Sobotka: "Bin verpflichtet, den U-Ausschuss zu leiten"
Der Parlamentspräsident über seine Entscheidung, den ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss zu leiten, die Vorwürfe gegen Kurz und seine Rolle bei der Machtübernahme des Ex-Kanzlers.
KURIER: Herr Sobotka, haben Sie eine Entscheidung getroffen, ob Sie den Vorsitz beim ÖVP-U-Ausschuss übernehmen werden? Oder werden Sie zur Seite treten?
Wolfgang Sobotka: Seit dem letzten U-Ausschuss hat sich nichts geändert. Wir haben dieselbe Verfahrensordnung – deswegen verstehe ich die Frage nicht. Denn ich bin gesetzlich verpflichtet, den Vorsitz des U-Ausschusses zu übernehmen. Ich habe den Parteien angeboten, über eine Reform der Verfahrensordnung zu sprechen. Dazu kam es nicht.
Es hat sich etwas geändert: Der U-Ausschuss dreht sich ausschließlich um die ÖVP. Warum haben Sie beim BVT-U-Ausschuss die Befangenheit erkannt und wollen das jetzt nicht erkennen?
Ich habe mich auch damals nicht befangen gefühlt, sondern schlicht deshalb den Vorsitz übergeben, weil der Untersuchungszeitraum unter anderem auch meine Amtszeit als Innenminister umfasst hat. Das war weder beim Ibiza-U-Ausschuss, noch ist es jetzt der Fall. Laut Verlangen soll der Untersuchungszeitraum dann starten, als ich Nationalratspräsident wurde. Ich war somit nicht Teil der Regierung und die wird ausschließlich untersucht. Man muss hier schon sauber trennen und bei den Fakten bleiben. Außerdem, und das muss jeder wissen: Der Verfahrensrichter bewertet, welche Fragen zulässig sind und welche nicht. Ich habe mich als Vorsitzender stets daran gehalten, was er geraten hat. Die künstliche Aufregung über meine Person ist deshalb wohl eher politischer, aber nicht inhaltlicher Natur.
Im ÖVP-U-Ausschuss wird die Amtszeit von Kurz aufgearbeitet.
Bin ich in der Regierung gewesen?
Nein, aber Sie gelten als enger Vertrauter von Sebastian Kurz ...
Trennen wir jetzt nicht mehr zwischen Exekutive und Legislative? Ignorieren wir, dass es grundsätzlich eine Gewaltentrennung gibt? Da könnte man jede Entscheidung aller drei Präsidenten hinterfragen. Jeder ist schließlich auch Teil einer Fraktion. Das halte ich ja fast für grotesk. Ich bin auf die Verfassung angelobt und nehme das sehr ernst.
Es ist doch ein Unterschied, eine Plenarsitzung zu leiten oder einen Korruptions-U-Ausschuss, wo es um die politische Verantwortung von Sebastian Kurz geht ...
Ich kann als Vorsitzender weder eine inhaltliche Diskussion niederschlagen, noch kann ich irgendwas zum Nachteil der Opposition beeinflussen. Wenn man die Forderung der Opposition zu Ende denkt, was heißt das dann – nicht nur im Fall Sobotka: Wenn mir der Vorsitzende nicht passt, kann ich jedes Mal einen Fall der vermeintlichen Befangenheit konstruieren und öffentlich den Rücktritt des Vorsitzenden fordern. Es mag manchen nicht passen, aber diese politische Willkür lehne ich ab. Auch wenn es sicherlich wesentlich bequemer für mich wäre, den Vorsitz abzugeben.
Sie sind Präsident des Parlaments und sollten die Würde des Hauses wahren und nicht zur Eskalation beitragen ...
Man hat mir Verschiedenstes über die Medien ausgerichtet. Wenn man es ernst meint, dann sucht man das Gespräch. So gesehen hat das Ansinnen, dass ich die Aufgabe nicht übernehmen soll, wohl nur dem politischen Taktieren gegolten. Was wären meine Optionen? Ich mache es und es gibt die übliche Empörung. Wenn ich es nicht mache, heißt es, ich habe dem Druck der Medien nachgegeben. Das heißt, beide Optionen sind negativ.
Kommen wir noch zur Causa Kurz. Glauben Sie an das Comeback von Sebastian Kurz?
Er ist als Obmann mehr als nur bestätigt worden, er führt die Partei, er ist sehr aktiv, er ist jetzt damit beschäftigt, seine Unbescholtenheit unter Beweis zu stellen, was in der momentanen Situation schwierig genug ist. Er ist ein Kämpfer, und ich denke, er wird das zu Ende bringen.
Das glauben Sie wirklich? Abgesehen von der strafrechtlichen Relevanz ist das Saubermann-Image des Kurz doch endgültig verloren.
(Sobotka greift zum Buch mit dem Titel „Ausgeheuchelt“). Dieses Buch, von einem Priester geschrieben, kann ich nur jedem empfehlen. Wenn man degoutant durchs Schlüsselloch blickt und sich dann aufregt, dass man was sieht, ist man selber schuld. Mit gutem Grund hat man das System Metternich beseitigt und das Briefgeheimnis als eines der obersten Gebote der Persönlichkeitsrechte gesehen. Deswegen äußere ich mich nicht zu den Inhalten – denn privat ist privat. Ich beurteile nur, was in der Öffentlichkeit gesagt wird.
Ist tatsächlich alles privat, wenn hochrangige Politiker am Diensthandy chatten, wenn es um öffentliche Gelder geht und das strafrechtlich relevant ist?
Es bleibt solange privat, solange es sich nicht um ein Verbrechen handelt. Im Übrigen sieht auch die Rechtsschutzbeauftragte des OGH manches kritisch und geht mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hart ins Gericht. Die Justizministerin ist jetzt dringend gefordert, dass es eine rasche, sorgfältige und unabhängige Aufklärung der Vorwürfe gibt. Wichtig ist rasch, das erwartet sich auch die Bevölkerung. Es kann nicht sein, dass man jemanden aus dem politischen Feld nimmt, und dann dauert das Verfahren endlos lange.
Was heißt für Sie rasch?
Das kann man in einigen Monaten aufklären. Das ist keine Habilitation.
Waren Sie überrascht über die mutmaßlich strafrechtlichen Vorgänge im Finanzministerium, als Sie die Chats von Thomas Schmid gelesen haben?
Ich lese keine Chats.
Sie haben die Chats nicht gelesen?
Wenn ich dafür eintrete, dass Privates privat bleibt, kann ich die Chats nicht lesen.
Dann besprechen wir, was 2017 öffentlich zu sehen war: Kurz wollte, ohne sich die Finger schmutzig zu machen, Parteichef werden – dieses Bild ist durch die Chats nun gefallen. Die Speerspitze gegen Reinhold Mitterlehner waren doch damals Sie?
Das habe ich nie verheimlicht. Den Faymann hat auch nicht der Kern am Rathausplatz ausgepfiffen. Aber Kern hat alles unternommen, um Faymann zu beerben. Ich habe noch nie gesehen, dass jemand, der eine Funktion anstrebt, auch die Speerspitze der Informationspolitik ist, um demjenigen mitzuteilen: Es ist genug. Damals sind die Älteren in der Partei zu Mitterlehner gegangen und haben zu ihm gesagt: Es wäre an der Zeit, Platz zu machen. Das ist das Natürlichste auf der Welt. Das hat Mitterlehner nicht gesehen, obwohl die Lage der Partei dramatisch war. Was tut man dann? Entweder geht man oder man schaut, dass ein anderer die Partei übernimmt.
Also politischer Alltag, obwohl Mitterlehners Tochter im Sterben lag?
Sie waren damals beim Ministerrat dabei, als die Bankengabe für den Ausbau der Ganztagsschulen verwendet werden sollte. War Niederösterreich das Bundesland, das sich von Kurz gegen den Plan „aufhetzen“ ließ?
Am Ende wurden 1,6 Milliarden ausgegeben – also viel mehr als geplant. Wichtig war, dass die Länder einen Beitrag leisten müssen, weil die Ausgaben für Schulen ein wesentlicher Punkt im Finanzausgleich sind. Das Unterrichtsministerium wollte die Verträge aber direkt mit den Gemeinden abschließen. Den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung gibt es deswegen nicht, weil es Gemeinden gibt, wo es nur zehn oder sogar weniger Kinder gibt. Diese Gemeinden können sich die Realisierung so eines Rechtsanspruchs nicht leisten.
Kanzler Alexander Schallenberg meint, die Regierung stehe auf dünnem Eis. Wird Sie bis zum Ende der Legislaturperiode halten?
Ich sehe, dass die Themen nüchtern abgearbeitet werden. Das andere sind Befindlichkeiten. Ich bin ein Politiker, auf den Befindlichkeiten keinen Einfluss haben. Was mich stört: Wir bleiben in der Diskussion nur an der Oberfläche. Österreich ist wirtschaftlich gut aufgestellt, trotzdem sagen viele: „Lasst mich mit der Politik in Ruhe“. Das Bild aller Politiker leidet. Ich werde daher im Gespräch mit den Parteien ausloten, wo wir Linien legen können, um in einen unaufgeregten Rahmen zu kommen. Es geht um die wesentlichen Themen, wie wir Innovatives für den Klimawandel leisten können, oder wie wir gut durch die Pandemie kommen. Die Debatten über den U-Ausschuss sind schließlich nicht unser einziges Thema in diesem Land.
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