Billigkräfte in der Pflege: Das Leid der Betreuerinnen
"Ich fühle mich manchmal wie eine Prostituierte. Du machst deine Arbeit, jeder nimmt sich seinen Teil, und du stehst blank da", sagt Dubravka. Die Kroatin ist 24-Stunden-Betreuerin und nur eine von vielen, die dem KURIER Einblick in eine Branche im Schattendasein gewährt hat. Zu Wort kommen sie in der Öffentlichkeit nur selten. Dabei sind sie eine wesentliche Säule im Sozialsystem und sorgen dafür, dass Zehntausende Menschen zu Hause versorgt werden können.
Viele beklagen unwürdige Arbeitsbedingungen, beinahe alle zu niedrige Löhne und Arbeitszeiten, die an die Substanz gehen. "Manche Familien erwarten, dass wir für 700 bis 800 Euro Lohn 14 Tage am Stück arbeiten - und täglich zwei oder gar drei Schichten verrichten", berichtet Betreuerin Edita.
Die meisten Frauen nennen zwei Ursachen für die Missstände in der Branche: den Staat und die Agenturen. Letztere werben die Betreuerinnen an und vermitteln sie an Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen. „Das ist organisierter Kriminal. Und der Staat schaut weg“, sagt Betreuerin Dubravka. Große Hoffnung setzt sie in die Organisation vidaflex, die gegen Missstände in der Branche mobilmacht.
Marketing-Gag
Seit drei Jahren kümmert sich vidaflex um Interessen von Betreuerinnen. Mittlerweile zählt die gewerkschaftliche Initiative für Einzelpersonen, Unternehmen und neue Selbstständige 1.500 Mitglieder. "Unsere Aufgabe ist es, aufzuklären und unsere Mitglieder zu schützen", sagt Christoph Lipinski, vidaflex-Generalsekretär, und räumt gleich mit einem wesentlichen Missverständnis auf: "Eines der größten Probleme in Österreich fußt in dem sehr guten Marketing-Gag der 24-Stunden-Pflege. Dieser suggeriert, dass es etwas mit Pflege zu tun hat. Das hat es aber nicht. Die Pflege ist gesetzlich klar determiniert. Man braucht dafür eine Ausbildung. Die Betreuung ist hingegen ein offenes Gewerbe. Das kann jeder machen."
Man müsse bei solchen Definitionen sorgfältiger sein, warnt Lipinski. Er vermutet aber auch eine Absicht dahinter: "Die Politik benennt es teils aus Unwissenheit, teils aber auch bewusst so. Diese Betreuungsform hat nämlich eine sehr starke Lobby in Österreich."
Die Agenturen gehen am Wochenende nicht ans Telefon, in Notfällen war ich immer komplett auf mich allein gestellt.
Ein lukratives Geschäft
In Deutschland gebe es mit 80 Millionen Einwohnern 350 Agenturen, in Österreich mit knapp neun Millionen Einwohnern 900 Agenturen. Dieser Markt sei 1,3 Milliarden Euro schwer und stark wachsend. „Da kann man gutes Geld verdienen.“
Viele Familien, die eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch nehmen, glauben, ihre Liebsten seien in pflegerischen Händen. Ein Irrtum, denn die meisten Agenturen, behaupten die KURIER-Quellen, verlangen überhaupt keine Erfahrung, geschweige denn eine Ausbildung.
„Fragt man bei zuständigen Behörden nach Vorgaben für diesen Job, bekommt man zehn verschiedene Antworten“
Anders ist es beim Hilfswerk. „Wer bei uns als 24-Stunden-Betreuer arbeiten will, muss einen Kurs im Ausmaß von 200 Stunden nachweisen. Das entspricht dem Ausbildungsausmaß einer Heimhilfe in Österreich“, sagt Sprecher Roland Wallner. „Die fortlaufende Kritik an einzelnen Akteuren in der Branche ist bedauerlich. Ein Qualitätssprung ist notwendig. Deshalb würden wir es begrüßen, wenn sich nicht nur 35 Agenturen dem österreichischen Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen (ÖQZ-24) unterwerfen würden, sondern alle.“
Qualitätssichernde Maßnahmen würden im laufenden Prozess der Pflegereform im Vordergrund stehen, heißt es aus dem Sozialministerium. „Das Regierungsprogramm hält eine Qualitätssicherung der 24-Stunden-Betreuung mit dem Ziel eines verpflichtenden Qualitätszertifikats für Agenturen fest.“
Viele Kolleginnen arbeiten ohne Pausen und werden wie Hausmädchen, nicht wie Betreuer behandelt."
Starke Lobby
Doch wie kommen die Agenturen eigentlich an ihre Klienten? Über Google-Suche, Mundpropaganda oder mithilfe des Entlassungsmanagements - eine Abteilung im Krankenhaus, die Angehörigen hilft, das passende Betreuungsangebot für das pflegebedürftige Familienmitglied zu finden. "Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass Entlassungsmanagements immer ein paar ausgewählte Agenturen empfehlen", sagt ein Insider aus der Branche.
Eine Agentur verlange von einer Familie mit Betreuungsbedarf bis zu 1.500 Euro Vermittlungsgebühr für eine Betreuerin. Sie selbst zahle etwa 1.000 bis 1.500 Euro Gebühr. Hinzu komme eine monatliche Betreuungspauschale von etwa 150 Euro, die Familie des zu Pflegenden zahlen muss.
Österreich muss uns mehr bieten, falls man uns hier halten will. 'Bessere Löhne als daheim' - das reicht nicht!"
Vorwurf der Ausbeutung
Die Betreuerinnen, mit denen der KURIER gesprochen hat, haben das Gefühl, auf die Gnade der Agenturen angewiesen zu sein. „Die Rechte der Betreuer werden zweifellos oft verletzt“, meint Herr P., einer der wenigen männlichen Betreuer. Denn viele Kolleginnen seien über 50, würden über ein niedriges Bildungsniveau und mangelhafte Deutschkenntnisse verfügen - und das Arbeitsmodell nicht verstehen.
"Und plötzlich werden sie selbstständige Arbeitnehmer in einem Land, dessen Sprache sie nicht genug kennen", erklärt der Kroate.
Ich möchte in Österreich bis zum Pensionsalter arbeiten. Ich liebe meinen Job. Wir sind aber definitiv unterbezahlt.
P. und viele der betroffenen Betreuerinnen werfen dem österreichischen Staat Ausbeutung vor. Da dieser Bereich gesetzlich nicht klar geregelt ist, würden sie sich in einer Grauzone bewegen, in der sie immer den Kürzeren ziehen. Vermittlungsagenturen würden als Leasing-Gesellschaften fungieren, die aber Krankenstände, Urlaube und Überstunden nicht bezahlen. Die Löhne und Arbeitszeiten seien miserabel.
Ich frage mich, warum ich für einen halben Monat meine Familie verlasse, um ein fremdes Leben zu führen."
„Eine Schande“
Siegfried Klammsteiner von "Pflegedienst iSL" sieht den Staat in der Pflicht. "Er hat keine klaren rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen. Das ist wirklich eine Schande", erklärt der Gründer einer der ältesten Betreuungsagenturen Österreichs. "Solange das ein freies Gewerbe ist - ohne Forderungen rechtlicher Natur, die ein Minimum an Ausbildung verlangen - wird es sehr schwer sein, Qualität zu halten."
Agenturen überprüfen die Verhältnisse bei Klienten vor Ort oft nicht. Man schickt uns ins Unbekannte."
Den Vorwurf der Abzocke, der in Betreuerinnen-Kreise oft zu hören ist, versteht er allerdings nicht. "Wir investieren in ihre Werbung, helfen ihnen Kunden zu finden und ihr Gewerbe anzumelden." Der Mangel an geregelter Freizeit sei aus seiner Sicht aber ein berechtigter Kritikpunkt der Betreuerinnen. Manche Kunden hätten ein falsches Verständnis von 24-Stunden-Betreuung.
Aufklärung ist ein gutes Stichwort für Andreja Grabovac Zadravec, Sprecherin der kroatischen Betreuerinnen. "Wenn die Betreuerinnen aufgeklärt sind, werden die Agenturen nicht mehr in der Lage sein, mit ihnen so umzugehen."
In Wien werden Tagessätze in Höhe von 50 Euro geboten. Welche Österreicherin würde für dieses Geld arbeiten?"
Wir zahlen zu hohe Sozialversicherungsbeiträge, müssen dennoch mit niedrigsten Pensionen rechnen."
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