Platzt die Koalition? "Neuwahlen liegen in der Luft"

Wer kann dem anderen den Schwarzen Peter der Neuwahl zuschieben? Kern oder Mitterlehner?
Kanzler stellt ein Ultimatum. Bis Freitag müsse sich die Regierung auf ein neues Arbeitsprogramm einigen. Ob das gelingt, ist aber äußerst fraglich.

Bis Freitag gibt SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern der Koalition – und damit sich und der ÖVP noch Zeit, um das Regierungsprogramm zu überarbeiten. Damit stellt der SPÖ-Boss den Schwarzen de facto ein Ultimatum: Kommt es zu keiner Einigung, droht eine Neuwahl.

Eine Vorentscheidung könnte schon am Mittwoch fallen. Da trifft sich eine hochrangige "Sechser-Runde" im Kanzleramt. Neben Kanzler Kern und ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sind auch die Regierungskoordinatoren Thomas Drozda und Harald Mahrer sowie Finanzminister Hans Jörg Schelling und SPÖ-Klubchef Andreas Schieder dabei.

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Ton verschärft

Dass ein Ende des rot-schwarzen Bündnisses heraufdräuen dürfte, hat sich schon seit Tagen abgezeichnet. Am Dienstag, rund um die allwöchentliche Ministerratssitzung, hat sich dieser Eindruck noch einmal verschärft. Noch ehe der erste Minister im Steinsaal des Bundeskanzleramtes auftauchte, wurde von ÖVP-Seite ventiliert, man möge besonderes Augenmerk auf das Statement von Familienministerin Sophie Karmasin legen. Die Ressortchefin redete kurz darauf nicht – wie üblich – über Kinder, Familie und Beruf, sondern schlüpfte in ihre alte Rolle als Politik-Analytikerin. Konkret nahm sie die SPÖ bzw. Kanzler Christian Kern kritisch unter die Lupe: "Man spürt, die Inszenierung steht vor der Sacharbeit. Als Wahlbeobachterin und Meinungsforscherin empfinde ich diese Inszenierung wie einen Vorwahlkampf."

"Als ehemalige Meinungsforscherin empfinde ich diese Inszenierung wie einen Vorwahlkampf."

Platzt die Koalition? "Neuwahlen liegen in der Luft"
ABD0010_20170124 - WIEN - ÖSTERREICH: Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) am Dienstag, 24. Jänner 2017, anl. einer Sitzung des Ministerrates in Wien. - FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
Auf die Frage, ob sie von einer Neuwahl ausgehe, antwortete Karmasin: "Es liegt ein bisschen in der Luft. Ich spüre, dass die SPÖ in diese Richtung arbeitet."

Für Politik-Beobachter war offensichtlich, dass Karmasin von der ÖVP vorgeschickt wurde, um diese Botschaft zu platzieren. Einen Beleg dafür, dass die Familienministerin auserkoren worden war, um den Koalitionspartner zu provozieren, lieferte ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka. Der sonst so scharfe SPÖ-Kritiker überließ Karmasin diesmal süffisant die Rolle der Unruhestifterin: "Ich bin nicht so ein professioneller Beobachter wie Frau Karmasin. Sie hat mir im Gespräch einiges mitgegeben, was zum Nachdenken führt."

"Schlechter Stil"

In der SPÖ kam die Zündelei erwartungsgemäß nicht gut an. Selbst der sonst so ruhige Kanzleramtsminister Thomas Drozda ließ sich zu der Bemerkung hinreißen: "Das ist schlechter Stil und belastet die Verhandlungen (für ein überarbeitetes Regierungsprogramm) zweifellos." Drozda und sein ÖVP-Gegenüber Harald Mahrer würden aber alles daran setzen, um Schnittmengen aus den jeweiligen Zukunftsplänen herauszufiltern. Auch Mahrer meinte: "Wir wollen arbeiten."

Das behauptete auch ÖVP-Vizekanzler Mitterlehner: "Wir sind willig." Er forderte den Koalitionspartner aber auch auf, "die Inszenierungen und das taktische Gehabe wegzulassen".

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Bundeskanzler Kern warf den Schwarzen im Gegenzug vor, mit ihren Vorschlägen nur auf Schlagzeilen zu schielen (siehe auch Politik von Innen): "Was nicht reicht, ist nur Überschriften zu produzieren. Das schafft keine Arbeitsplätze und keine Sicherheit."

In hohen ÖVP-Kreisen wurde in ätzendem Ton gekontert: "Man kann die Republik nicht wie die ÖBB führen. Politik ist viel Handwerk und nicht nur Marketing."

In der SPÖ hielt man dem Koalitionspartner wiederum vor, ständig Verhandlungstermine abzusagen: "Es gibt aber keinen Grund zu warten. Für die bisherigen Klein-Klein-Schritte fehlt uns die Zeit und die Geduld."

Aus der ÖVP hört man Selbiges, freilich mit umgekehrtem Vorzeichen. Im Büro von Regierungskoordinator Mahrer reagierte man mit Kopfschütteln auf die Vorwürfe. Beim Thema Arbeitszeitflexibilisierung (12-Stunden-Tag) sei man in den Verhandlungen schon fast am Ziel. Und erst am Montagabend hätten Mahrer und SPÖ-Minister Drozda bis in die späte Nacht über die Gewerbeordnung verhandelt. Schwarze schimpften hinter vorgehaltener Hand außerdem darüber, dass Kanzler Kern zuletzt dauernd unterwegs und daher für Gespräche über Sacharbeit nicht verfügbar gewesen sei: "Vom Besuch des Regierungsbunkers in Salzburg, über Kitzbühel bis zur Werbetour für seinen Plan A."

Kurzum: Beide Seiten lassen sich über den jeweils anderen aus. Gegenseitiges Misstrauen ist allgegenwärtig. Dass man sich in Sachfragen daher noch einigen könnte, ist kaum noch vorstellbar. Am ehesten kann das noch beim Sicherheitsthema gelingen. Sowohl ÖVP als auch SPÖ sprechen sich ja dafür aus, potenzielle Terroristen elektronisch zu überwachen, die Videoüberwachung auszubauen und die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren.

Platzt die Koalition? "Neuwahlen liegen in der Luft"
Grundsätzlich ist aber auf beiden Seiten bemerkbar, dass man nicht mehr miteinander weiter regieren will. Niemand will freilich am Ende den schwarzen Peter haben. Beide Seiten versuchen das Gegenüber daher in die Rolle des Sprengmeisters der Koalition zu drängen. Wer Neuwahlen heraufbeschwört, wird üblicherweise vom Wähler abgestraft.

Wahl am 21. Mai?

Sollte die Koalition tatsächlich platzen, könnte schon am 21. Mai gewählt werden. Das würde bedeuten, dass nach Ostern der Intensivwahlkampf losgehen würde – und die politischen Kräfteverhältnisse noch vor Pfingsten neu verteilt wären.

Laut der jüngsten KURIER-OGM-Umfrage liegen die Blauen auf Platz eins. Dahinter rangiert die SPÖ, die sich mittlerweile deutlich von der ÖVP abgesetzt hat – keine leichte Ausgangsposition für die Schwarzen.

Noch ist es nicht so weit. Faktum ist jedenfalls, dass die Regierung am Donnerstag wie üblich dem neuen Bundespräsidenten ihren Rücktritt anbieten wird. Üblich ist freilich auch, dass das Staatsoberhaupt diesen nicht annimmt.

Schritt 1

Der Nationalrat muss einen Auflösungsbeschluss fassen. Das dauert, wenn alle Fraktionen im Konsens agieren, ca eine Woche.

Schritt 2

Die Regierung muss Wahltag und Stichtag vorschlagen, der Hauptausschuss des Nationalrats muss zustimmen. Ca eine Woche

Schritt 3

Der Wahltag ist der 82. Tag nach dem Stichtag. Alle drei Schritte zusammen sind knapp 100 Tage.

Für einen Wahlsonntag am 21. Mai muss das Procedere Mitte Februar starten.

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