Die Österreichische Gesundheitskasse betreibt in Wien mit dem Hanusch-Krankenhaus auch ein Spital. Der für ÖGK-Gesundheitseinrichtungen zuständige Fachbereichsleiter Erol Holawatsch berichtet von einem massiven Pflegekräftemangel in den Intensivstationen: „Das betrifft alle Spitäler, nicht nur uns.“ Die Pflegekräfte seien nach der langen Coronazeit „erschöpft und flüchten zum Teil aus dem Beruf“. Und die Situation werde nicht besser. „Dass die Covid-Patienten immer jünger werden, ist für die Pflegekräfte eine zusätzliche psychische Belastung“, sagt Holawatsch. Die ÖGK suche bei AMS und auf diversen Job-Plattformen nach neuen Mitarbeitern. „Wir bieten allen Ärzten und den Pflegekräften auf Intensivstationen Supervision und psychosoziale Betreuung“, sagt der ÖGK-Manager.
Zur Zeit betreut das Hanuschkrankenhaus vier Covid-Patienten, die durchschnittlich sechs Wochen auf der Intensivstation verbringen müssen. Zusätzlich nimmt das Hanusch anderen Wiener Spitälern Nicht-Covid-Intensivpatienten ab, die durchschnittlich sieben Tage Intensivbetreuung benötigen. Ab 4. Oktober wird das Hanusch auch die Covid-Normalstation wieder öffnen, die über den Sommer bereits geschlossen war. Holawatsch: „Leider steigen die Patientenzahlen wieder. Auch für die Normalstation werden wir Pflegekräfte brauchen.“
Wie dramatisch der Personalmangel ist, schildert der ÖGK-Manager so: „Wenn wir den Bedarf an Pflegekräften nicht decken können, droht eine Bettensperre. Denn wir können nicht Patienten aufnehmen, die keiner betreut.“
Problem QuarantäneDass es derzeit sehr schwierig ist, die Dienste mit Pflegekräften zu besetzen, sagt auch Reinhard Hundsmüller, Bundesgeschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes. Es seien aber weniger die fehlenden Kräfte als die Quarantäne-Regeln für Schul- und Kindergartenbereich. „Die Situation hat sich enorm verschärft. Es wird immer schwieriger, die Diensträder zu besetzen“, sagt Hundsmüller.
Wenn etwa Kinder mit einem positiven Test heimkommen, müssen Eltern als K1-Kontaktpersonen zu Hause bleiben. Wenn Kinder nicht infiziert sind, aber dennoch nicht in die Schule dürfen, weil sie sich in der Umgebung eines positiv getesteten Schülers aufgehalten haben, fallen die Eltern genauso aus, weil sie ihre Sprösslinge beaufsichtigen müssen. Und das zehrt auch an den Kräften des übrigen Personals. Hundsmüller: „Für uns ist das ein großes Problem geworden.“ Das betreffe sowohl die stationäre als auch die mobile Pflege.
„Die Leute sind müde, die Arbeit ist deutlich belastender und anstrengender geworden. Viele sind am Limit“, erzählt Markus Golla, Studiengangsleiter für Gesundheits- und Krankenpflege an der FH Krems. Seit Beginn der Pandemie hilft er ehrenamtlich aus – auf Covid-Stationen, in Pflegeheimen.
„Ich verstehe Kolleginnen und Kollegen, die erschöpft sind. Die Arbeit auf der Intensivstation ist sehr anstrengend, etwa das Bauchlagern der Patienten. Am Anfang sind sehr viele Patienten gestorben, das belastet auch die Pflege – ich hatte etwa einmal einen Dienst, in dem vier Menschen gestorben sind. Das macht etwas mit einem.“
Hinzu kommt eine wesentlich höhere Mehrbelastung, allein durch das Anziehen der Schutzanzüge, Maske, Mantel, Handschuhe. Manche Stationen seien in Covid-Stationen umgewandelt worden – nicht jeder konnte wählen, was auch zu Überforderung führte. Golla: „Es gibt durchaus Leute, die sagen, wenn noch einmal eine Welle kommt, steige ich aus, noch einmal halte ich das nicht aus.“ Das seien keine Einzelfälle, sondern „ein zweistelliger Prozentsatz“.
Dieser Eindruck entspricht einer Studie unter 2.500 Pflegerinnen und Pflegern in Österreich: 85 Prozent gaben an, dass sie sich psychisch mittelmäßig bis sehr stark belastet fühlen. Jeder Zweite überlegt, aus dem Job auszusteigen. „Es gibt sehr viele, die den Beruf extrem gerne machen und es sind nicht alle Bereiche gleich stressig oder von der Pandemie belastet. Wenn man Aussteiger fragt, was sie motivieren würde, wieder einzusteigen, wären das bessere Arbeitsbedingungen.“
UnzufriedenheitDer Personalmangel sowie Dienstzeitmodelle, die sich nicht an die Lebensphasen anpassen, sorgen für Unzufriedenheit – wer nicht nachts oder am Wochenende arbeiten kann, erhält keine Zulagen. Es gäbe zwar ausreichend Interessenten für den Pflegeberuf, die demografische Entwicklung werde aber zu großen Lücken führen, betont Golla. „In den nächsten fünf Jahren geht etwa jede fünfte Pflegekraft in Pension, weitere werden durch die Pandemie aussteigen. Wir haben längerfristig zu wenige, um den Bedarf zu decken.“
In der Ausbildung sei die Pandemie ab Tag eins eingeflossen. „In ihren Praktika waren Höhersemestrige zum Teil auch auf Covid-Stationen, weil das Personal knapp geworden ist.“ Erstsemestrige halfen in Pflegeheimen bei der Körperpflege. „Die meisten sind sehr motiviert, sie wollen helfen und unterstützen. Das gilt auch für viele im Beruf, es ist ja trotz allem ein unheimlich cooler Job.“
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