahresbericht an das Parlament abliefert. Aber es darf bei laufenden Verfahren keine Berichte geben. Es ist ja Sinn der Sache, dass jegliches Wissen über Ermittlungsschritte bei dieser unabhängigen Stelle verbleibt.
In Ihre Ministerzeit fiel die Umsetzung der großen Strafprozessreform, die Staatsanwälte wurden „Herren des Verfahrens“. War das ein Fehler, nachdem diese ja nicht unabhängig, sondern weisungsgebunden sind?
Wir haben versucht, die Weisungsbindung aufzuheben oder zumindest die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) weitgehend von den Berichtspflichten zu entbinden. Denn wo kein Bericht, da kann auch niemand eine Weisung erteilen. Von der ÖVP gab es aber ein kategorisches Nein.
Sind Sie mit der Arbeit der WKStA zufrieden?
Ja, sie hat sich sehr gut entwickelt. Die Kritik war zu weiten Teilen unberechtigt.
Der Ibiza-U-Ausschuss war zuweilen eine öffentliche Schlammschlacht. Wie ließe sich das beim ÖVP-U-Ausschuss vermeiden?
Eine gewisse Aufregung gehört bei einem U-Ausschuss dazu. Was ich aber für bedenklich halte, ist, dass Wolfgang Sobotka wieder den Vorsitz führt, weil es ja auch um seine damalige Rolle als Innenminister geht. Das wird dazu führen, dass man bei ihm überall eine Befangenheit vermutet und sich in Verfahrensfragen verheddert. Eine andere Vorsitzführung wäre wünschenswert.
Die ÖVP will, dass auch alle ihre Koalitionspartner untersucht werden sollen. Hat die SPÖ Grund zur Sorge?
Es ist lange her, dass die SPÖ in der Regierung war. Ob man da so weit zurückgeht? Aber es stimmt: Transparenz ist eine Herausforderung für alle Parteien. Gerade bei der Offenlegung von Parteienfinanzierung und Inseraten.
Wäre es für Sie ein Problem, wenn man Ihr Handy auswertet und einem U-Ausschuss übermittelt?
Ich bin sicher, dass jemand mein Diensthandy durchsucht hat, als ich es damals abgegeben habe. Wenn es etwas gäbe, woraus man einen Skandal stricken könnte, wäre das schon passiert.
Kurzer Exkurs zu Ihrer Partei: Die internen Querelen scheinen kein Ende zu nehmen – was ist da los?
Mir scheint, dass der Inhalt der Vorwürfe oft nur ein Vorwand ist. Es geht manchen eher darum, Unruhe zu stiften und sich selbst in den Vordergrund zu rücken.
Zum Beispiel ein SPÖ-Vertreter aus dem Burgenland?
(Lächelt und schweigt).
Ist Pamela Rendi-Wagner die Richtige oder braucht es eine andere Parteispitze, damit Ruhe einkehrt?
Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbar nicht gefällt. Ich halte es für sehr tapfer, dass Rendi-Wagner bis jetzt durchgehalten hat. Und wenn jemand glaubt, er kann es besser, dann soll er das sagen.
Im Herbst ist die Bundespräsidentenwahl – wollen Sie für die SPÖ kandidieren?
Nein. Ich hoffe und ich wünsche mir, dass Alexander Van der Bellen wieder kandidiert und dass die SPÖ ihn unterstützt.
Was haben Sie sonst vor?
Meine Pension genießen. Wir überlegen, mit dem VW-Bus durch Europa zu fahren, wenn die Pandemie vorbei ist.
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