Welche schweren Justiz-Mängel die Pilnacek-Kommission offenbart
Anti-Korruptionsexperte Martin Kreutner hat im Auftrag von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) die Amtszeit des im Herbst verstorbenen Ex-Justiz-Sektionschefs Christian Pilnacek untersucht. Dass es unter Pilnacek Einflussnahme und Machtmissbrauch gab, verkündete Kreutner bereits vergangene Woche. Dienstagfrüh veröffentlichte das Justizministerium (BMJ) seinen Abschlussbericht.
Vorab: Der Bericht ist keine politische Bombe. Und zwar deshalb, weil 15 der 232 Seiten geschwärzt sind. Es soll sich um Interventionen von Ministern in noch nicht bekannten Fälle handeln. Damit bleibt unter anderem (vorerst) im Dunkeln, was vor vielen Jahren im Wiener Nobellokal „Schwarzes Kameel“ geschah (Seite 165, siehe Faksimile).
Dennoch finden sich auch im nicht-geschwärzten Teil des Berichts interessante bis brisante Details. Er zeichnet ein analytisches Gesamtbild über Pilnaceks Rolle und Missstände im Justizsystem – über Interventionen, Informationsabflüsse und Verzögerungstaktiken bei Verfahren.
Wie Pilnacek Politiker über Verfahren informierte
Die Kommission legt etwa dar, wie Pilnacek Informationen über strafrechtliche Ermittlungen nach außen getragen hat – und zwar nicht nur an ÖVP-nahe Politiker. In einem Punkt geht es um das Strafverfahren gegen Ex-Kanzler Werner Faymann und Ex-Infrastrukturminister Josef Ostermayer. Die Ermittlungen in der SPÖ-Inseratenaffäre starteten 2011, zwei Jahre später wurde das Verfahren eingestellt.
Bereits im Frühjahr 2012 sprach Pilnacek laut Kreutner-Kommission „mit dem Justizsprecher der Partei“ beider Beschuldigter. Dieser wird namentlich nicht erwähnt, doch es kann sich nur um Johannes Jarolim (SPÖ) handeln.
Pilnacek soll Jarolim in „einer freundschaftlichen Atmosphäre“ über den Stand der Ermittlungen und rechtliche Schlüsselfragen informiert und seine Nachfragen „uneingeschränkt beantwortet“ haben.
Jarolim hat, als er vom KURIER vor einer Woche damit konfrontiert wurde, bestritten, dass er das war. Am Dienstag betont er erneut: „Dieses Gespräch hat definitiv nicht stattgefunden. Ich habe nicht die geringste Erinnerung daran.“
Generell stellt sie aber klar: "Die Kommission hat bestätigt, dass es unsachliche Einflussnahme gab. Das ist nicht in Ordnung - egal, von welcher Partei." Gerade aus diesem Grund gehörten die Strukturen geändert, und zwar in Richtung einer unabhängigen Bundestaatsanwaltschaft.
Die Kommission geht noch weiter: Es gebe „glaubhafte Ermittlungsergebnisse“, dass Wiener Staatsanwaltschaften in clamorosen Fällen direkt an Kabinettschefs zu berichten hatten – „zur Beruhigung der Lage“ oder aus „Gründen der Koalitionsräson“.
Wie Verfahren verzögert wurden
Weiterer, zentraler Punkt des Berichts: Wie übergeordnete Stellen Verfahren verzögern. So hätten die Erhebungen der Kommission gezeigt, dass Akten „teilweise lange“ auf Ebene der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) oder des BMJ liegen würden.
„Laut Auskunftspersonen wurden aus politischen Gründen […] Verfahren bewusst in die Länge gezogen, obwohl eine Einstellung […] nahelag, oder aber auch Berichte länger liegen gelassen, obwohl die Erledigung einfach und schnell möglich gewesen wäre“, heißt es.
Die Kommission verweist hier auch auf Interventionen ehemaliger, in Strafverfahren verfangene Minister – konkrete Beispiele sind geschwärzt.
Interventionen bei wirtschaftlich und/oder politisch brisanten Verfahren würden eine Kette an Berichtspflichten und Rechtfertigungen nach sich ziehen. Zuständige Ermittler würden unter anderem bewusst mit Aufsichtsbeschwerden „bombardiert“. Das Ziel: Ermittlungen gezielt behindern und beeinflussen, die Hauptstränge von Verfahren „vernebeln und verwässern“.
Andere Auskunftspersonen widersprechen dieser Darstellung laut der Kommission übrigens. Hinter einer langen Erledigungsdauer stecke „niemals Absicht“.
Staatsanwälte "allein gelassen"
Im Bericht werden mehrere solcher verdächtig langer Verfahren erwähnt. Etwa die Causa Stadterweiterungsfonds: Das Verfahren begann im Juli 2013, das rechtskräftige Urteil erging erst im Juli 2020. Die Kriminalpolizei und auch das BMJ hätten das Verfahren laut Bericht bewusst verschleppt und verzögert.
In weiteren Verfahren sei zumindest kein Bestreben zu sehen gewesen, diese zu beschleunigen. Im Gegenteil: Einzelne Staatsanwälte seien mit diesen großen Verfahren „allein gelassen“ worden. Die Causa Eurofighter wurde nach neun und die Causa Meinl nach 15 Jahren eingestellt.
Zu Benkos Gunsten kein Beweis
Weitere Verzögerungstaktik: Übergeordnete Instanzen ändern den Sachverhalt eines Verfahrens, um die Interpretation der Beweismittel und die spätere rechtliche Beurteilung eines Falls zu ändern.
Als Beispiel führt die Kommission das „Chalet N“ an. Unternehmer René Benko hatte der Gemeinde Lech für das Berggasthof 500.000 Euro geboten, damit diese auf ihr Vorkaufsrecht verzichtete.
Die WKStA hatte eine Bestechungsanklage gegen Benko vorgefertigt. Diese wurde abgewiesen. Warum? Laut Kommission habe die Leitung der OStA „mit gewissem Nachdruck darauf hingewirkt, die Beweisergebnisse der WKStA neu zu würdigen“.
Konkret sprach die OStA dem Aktenvermerk eines Gemeindemitarbeiters die Beweiskraft ab. Das sei „nur in beschränktem Maße seriös“, urteilt die Kommission. Grund: Die OStA ist für die Beweiserhebung nicht unmittelbar zuständig. Außerdem sei sie der rechtlichen Darstellung von Benkos Verteidigern gefolgt.
„Keine aktive Rolle“ für WKStA
Auch das Ibiza-Verfahren erwähnt die Kommission. Am 17. Mai 2019 informiert der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz Justizminister Josef Moser (beide ÖVP) darüber, dass am Abend das Ibiza-Video erscheinen würde. Moser kontaktiert daraufhin Pilnacek und bittet ihn „im Wege der Oberstaatsanwaltschaft“ das gesamte Videomaterial anzufordern.
Pilnacek habe dann im Chatverkehr mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt den Wunsch geäußert, „ein Vorpreschen der WKStA zu verhindern und ihr keine aktive Rolle“ einzuräumen.
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