Kaiser: "Wir pflegen keine Feindbilder - das unterscheidet uns von der FPÖ"
Wie gut ist die SPÖ derzeit unterwegs, woher kommt die Wissenschaftsskepsis - und was ist von Steuer-Erleichterungen für Freiwillige zu halten? Der KURIER traf Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) zum Interview:
KURIER: Herr Landeshauptmann, Sie stehen im unmittelbaren Eindruck einer Hochwasser-Katastrophe, laut Wissenschaft werden sich derartige Extremwetter-Ereignisse häufen. Abgesehen davon, dass man schnell hilft: Wie reagieren Sie politisch?
Peter Kaiser: Wir sind diesbezüglich leidgeprüft. 2024 verlief bislang eher glimpflich, aber wir bauen den Wild- und Hochwasserschutz aus, kümmern uns um Bachregulierungen, und wir bereiten uns auch sonst auf alle möglichen Ereignisse vor. Nicht ganz zufällig nennen wir unsere Koalition aus SPÖ und ÖVP die "Nachhaltigkeitskoalition". Es gibt Ziele, die wir auch im Sinne unserer Enkelverantwortung erreichen wollen. Deutlich gesagt: Wer den von Menschen gemachten Klimawandel heute noch leugnet, geht völlig an der Realität vorbei.
Wenn das so selbstverständlich ist: Wie erklären Sie, dass Wähler den Naturwissenschaften bei Covid oder dem Klimawandel misstrauen?
Als Soziologe interessiert mich die Frage, warum Menschen tun was sie tun. Ein Faktor ist mit Sicherheit, dass es uns innewohnt, Dinge, die uns zwingen, unser Verhalten zu ändern, zu verdrängen.
Und deshalb werden sie abgelehnt?
Vieles ist auch durch Wohlstand erklärbar. Dass wir kürzeste Strecken mit dem Auto fahren, ist bequem. Zu hinterfragen, ob das sinnvoll und nötig ist, ist anstrengend - und unbequem.
Die Haltung der Länder Kärnten und Wien hat dazu geführt, dass Leonore Gewessler der EU-Renaturierungsrichtlinie zugestimmt und einen Streit mit der ÖVP riskiert hat. Hat die Umweltministerin die Verfassung gebrochen?
Ich habe dazu viele Rechtsmeinungen gehört, jede klang für sich logisch. Ich bin kein Jurist, sondern Politiker, das Wesentliche ist für mich: Ehe die Richtlinie 2026 in Kraft tritt, sind noch viele Gespräche nötig. Wir müssen hier einfach Lösungen finden.
Eine der Fragen war und ist, ob in der Abstimmung zwischen Ländern und Bund Änderungen nötig sind. Zum Beispiel, ob die Landeshauptleutekonferenz in die Verfassung kommen soll.
Ich bin der am zweitlängsten dienende Landeshauptmann und kenne die Landeshauptleutekonferenz gut. Sie ist ein wichtiges Gremium, das vernünftige Verbindungen zur Bundes- und Europapolitik hält. Die Renaturierungsrichtlinie war der erste Fall, wo es gröbere Unstimmigkeiten gab. Meines Erachtens besteht kein nennenswerter Reformbedarf.
A propos Landeshauptleute. Ihr steirischer Amtskollege Christopher Drexler wünscht sich einen Steuerbonus für Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Was halten Sie davon?
Es geht darum, Menschen eine Wertschätzung zuteil werden zu lassen. Natürlich kann man über neue Maßnahmen reden. Dabei müssen wir aber darauf achten, andere Helfer nicht zu benachteiligen. Wir reden ja nicht nur von der Feuerwehr. Es gibt Bergretter, Hundeführer, kein Sportverein würde ohne Ehrenamtliche funktionieren. Ich bin immer dafür, das Ehrenamt zu fördern. Aber vielleicht würde es den allermeisten Menschen mehr helfen, würden wir den Faktor Arbeit bei einer Steuerreform entlasten.
Bleiben wir beim Geld: Sie müssen als Landeshauptmann ein massives Sparpaket schnüren, auch im Bund muss das nächste Budget deutliche Einsparungen bringen. Haben wir über unsere Verhältnisse gelebt?
Eine nüchterne Feststellung vorweg: Die Inflationsbekämpfung in Österreich war weniger effizient als in anderen EU-Staaten. Die Inflation blieb hoch, Dienstleistungen wurden teurer, die Lohnabschlüsse mussten daher hoch ausfallen – all das schlägt sich im öffentlichen Budget nieder. Haben wir über die Verhältnisse gelebt? In der Krise haben Stromproduzenten und Banken unglaubliche, unverhältnismäßig hohe Gewinne gemacht. Ein Staat hat darauf zu achten, dass die Steuern gerecht bleiben. Wenn ein Prozent der Menschen in Österreich 50 Prozent des Vermögens besitzen, wird es der größte Kapitalist nicht schaffen, das als gerecht darzustellen. Deshalb müssen wir in die Richtung von fairen Millionärs- und Milliardärsbeiträgen gehen und arbeitende Menschen entlasten. Ich bekenne mich zum Modell der solidarischen Leistungsgesellschaft.
Dem früheren SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer wurde ein ähnlicher Begriff um die Ohren gehauen.
Weil vieles verkürzt dargestellt wird. Solidarische Leistungsgesellschaft meint für mich: Wer arbeitet, ist zu unterstützen. Es geht nicht nur um Lohnarbeit. Wer sich um die Familie kümmert, wer pflegt, auch der oder die leistet etwas. Engagement, Lohnarbeit, Ehrenamt: All das muss gefördert werden. Und Solidarität heißt: Wir sind für die da, die nicht selbst leisten können.
Zur SPÖ: Die Lebenskosten sind hoch, Wohnen ist teuer, das Gesundheitssystem wird durchgebeutelt. Seit Jahrzehnten wirbt ihre Partei mit diesen Themen – und stagniert in den Umfragen. Warum?
Wir gaukeln den Menschen im Unterschied zu Populisten nicht vor, dass es einfache Lösungen gäbe und pflegen keine Feindbilder. Das unterscheidet uns z.B. von der FPÖ. Die SPÖ arbeitet an konkreten Lösungen – auf Basis unserer Grundwerte wie Gerechtigkeit und Solidarität. Deshalb gibt's in Kärnten eine kostenfreie Bildung und Betreuung ab dem ersten Lebensjahr. Gleiche Chancen für alle Kinder, das ist die Idee dahinter. Was sicher besser geht: Wir müssen als SPÖ authentischer erklären, wofür wir stehen. Das ist im Übrigen auch eine Stärke von Andreas Babler. Denn bei aller Kritik kann man ihm nicht nachsagen, dass er sich verstellt.
Sie glauben, seine Werte werden im Wahlkampf noch zulegen?
Absolut!
Und dennoch hat die SPÖ das Problem, dass ihre Linie beim emotionalsten politischen Thema – Migration und Integration - unklar bleibt.
Ich finde nicht, dass unsere Linie unklar ist. In dem Plan, den ich mit Hans Peter Doskozil erarbeitet habe, stand schon vor Jahren, was die EU heute will: Integration vor Zuzug, Asyl-Erst-Entscheidungen an der EU-Außengrenze. Außerdem bin ich dafür, dass jeder, der in Österreich eine neue Heimat hat, einen Integrationsvertrag unterfertigt, in dem Rechte und Pflichten festgehalten sind. Wer unsere Regeln nicht akzeptieren will - etwa, weil er straffällig wird - der hat keine Chance. Punkt.
Wie scharf muss oder kann sich die SPÖ von Herbert Kickl und der FPÖ distanzieren?
Mit seinen öffentlichen Aussagen übernimmt Kickl die Distanzierung selbst. Als SPÖ müssen wir in einer Demokratie mit allen reden, das ist unser Stil. Ich argumentiere nicht gegen jemanden, sondern versuche, mit meinen Ideen zu überzeugen. Angesichts derer ist es für mich derzeit kaum vorstellbar, mit der FPÖ jemals zu koalieren.
Die SPÖ war über Jahrzehnte dafür bekannt, sehr diszipliniert zu sein. Wann wurde es in ihrer Partei eigentlich schick, die Parteiführung öffentlich zu kritisieren?
Ich komme aus der Jugendbewegung, da war es das logische Rollenverständnis, die Parteiführung zu kritisieren. Dass sich diese Haltung auf andere Teile der Partei ausgeweitet hat, erkläre ich mir auch damit, dass die Gesellschaft insgesamt kritischer geworden ist. Zum Hintergrund ihrer Frage: Jeder in der SPÖ muss sich überlegen, was er mit Kritik anrichtet, und spätestens am 29. September muss sich jeder für sich beantworten: Hab ich wirklich alles getan, damit WIR ein gutes Ergebnis schaffen?
Der Ton in der Politik ist rau, manche sehen die Demokratie in Gefahr. Sie auch?
Wir haben Faschismen in unserer Sprache, mangelnder Respekt ist ein Thema, und die sozialen Medien tragen das ihre dazu, dass locker und unreflektiert losgeschimpft wird. Meine Zunft, die Politik, muss vorbildhaft sein. Und ich nehme für mich in Anspruch zu versuchen, mit Worten möglichst nicht zu verletzen. Andere machen genau das, bewusst.
Und die Demokratie?
Die muss täglich neu errungen werden. Wir laufen längst Gefahr, sie als selbstverständlich zu sehen. Die ersten Stimmen sind ja schon da, die sagen: „In einer Autokratie geht alles einfacher und schneller.“ Da müssen wir und die Demokratie wehrhaft sein.
Kommentare